
Was aus Don Justos „Müll-Kathedrale“ bei Madrid wurde
Madrid ‐ Am Samstag (20.09.) wäre der Spanier Don Justo Gallego 100 Jahre alt geworden. Sein Lebenswerk konnte er selbst nicht mehr vollenden. Doch das Ergebnis hätte ihm – vermutlich – gefallen.
Aktualisiert: 18.09.2025
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60 Jahre hat Justo Gallego Martínez mit Bauschutt und Sperrmüll in Mejorada del Campo vor den Toren Madrids eine gewaltige „Kathedrale“ gebaut. Praktisch allein errichtete er diese 50 Meter lange, 20 Meter breite und 35 Meter hohe „Liebeserklärung an Gott, Jesus Christus und die Jungfrau Nuestra Señora del Pilar“, wie Justo Gallego seine Kirche vor vielen Jahren im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) bezeichnete.
Doch er ahnte bereits vor langer Zeit, dass er sein Lebenswerk nicht selbst würde beenden können. Und er hatte Sorge. Sorge, die Behörden könnten seine „Kathedrale“ sogar abreißen, sollte er nicht mehr da sein. Denn eine Baugenehmigung hatte er nie – und die katholische Kirche war nicht daran interessiert, sein Gotteshaus zu übernehmen.
So wandte sich Justo Gallego an Priester Ángel García Rodríguez. Padre Ángel ist dank der von ihm gegründeten katholischen Hilfsorganisation „Mensajeros de la Paz“ (Boten des Friedens) Spaniens bekanntester Geistlicher überhaupt. Von Spaniens Königen bis hin zu Hollywoodstar Richard Gere unterstützten Promis immer wieder seine sozialen Hilfsprojekte. Eigentlich ist Padre Ángel selbst ein Promi, erhielt sogar den Prinz-von-Asturien-Preis in der Sparte Eintracht. Der Award gilt als der „spanische Nobelpreis“. Weltweit kümmert sich seine Organisation um hilfsbedürftige Kinder und Obdachlose.
„Justo stiftete uns seine wunderschöne Kathedrale – und er hatte nur eine einzige Bedingung. Er bat mich, sein Lebenswerk zu Ende zu bringen“, sagt Padre Ángel der KNA. Am Samstag (20. September) wäre Justo Gallego 100 Jahre alt geworden; doch er starb 2021 im Alter von 96 Jahren. Padre Ángel hielt sein Wort: Nach Justos Tod beauftragte er ein Architekturbüro, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Danach ging es an die Arbeit.

Künstler Don Justo Gallego Martinez am 4. Mai 2011 im "Kreuzgang" in Mejorada del Campo (Spanien).
Zwei Jahre lang wurden Geländer eingesetzt, kaputte Fenster ausgetauscht, halb fertige Türme vollendet und vor allem das Dach geschlossen, durch das es ständig hereinregnete. „Wir wollten aber nichts verschönern. Wir machten das Gebäude nur sicherer für Besucher. Den Geist von Justos Arbeit haben wir erhalten“, versichert Padre Ángel.
So wirkt Justos „Kathedrale“ zumindest auf den ersten Blick immer noch halb fertig. Ganz wie Antoni Gaudís weltberühmte Sagrada Família in Barcelona, die 2026, pünktlich zum 100. Todestag des Architekten, nach 144 Jahren Bauzeit endgültig fertiggestellt werden soll.
Justo Gallego, dessen Kathedrale – zufällig oder nicht – an der später „Antoni Gaudí“ benannten Straße liegt, fing im Oktober 1961 mit dem Bau an. Und er zog das gewaltige Gotteshaus praktisch alleine hoch.
Der tiefgläubige Katholik wollte eigentlich Mönch werden. 1952 trat er einem Trappistenkloster in der Nähe von Soria bei. Doch nach acht Jahren erkrankte er schwer an Tuberkulose, musste das Kloster verlassen und wäre beinahe gestorben. „Damals schwor ich, Gott und der Jungfrau Nuestra Señora del Pilar eine Kirche zu bauen, sollte ich die Krankheit überleben“, erklärte Justo. Er überlebte - und hielt sich an sein Versprechen.
Der ökologische Fußabdruck sollte möglichst klein bleiben
Aber er war weder Architekt, noch gab es Baupläne. Er verkaufte den Bauernhof und die Ländereien seines damals bereits gestorbenen Vaters und legte einfach los. Mauern, schweißen, Zement mischen – er brachte sich alles selbst bei. Er inspirierte sich lediglich an ein paar Büchern über alte Kirchen und mittelalterliche Burgen. „Die Kuppel ist dem Petersdom in Rom nachempfunden. Ansonsten sticht in meiner Kirche eher das Romanische hervor“, sagte er mit Stolz.
Von Beginn an dachte der Baumeister groß. Er hatte ein Kloster oder ein Priesterseminar im Kopf. So konstruierte er gleich neben seiner Kirche auch einen Kreuzgang, um den sich mehrere zweistöckige Nebengebäude gruppieren. Es gibt Versammlungsräume, eine Bibliothek und eine Sakristei; fast 4.700 Quadratmeter Gesamtfläche. Vor der Kathedrale befindet sich ein achteckiges Baptisterium.
Es sind aber nicht nur die Ausmaße, die beeindrucken, oder der Do-it-yourself-Charakter seines Werkes. Justo Gallego hatte kein Geld, war auf Spenden angewiesen. Oft schenkten ihm örtliche Baufirmen alte Werkzeuge – oder sie halfen ihm mit Kränen beim tonnenschweren Dach.
Ansonsten suchte sich der Gläubige seine Baumaterialien selbst zusammen: Eisenstangen, Drähte, ausgediente Haushaltsgeräte, alte Werbebanden aus dem Stadion von Real Madrid. Tennisbälle und Tomatendose verputzte er zu dekorativen Elementen. Auf Schutthalden holte er sich Steinreste für den Boden. Bauunternehmen bat er um Zement und Ziegelsteine – aber nur um kaputte. Er wollte keine neuen Materialien. Er wollte recyceln, den ökologischen Fußabdruck seines Gotteshauses möglichst klein halten.
So nutzt Padre Ángel die Kathedrale heute auch, um Schülern und Studenten zu veranschaulichen, wie Recyceln funktioniert und wie wichtig es für unseren Planeten ist. In der Kirche veranstaltet seine Hilfsorganisation Sozialprojekte, betreut Obdachlose und organisiert Armenspeisungen. Da es sich nicht um eine geweihte Kirche handelt, machte Padre Ángel sie zu einem Zentrum für den interreligiösen Dialog. Im achteckigen Baptisterium befinden sich die Gebetsräume für Muslime und Juden direkt nebeneinander.
„Justo hätte sich gefreut zu sehen, was aus seinem Lebenswerk geworden ist“, ist sich Padre Ángel sicher. Doch einen Gefallen ist er dem früheren Ordensmann noch schuldig. Der „verrückte Kirchenbauer“, wie er sich selbst manchmal nannte, wollte unbedingt in der Krypta seiner Kathedrale bestattet werden. Das Grab im Zementboden legte er selbst an.
Padre Ángel plant, seine Überreste in sechs Jahren, 2031, vom Friedhof von Mejorada del Campo zu überführen. Laut dem spanischen Bestattungsgesetz müssen Leichen zur Verwesung für mindestens zehn Jahre auf einem Friedhof beerdigt sein, bevor sie an andere Orte verlagert werden dürfen. Spätestens dann dürfte Justo Gallego seinen Seelenfrieden gefunden haben.

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