Abubakarr Jalloh, Vize-Repräsentant des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und Vertreter des UNHCR im Sudan, am 6. November 2025 in Berlin.
Weniger Mittel, akute Krise und Hunderttausende Flüchtlinge

UNHCR-Vertreter im Sudan: Die Menschen rennen um ihr Leben

Berlin  ‐ Im Sudan eskaliert die Lage weiter, insbesondere in der Regionalhauptstadt El Fasher in der Region Nord-Darfur. Nun könnte es eine Waffenruhe geben. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR setzt auf das Engagement Deutschlands.

Erstellt: 10.11.2025
Aktualisiert: 10.11.2025
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Von Anna Mertens (KNA)

Abubakarr Jalloh ist Vize-Repräsentant des UN-Flüchtlingshilfswerks im Sudan und derzeit der verantwortliche UNHCR-Vertreter vor Ort. Jalloh, der vor Jahren selbst den grausamen Bürgerkrieg in seinem Heimatland Sierra Leone erlebte, hat in Deutschland um diplomatische und finanzielle Hilfe geworben. Die Zerstörung und humanitäre Katastrophe im Land übersteige jegliche Vorstellung, sagt er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur. Nun könnte es eine Waffenruhe geben.

Frage: Herr Jalloh, wir erhalten wenig bis keine Einblicke in den Sudan. Wie ist die Lage vor Ort? Was müssen wir wissen?

Abubakarr Jalloh: An erster Stelle ist es eine Krise mit mangelndem Schutz der Zivilisten. Die Menschen rennen um ihr Leben. Sie fliehen vor der Gewalt. Hier braucht es eine sofortige Reaktion. Derzeit sehen wir fürchterliche Bilder aus El Fasher. Wahlloses Töten, Folter und Missbrauch. Frauen werden vergewaltigt, Kinder ihrer Eltern beraubt. Es fehlt jeglicher Respekt für internationales Menschenrecht.

Frage: Was braucht es umgehend?

Jalloh: Es braucht mehr Druck auf alle Parteien mit Einfluss in der Region für einen sofortigen Waffenstillstand; ich möchte hier aber keine konkreten Namen nennen. Davor müssen alle Zivilisten Möglichkeiten haben, sich in Sicherheit zu bringen. Und die humanitären Organisationen brauchen Zugang, um den Menschen helfen zu können.

Frage: Gibt es humanitäre Korridore?

Jalloh: Nicht direkt nach El Fasher, aber in die umliegenden Gebiete und dortigen Lager für Binnenvertriebene. Nahe der Kleinstadt Tawila etwa haben sich mehr als 600.000 Vertriebene eingefunden. Und dann gibt es viele Regionen, in denen aktuell nicht gekämpft wird, die aber in Schutt und Asche liegen. Die Infrastruktur ist dort systematisch zerstört worden. Hier fehlt es an allem: Elektrizität, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Aufgrund der unzähligen Landminen haben wir große Sicherheitsbedenken. Deutschland kann mit seiner großen Expertise in der Minenräumung hier helfen.

Frage: Also ist die akute Notlage in El Fasher nur die Spitze des Eisbergs?

Jalloh: Nothilfe ist entscheidend und dringend. Nicht nur humanitär, sondern auch auf diplomatischer Ebene. Wir haben im Land die große Sorge, dass das, was in El Fasher passiert, sich in einer anderen Region wiederholt. Das darf nicht passieren. Aber es geht auch um die weiteren sudanesischen Regionen, die unzählige Vertriebene aufgenommen haben, auch Flüchtlinge aus den Nachbarländern. Der Sudan hat eine Fläche, die fünfmal der Größe Deutschlands entspricht.

Flagge Sudans vor blauem Himmel (links), Sudan auf der Landkarte (Links)
Bild: © Canva (Symbolbild)

Frage: Nun scheint eine Waffenruhe möglich. Gibt es die realistische Chance auf einen Friedensdialog mit den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF)?

Jalloh: Ohne einzelne Parteien zu nennen, hat sich offenbar die Rhetorik geändert, weg von einem Krieg bis zum bitteren Ende. Das wird nicht über Nacht geschehen; aber Deutschland kann hier großen Einfluss nehmen. Deutschland wird als neutraler wahrgenommen als andere Staaten. Es darf nicht so weit kommen, dass der Sudan als verlorener Staat gesehen wird.

Frage: Wie ist die deutsche Reaktion auf diese Bitte?

Jalloh: Ich habe das Gefühl, dass unsere deutschen Gesprächspartner die Dringlichkeit verstanden haben. Sowohl mit Blick auf diplomatische Bemühungen, aber auch hinsichtlich der nötigen humanitären Hilfen.

Frage: Welche Partner braucht Deutschland?

Jalloh: Zunächst die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Deutschland kann sich dafür einsetzen, dass der Sudan nicht irgendeine Krise ist, sondern besondere Aufmerksamkeit braucht. Aber auch die EU hat großen Einfluss. Und Deutschland innerhalb der EU.

Frage: Welche Hilfswerke sind noch in El Fasher?

Jalloh: Es gibt nur wenige Hilfswerke. Die Lage ist zu gefährlich. Der Chef einer Partnerorganisation wurde kürzlich getötet. Aber es gibt viele Organisationen im Sudan, die zu sofortiger Hilfe bereit sind. Die UN allein haben mehr als 40 Lastwagen mit Hilfsgütern in Warteposition in der Nähe.

Rund vier Millionen Menschen in Nachbarländer geflüchtet

Frage: Wie viele Zivilisten sind noch in El Fasher?

Jalloh: Wir wissen es nicht. Zuletzt war von etwa 200.000 Menschen die Rede. Wir wissen, dass die RSF die Menschen bezahlen lässt, um fliehen zu dürfen. Bisher können wir nur denen helfen, die aus der Stadt herausgekommen sind.

Frage: Wie reagieren die Nachbarländer?

Jalloh: Vier Millionen Sudanesen sind in die umliegenden Länder geflohen. Wir sind sehr dankbar über die Bereitschaft, die Menschen aufzunehmen. Aber die Länder sind bereits am Limit ihrer Kapazitäten, etwa im Tschad. Infolge der massiven Kürzungen in der internationalen Hilfe wird die Versorgung der Flüchtlinge schlechter. Daher ist die Sorge groß, dass weitere Flüchtlinge kommen; einzelne Grenzen wurden geschlossen. Und wenn die Flüchtlinge in den Lagern schlecht versorgt werden, dann kehren sie entweder unter extrem schwierigen Bedingungen in ihre Heimat zurück, oder sie ziehen weiter. Letztlich könnten einige auch nach Europa und Deutschland kommen.

Frage: Welche Rolle können oder sollten die christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften spielen?

Jalloh: Es ist eine humanitäre Krise, die über alle religiösen, nationalen und andere Grenzen hinweg reicht. Es ist eine moralische Verantwortung für alle, insbesondere für Religionsgemeinschaften, sich für Menschlichkeit und die Not der Menschen einzusetzen. El Fasher darf sich nicht wiederholen. Lasst uns gemeinsam Leben retten. Die Menschen brauchen diese Hoffnung.

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