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Der lange Schatten am Monte Sole - und ein Hoffnungsfunke
Marzabotto ‐ 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg rücken Erinnerungen an die Massaker ins Bewusstsein. Ende September jährt sich das schlimmste deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Heute können an dem Ort junge Menschen Frieden lernen.
Aktualisiert: 19.09.2024
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Wer als Italien-Urlauber mit dem Auto gen Süden reist, biegt meist auf der A 1 in Höhe Bologna ab ins Apennin-Gebirge Richtung Florenz. Nach gut 40 Kilometern passiert man eine Gegend, in der Deutschlands Vergangenheit bis heute dunkle Schatten wirft. In den Bergen westlich der Autobahn verübten deutsche Soldaten das größte Massaker in Italien im Zweiten Weltkrieg.
Vom 29. September bis zum 1. Oktober töteten Einheiten von SS und Wehrmacht dort etwa 800 Zivilisten und zerstörten fast alle Häuser in der Region um den Ort Marzabotto. Opfer waren vor allem alte Männer, Frauen und Kinder; die Liste der Toten nennt Namen und Geburtsdaten von 213 Kindern unter 13 Jahren. Erwachsene Männer im wehrfähigen Alter fehlen fast völlig.
Eine Augenzeugin konnte sich in der Sakristei einer Kirche verstecken. Dort beobachtete sie, wie Pfarrer Ubaldo Marchioni mit zwei SS-Soldaten zu verhandeln suchte: „Der Priester konnte Deutsch und redete mit zweien von ihnen. Sie lachten ständig und zeigten auf ihre Gewehre und weil der Priester beharrlich blieb, erschossen sie ihn vor dem Altar. Ich hatte eine Hand auf den Mund meines Cousins Giorgio gepresst, aus Angst, er würde schreien.“ Eine Tafel an der Kirche erinnert an Don Ubaldo, den „Hirten und Verteidiger seiner Leute, mit denen er Gebet und Martyrium teilte“.
Unweit davon, so schilderte es eine überlebende Lehrerin, sperrten SS-Angehörige 49 Menschen in einen Andachtsraum, darunter 19 Kinder. Dann warfen sie Handgranaten hinein; 30 Menschen starben sofort. Tags darauf kamen die Deutschen wieder, um Überlebende zu erschießen. Wegen der Brutalität des Massakers am Monte Sole, wie das Kriegsverbrechen auch benannt wird, protestierte sogar Mussolini bei Hitler.
Die Deutschen hatten das dreitägige Morden als Strafaktion gegen Partisanen der Gruppe „Stella Rossa“ (Roter Stern) bezeichnet. Die Opfer seien „Banditen und Bandenhelfer“ gewesen. Wie auch andere Kriegsverbrechen belastete Marzabotto noch lange das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien.
Bewusst grausam
Als Italien im Herbst 1943, nach dem Sturz Benito Mussolinis, von der Seite Nazi-Deutschlands an die der Alliierten gewechselt war, besetzte die Wehrmacht Italien. Auf mehreren Linien versuchten die Deutschen, die von Süden anrückenden Briten und Amerikaner aufzuhalten. Unter anderem an der sogenannten Goten-Linie auf halber Höhe zwischen Bologna und Florenz.
In der Gegend agierende Partisanengruppen verübten in den Sommermonaten 1944 Überfälle auf deutsche Soldaten. Als Mitte September die Alliierten weiter vorrückten, drangen ausweichende Einheiten der 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ und der Wehrmacht in die Hochebene am Monte Sole ein.
Deren Offiziere bereiteten dort ein „Vernichtungsunternehmen“ vor: Sie kesselten Dörfer und Weiler um Marzabotto ein, drei Tage lang töteten sie alle Menschen, derer sie habhaft werden konnten, und zerstörten nahezu sämtliche Gebäude. Auf einer Gedenktafel ist zu lesen: „Hitler sagte: Wir müssen grausam sein, wir müssen es mit ruhigem Gewissen sein, wir müssen auf technische, wissenschaftliche Weise zerstören.“
Heute ein Geschichtspark – und eine besondere Schule
Wie auch bei anderen Massakern verliefen Strafverfolgung und Aufarbeitung nach dem Krieg schleppend und unvollständig. Der Leiter der Aktion, SS-Sturmbannführer Walter Reder, wurde 1951 in Bologna zu lebenslanger Haft verurteilt, im Januar 1985 begnadigt und starb 1991 in Wien. SS-Gruppenführer Max Simon wurde in Padua zum Tode verurteilt und bereits 1954 begnadigt.
Urteile des Militärgerichts in La Spezia von 2007 gegen 17 Mitwirkende wurden 2008 von einem Berufungsgericht in Rom 2008 aufgehoben und verschärft. Als aber eine Münchner Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnahm, stellte sie diese im April 2009 ohne Anklageerhebung wieder ein.
Im April 2002 lud Italiens Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi Bundespräsident Johannes Rau nach Marzabotto ein. Die Menschen der Region hätten die Erinnerung bewahrt und wachgehalten, so Rau in seiner Ansprache, nicht „um Hass lebendig zu halten oder um aufzurechnen“, sondern „um unserer gemeinsamen Zukunft willen“. Er danke dafür, „dass Marzabotto ein Ort ist, der Italiener und Deutsche nicht entzweit, sondern zusammenführt“. In Italien wurden Raus Besuch und Worte mit dem Kniefall Willy Brandts 1970 in Warschau verglichen.
Der dort errichtete Parco Storico di Monte Sole (Geschichtspark Monte Sole, siehe Artikelbild) beherbergt heute unter anderem eine Friedensschule. Dort treffen sich nicht nur Jugendliche aus Italien und Deutschland, sondern sogar auch aus Israel und Palästina. Um zeigen zu können, dass Verständigung auch nach grausamen Verbrechen möglich ist. Am 29. September reist auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Monte Sole – zusammen mit Italiens Präsident Sergio Mattarella.
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