
Deutschsprachige Pilgerseelsorge in Santiago öffnet Türen und Herzen
Santiago de Compostela ‐ Jakobspilger, die in Santiago de Compostela eintreffen, stecken voller Eindrücke und Emotionen. Die deutschsprachige Pilgerseelsorge bietet noch bis Ende Oktober die Möglichkeit zum Austausch.
Aktualisiert: 24.09.2025
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Mitten auf dem Tisch brennt eine Kerze. Daneben steht eine Dose mit Keksen. Die Seelsorgerinnen Marie-Luise Hildebrand (70) und Waltraud Zeth (68) verteilen Kaffeebecher, schaffen nach besten Kräften eine Wohlfühl-Blase im sonst so trubeligen Santiago de Compostela. Der Raum füllt sich, hier im ersten Stock des Pilgerzentrums, wo im Erdgeschoss in ernüchternder Massenabfertigung die Ausgabe der Pilgerurkunden läuft.
Es ist vier Uhr nachmittags, täglich der feste Termin für die Begegnung. Unter dem Leitsatz „Ankommen und erwartet werden“ öffnet die deutschsprachige Pilgerseelsorge ihre Türen und Herzen. Zwischen Mitte Mai und Ende Oktober sind Seelsorgeteams à drei Personen ehrenamtlich jeweils zwei Wochen im Einsatz. Die Angebote umfassen auch einen Gottesdienst, eine Beichtgelegenheit und einen spirituellen Rundgang um die Kathedrale. Dahinter steht eine Initiative des Bistums Rottenburg-Stuttgart und des Katholischen Auslandssekretariates der Deutschen Bischofskonferenz.
Seelsorgerin Hildebrand schließt die Tür. Im Luftzug flackert die Kerze, die in der Schale einer Jakobsmuschel drapiert ist. Im Hintergrund fällt der Blick durch das Fenster ins Grün eines Walnussbaums. Bei den Treffen fragt niemand nach Konfession, Beruf, akademischen Titeln. In der Gesprächsrunde stellt man sich mit Vornamen vor, das „Du“ macht alle gleich. Heute sind elf Teilnehmer da, darunter die Schwestern Andrea Baur (62) und Monika Baur-Fischer (57). Sie haben es zu Fuß nach Santiago de Compostela geschafft und sind von ihren Empfindungen überwältigt; ihre Etappen aus der süddeutschen Heimat hatten sie über zehn Pilgerjahre verteilt.
In das Glück des Angekommen-Seins mischt sich eine traurige Note. „Wir sind auch für unseren verstorbenen Bruder gegangen, haben viele Kerzen in vielen Kirchen angezündet und für ihn gebetet“, blickt Baur zurück. Beim Jakobsweg, auf Spanisch: Camino de Santiago, zieht die vormalige Grundschullehrerin aus Schwäbisch Gmünd Parallelen zu ihrem Beruf: „Der Camino ist so ähnlich wie das Schulleben. Ein Schuljahr beginnt, man ist motiviert und gut vorbereitet. Es dauert nicht lange, da tauchen erste Probleme auf. Die Füße drücken, Blasen entstehen. Es ist heiß, der Rucksack schwer.“
„Der Pilgerweg macht mit jedem etwas“
Trotz mancher Tiefen unterwegs animiert sie uneingeschränkt zum Pilgern: „Wenn du gesund bist, tu das, was dir wichtig ist. Mach den Schritt, mach dich frei.“ Ihre Schwester Monika, die sich als „gläubig und katholisch geprägt und erzogen“ bezeichnet, nickt und zieht das Fazit ihrer Ankunft in Santiago de Compostela: „Für mich ist es jetzt rund und fertig und fühlt sich gut an.“
Beide sind dankbar für das Angebot der Pilgerseelsorge, haben bereits an zwei Messen teilgenommen. Offen berichten die Teilnehmer bei der Begegnung von den Fluten der Gedanken unterwegs, von Strapazen, Blessuren, dem Glauben, der Entschleunigung im eigenen Tempo. Oder von der Stimmung bei Nebel, dem Duft in den Eukalyptuswäldern Galiciens und davon, „mental runtergekommen“ zu sein. „Ich war überfordert von den Gefühlen“, sagt jemand. Es wird geweint. Es wird gelacht.
„Tränen sind für mich wunderbar, und zwar in dem Sinne: Es fließt, es löst sich etwas“, sagt Seelsorgerin Hildebrand. Die pensionierte Pastoralreferentin aus Oberschwaben, die zum vierten Mal im Santiago-Einsatz ist und auch für Einzelne jederzeit ein offenes Ohr hat, weiß: „Der Pilgerweg macht mit jedem etwas. Viele müssen viele Wege laufen, bis sie bei sich selbst sind.“
„Auffangen und begleiten: Das ist hier unsere Aufgabe“, bekräftigt Seelsorgerin Zeth, die schon länger durch Spanien gepilgert ist. „Santiago de Compostela ist mein Sehnsuchtsort. Hier finde ich eine spezielle spirituelle Ebene“, teilt sie ihre Begeisterung. So ergeht es vielen Ankömmlingen, auch bei der deutschsprachigen Pilgerseelsorge. Nach dem emotionalen Austausch in der Runde schreiben sie sich im Gästebuch weitere Gefühle vom Herzen. Und wer mag, drückt am Ende den Stempel der Seelsorge als Erinnerung in den Pilgerpass.

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