Ex-Minister Müller kritisiert abgeschwächtes EU-Lieferkettengesetz
Richtlinie war noch gar nicht in Kraft getreten

Ex-Minister Müller kritisiert abgeschwächtes EU-Lieferkettengesetz

Straßburg  ‐ Sichere Produktionsstandards als deutscher Markenkern: Einer der Väter des deutschen Lieferkettengesetzes will Arbeits- und Umweltschutz in Fabriken weltweit hochhalten, auch wenn die EU heute Lockerungen beschlossen hat.

Erstellt: 16.12.2025
Aktualisiert: 16.12.2025
Lesedauer: 

Der ehemalige Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat davor gewarnt, Mindeststandards in weltweiten Lieferketten aufzuweichen. „Das Prinzip, die Produktionsstandorte in asiatische oder afrikanische Länder zu verlegen, dort Kinderarbeit und Stundenlöhne von 50 Cent zu akzeptieren und ohne jegliche Abwasserklärung oder Umweltstandards zu produzieren, kann nicht das deutsche und europäische Markenmodell sein“, sagte Müller angesichts von Lockerungen der EU-Lieferkettengesetzgebung am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Das EU-Parlament billigte in Straßburg Änderungen, nach denen nur sehr große Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitenden bestimmte Sorgfaltspflichten erfüllen müssen. Ab mehr als 1.000 Beschäftigten und mit mehr als 450 Millionen Euro Jahresnettoumsatz müssen Unternehmen Berichte über soziale und ökologische Nachhaltigkeit vorlegen.

Ziel der Lieferkettengesetzgebung ist es, Menschenrechte weltweit zu stärken und die Firmen in die Verantwortung zu nehmen, etwa für faire Löhne und den Schutz der Umwelt. Unternehmen argumentierten, es bedeute für sie eine hohe bürokratische Belastung, Regelverstöße entlang der teils komplexen Lieferketten zu prüfen und Berichte zu verfassen. Die aktualisierten Nachhaltigkeitsregeln sind Teil eines Vereinfachungspakets, um Bürokratie abzubauen und die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken.

Die aktuelle Abstimmung bedeutet eine Lockerung des EU-Lieferkettengesetzes, bevor es überhaupt in Kraft getreten ist. Die Sorgfaltspflichten gelten ab Juli 2029. Das EU-Lieferkettengesetz wurde im April vergangenen Jahres beschlossen.

Reaktion auf Rana Plaza-Katastrophe

Der Bundestag verabschiedete bereits 2021 ein deutsches Lieferkettengesetz, vor allem vorangetrieben von den damaligen Bundesministern Müller und Hubertus Heil (SPD). Es greift seit 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, seit Januar 2024 für Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten.

Die aktuelle Bundesregierung einigte sich im Koalitionsvertrag darauf, das deutsche Gesetz durch die EU-Regelung zu ersetzen. Bis diese in Kraft treten, will sie Unternehmen entlasten, etwa durch weniger Berichtspflichten und Sanktionen. Damit will die Koalition aus Union und SPD die Regelung zur Wahrung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards abschwächen.

Gerd Müller, heute Generaldirektor der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (Unido), verteidigte das deutsche Lieferkettengesetz. Es sei mit der europäischen Regelung vom bürokratischen Aufwand her nicht vergleichbar und nehme von Anfang an Rücksicht auf die Belange des Mittelstandes. Viele Unternehmen, besonders in Deutschland, zeigten, dass sie Mindestanforderungen einhalten könnten. „Die deutsche Wirtschaft hat sichere Produktionsstandards zu einem Markenkern für Verbraucher weltweit entwickelt und kann und darf diese Markenstrategie gegenüber weltweiten Billigstanbietern nicht aufgeben“, so Müller.

Auf die Debatte um Firmenverantwortung wirkte der Einsturz einer Textilfabrik 2013 in Bangladesch ein. Damals starben in Rana Plaza mehr als 1.100 Frauen, weil zu wenig Rücksicht auf Arbeitssicherheit gelegt wurde. Das Entsetzen in Europa war groß. In Rana Plaza und ähnlichen Fabriken in Bangladesch werden T-Shirts, Hosen und Hemden für den deutschen und europäischen Markt genäht.

Auch Menschenrechtler kritisieren Abschwächung von EU-Richtlinie

Auch mehrere Organisationen kritisieren die beschlossene Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes. Deutliche Kritik äußert beispielsweise Amnesty International. Mit den beschlossenen Änderungen lasse die EU Menschen und den Planeten in einer Zeit im Stich, in der Schutzmaßnahmen am dringendsten benötigt würden, erklärte die Direktorin des Amnesty-Büros für europäische Institutionen, Eve Geddie, am Dienstag. Damit sende sie „ein beunruhigendes Signal, dass Unternehmensinteressen über Menschenrechte gestellt werden“.

Die Initiative Lieferkettengesetz bemängelte, das Gesetz werde entkernt, bevor es überhaupt in einem einzigen EU-Mitgliedsland umgesetzt werden konnte. Die Sorgfaltspflichten des 2024 beschlossenen Gesetzes gelten ab Juli 2029. Die Oxfam-Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte, Franziska Humbert, kritisierte: „Gemeinsam mit den Stimmen von Rechtsextremen wurde die viel beschworene Kettensäge an den Schutz von Umwelt und Menschenrechten angelegt.“

Der Verband der Chemischen Industrie begrüßte dagegen die Entscheidung aus Brüssel. „Endlich zieht Europa die Notbremse bei der Überregulierung“, erklärte Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Nun müssten die Anpassungen schnell in nationales Recht überführt werden, um deutsche Unternehmen zu entlasten.

Von KNA/Trenz

Mehr zum Thema