Frage: Welche Rolle spielte die Kirche bei den politischen Entwicklungen in den vergangenen Jahren, ehe die derzeitige Krise ausbrach?
Argüello: Die Regierung hat immer versucht, die Kirche durch Gaben, durch Einschüchterung, durch politische Verführung gefügig zu machen. Der Regierung ist es gelungen, den emeritierten Erzbischof und Kardinal Obando y Bravo zu einem Verbündeten zu machen. Wie, das ist ein großes Rätsel: In den 80-er Jahren ist er der Hauptgegner der Revolution gewesen. Seine Gefolgschaft war aber in den letzten Jahren klein geworden, wenige Kirchenleute sind ihm auf diesem Weg gefolgt.
Frage: Der Episkopat umfasst rund zehn Bischöfe, wie steht es mit der Bischofskonferenz allgemein?
Argüello: Insgesamt hat die Bischofskonferenz in den letzten Jahren eine sehr positive Rolle in Nicaragua gespielt. Unsere Bischöfe sind für die Einhaltung der Menschenrechte eingetreten und haben die Regierung ermahnt, die Institutionalität zu respektieren, die Verfassung und das Gesetz zu achten. Sie haben den autokratischen Missbrauch der Macht kritisiert. 2014 hat die Bischofskonferenz einen sehr wichtigen Pastoralbrief veröffentlicht. Er war wie ein Röntgenbild der Situation im Land. In diesem 18 Seiten langen Pastoralbrief gab es einen Satz, der heute prophetisch klingt. Da heißt es: „Wir glauben, dass die jetzige institutionelle und politische Struktur des Landes weder mittel- noch langfristig einen Nutzen für die jetzigen Regierenden, noch für die Mitglieder der Regierungspartei und die Bürger Nicaraguas bringen wird.“ 2014 haben unsere Bischöfe einen Nationaldialog vorgeschlagen um gemeinsame Lösungen für die Probleme des Landes zu finden, aber die Regierung hat diesen Aufruf total ignoriert.
Frage: Die UNO, fast ganz Lateinamerika, die EU und Menschenrechtsorganisationen ohnehin fordern Ortega dazu auf, die Gewalt gegen das Volk zu stoppen. Was braucht Nicaragua, um einen Weg aus der Krise zu finden?
Argüello: Vor allem ein Aufhören der Gewalt, ein Aufhören der Repression, die Achtung vor menschlichem Leben. Um aus der jetzigen Sackgasse herauszukommen, brauchen wir wieder eine Regierung, die in den Augen der Bevölkerung Legitimität genießt. Das lässt sich durch vorzeitige Wahlen erreichen. Ortega selbst ist 1990 diesen Weg gegangen; er hat damals in einer anderen Krise vorzeitige Wahlen herbeigeführt. Das nicaraguanische Volk muss selbst über seine Zukunft entscheiden. Dazu brauchen wir mit internationaler Hilfe Mittel, um gerechte Wahlen organisieren zu können. Es ist die Stunde gekommen, um auf den Willen des Volkes zu hören und einer neuen Generation von Nicaraguanern die Chance zu geben, unser Land in eine bessere, friedlichere Zukunft zu führen.
Von Gudrun Sailer (Vatican News)
© Vatican News