„Es war apokalyptisch, dantesk“
Valencia ‐ Das Wasser kam binnen Minuten und brachte Tod und Verwüstung. Pfarrer Cesar Garcia ist seit Tagen im Dauereinsatz, um den Menschen im spanischen Katastrophengebiet zu helfen. Ihre Wut auf die Politik kann er verstehen.
Aktualisiert: 12.11.2024
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Seine Stimme klingt müde, die körperliche und psychische Belastung in den vergangenen zwei Wochen war enorm. Cesar Garcia kommt gerade von einer Bestattung aus Valencia zurück. „Es ist nicht leicht, den Familienangehörigen Trost zu spenden, nach dem, was hier passiert ist“, sagt der Pfarrer von Sedavi.
Er spricht von der Flutkatastrophe, die am Dienstagabend vor zwei Wochen die spanische Mittelmeerregion Valencia heimsuchte. Die durch eine Kaltfront und verheerende Regenfälle ausgelösten Sturzfluten zerstörten rund 80 Ortschaften. 214 Tote wurden bisher geborgen, 32 Personen werden immer noch vermisst.
Garcias Gemeinde Sedavi mit ihren knapp 10.600 Einwohnern wurde hart getroffen. „Wir haben hier zehn Todesopfer zu beklagen. Unser Gemeindefriedhof wurde allerdings auch schwer beschädigt. Alles ist noch voller Schlamm. Die Wassermassen haben zahlreiche Gräber zerstört“, berichtet Garcia. So müssen die Verstorbenen aus Sedavi in Nachbargemeinden oder in der Regionalhauptstadt Valencia eingeäschert werden.
Auf Anweisung der Regionalregierung wurden die 214 bisher gefundenen Leichen zum Messegelände ins Zentrum von Valencia gebracht. Hier kümmern sich Forensiker in einer improvisierten Leichenhalle um die Obduktion und die Identifizierung der Toten. Tagelang mussten Familienangehörige vor dem Messegelände warten, bis die Leichen zur Bestattung übergeben wurden. „Erst jetzt können die Menschen langsam beginnen, zu trauern und Abschied zu nehmen“, sagt Garcia. Zumindest diejenigen, deren Tote bereits gefunden wurden.
„Das Schlimme ist, dass wir nicht rechtzeitig vor den sich anbahnenden Unwettern gewarnt wurden und die meisten beim Versuch starben, ihre Autos aus den Tiefgaragen vor dem Wasser zu retten.“ Er kann die Menschen verstehen, die am Wochenende in Valencia erneut gegen die Regionalregierung auf die Straße gingen. Fast 130.000 Demonstranten forderten den Rücktritt von Valencias Regionalpräsident Carlos Mazon. Ihm werfen sie vor, er habe die Warnungen des Wetterdienstes an jenem Morgen des 29. Oktober erst am Abend als Alarm auf die Handys der Bevölkerung schicken lassen. Da waren die Flüsse bereits über die Ufer getreten, die verheerenden Überschwemmungen hatten ihren Lauf genommen.
Ihn habe es auch fast erwischt, berichtet der Geistliche. Er habe am Abend Gottesdienst feiern wollen, doch da es sehr windig gewesen sei, hätten ihm die üblichen Gottesdienstbesucher telefonisch abgesagt. Gegen 19.30 habe er die Kirche verlassen. Auch in Sedavi fing es plötzlich an zu regnen. „Innerhalb von Minuten verwandelten sich die Straßen in Flüsse. Als ich mein Auto aus der Tiefgarage fuhr, kamen mir schon die Wassermassen entgegen“, erinnert sich Garcia. „Ich schaffte es gerade noch zum Pfarrhaus, wohin sich bereits mehrere Personen in Sicherheit gebracht hatten.“
Das Szenario am nächsten Morgen beschreibt der 54-Jährige als „apokalyptisch, dantesk“. „Fast alle Geschäfte, Restaurants, sogar die Schule, der Kindergarten und das Gesundheitszentrum wurden von den Fluten zerstört. Autos, Möbel und Hausrat türmten sich meterhoch in den Straßen, die bis vor wenigen Tagen noch mit dicken Schlammmassen überzogen waren.“
Die Menschen sind wütend
Von den Fluten mitgerissene Autos schlugen in vielen Häusern die Türen und Mauern ein, wodurch die Wassermassen noch leichter eindringen konnten. „Tausende unserer Gemeindemitglieder haben alles verloren.“ Er versuche, den Menschen Trost zu spenden. Doch er gibt zu: „Es ist für die Menschen nicht leicht. Sie sind im Schock und mit dem Aufräumen beschäftigt. Sie müssen sich darum kümmern, an Lebensmittel zu kommen.“ Erst seit wenigen Tagen gebe es wieder Strom – Gas für die Heizung und Frischwasser jedoch weiterhin nicht.
Die Menschen sind wütend, dass es fast drei Tage dauerte, bis die Regionalregierung Hilfe schickte – vor allem Räumtechnik wie Bagger. Seitdem geht der Spruch viral: „Nur das Volk rettet das Volk.“ Ein Lichtblick innerhalb der Katastrophe, meint auch Garcia, der die Wut und Enttäuschung der Bürger teilt. „Die Solidarität der Menschen untereinander ist wirklich bewegend. Das Unglück hat uns menschlich alle zusammengeführt und nähergebracht“, versucht er etwas Positives aus der Tragödie zu ziehen.
Die ersten zwei Tage nach der Katastrophe stand Garcia den Familien zur Seite, die Todesopfer zu beklagen hatten. Nun kümmert er sich vor allem um die Verteilung von Lebensmitteln und Hilfsgütern. Zusammen mit dem Bürgermeister von Sedavi beschloss man, für die Verteilung das Gemeinde- und Pfarrzentrum der Kirche im Ortskern zu benutzten.
Das musste aber erst gesäubert werden. „Das Wasser stand hier bis zu zwei Meter hoch“, berichtet Garcia. Allerheiligen kamen Priester mit Hunderten freiwilligen Helfern aus verschiedensten Gemeinden Valencias, die nicht von den Unwettern zerstört wurden, und halfen bei den Aufräumarbeiten. „Dank ihrer Hilfe können wir heute Hunderte von Menschen mit Lebensmitteln, Kleidung, Reinigungs- und Waschprodukten versorgen, die uns die Caritas aus ganz Spanien mit Lkws anliefert“, bedankt sich Garcia.
Die Solidaritätswelle sei überwältigend. Doch der Pfarrer von Sedavi weiß auch, dass die Menschen hier bald vor anderen Problemen stehen werden – psychologischen. Aber er will versuchen, ihnen die Angst vor der Zukunft zu nehmen. „Mit Gesprächen, im Gebet oder einfach nur, indem ich an Ihrer Seite bin.“