Bruder Matthew, designierter Prior der Communaute von Taize
Anglikaner Frère Matthews wird neuer Prior

Geistliche Gemeinschaft von Taizé tritt in neue Phase ein

Taizé ‐ Der Protestant und Taize-Gründer Frere Roger beschäftigte sich intensiv mit dem abendländischen Mönchtum und seinen Tücken – und traf Vorkehrungen, um Taize jung und frisch zu halten. Doch die Gründerjahre sind vorbei.

Erstellt: 30.11.2023
Aktualisiert: 22.11.2023
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Von Alexander Brüggemann (KNA)

Es ist mehr als ein bloßer Stabwechsel bei der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé: Der deutsche Katholik Frère Alois (69), Nachfolger des Gründers und Schweizer Protestanten Frère Roger (1915-2005), gibt zum Ersten Advent nach 18 Jahren die Leitung ab. Ihm folgt der englische Anglikaner Frère Matthews (58, Bild am Seitenanfang) als dann dritter Prior der Brüdergemeinschaft, die seit Jahrzehnten Generationen von Jugendlichen weltweit für ein christliches Leben mobilisiert. Eine Verjüngung, ja; aber auch ein Zeitenwechsel, der nicht ohne Risiken ist.

Der Calvinist Frère Roger setzte sich zeitlebens stark mit dem abendländischen Mönchtum auseinander – und er gab am Ende für seine Gemeinschaft von Taizé die Parole aus: den Blick immer nach vorn, nie zurück. Nicht erstarren, nichts besitzen, immer neu zuhören und erneuern. Reisen mit leichtem Gepäck.

Bild: © KNA

Frère Roger, Gründer der Taizé-Gemeinschaft

Es gehört zu den Ironien der Kirchengeschichte, dass gerade die großen Reformorden einem paradoxen Zyklus unterlagen. Gegründet von glühenden Asketen, die das radikale Armutsideal des benediktinischen Mönchtums erneuern wollten, zogen sie mit ihrer Strahlkraft Tausende in ganz Europa an: erst Tausende junger Männer, die ein anderes Leben suchten; dann Tausende frommer Stiftungen, mit denen der Adel sein ewiges Seelenheil zu befördern wünschte.

Aus radikal armen Bewegungen wurden so mächtige Kloster-Imperien, die sich über ganz Europa erstreckten. Das wohl bekannteste war Cluny, das nur wenige Kilometer von Taizé entfernt liegt. Dort entstand mit dem Wohlstand eine Art Gebetsbeamtentum – und die damals größte Kirche der Christenheit. Selbst deren Bruchteil wirkt heute noch als Ruine imposant.

Offenheit und Vorläufigkeit als Maxime

Der heilige Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153), die Gründerfigur der Zisterzienser, kritisierte die Entwicklung in Cluny und empfahl seinen eigenen Brüdern: „Was immer man euch anbieten mag, weist es zurück, wenn es nicht mit eurem Heil verbunden ist.“ Und doch war es gerade Bernhards eigene moralische Autorität, die den Zisterziensern geistliche Berufungen und geschenkte Ländereien nur so zufliegen ließ.

Seit Franz von Assisi (1181/82-1226) und seinem Bettelorden der Franziskaner gibt es dann auch eine gezielte Einflussnahme der wissenschaftlichen Theologie. Das geistliche Testament des heiligen Franziskus wurde durch eine Heerschar von Kirchenrechtlern zerpflückt; ein theologischer Streit um die Armut der Kirche brach aus.

Bild: © KNA

Taizé-Brüder beim gemeinschaftlichen Gebet

Frère Roger hat all diese Fälle studiert – und er sagte konsequent Nein: kein persönlicher und auch kein kollektiver Besitz, keine Rechtstitel, keine Archive. Erbschaften, Spenden und andere Zustiftungen werden an Bedürftige weitergereicht. Nur was die Brüder durch Töpferarbeiten selbst erwirtschaften, unterhält die Gemeinschaft.

Offenheit und Vorläufigkeit zur eigenen Maxime zu erklären, kann für eine entstehende Gemeinschaft fruchtbar und weise sein. Und der Verzicht auf Fixierungen hatte ja seit Frère Rogers Anfängen in Taizé auch Erfolg. Doch inzwischen hat Taizé längst eine eigene Geschichte und Tradition. Und 15 der heute rund 90 Brüder, so räumt der künftige Prior Frère Matthews ein, haben den charismatischen Gründer und seine Wegweisungen gar nicht mehr live erlebt.

Andere Zeiten, andere Strukturen

Schon Jahre vor dem Tod Frère Rogers 2005 war der Katholik Frère Alois so etwas wie der auserwählte Sohn des Gründers; „Erzengel“ nannten ihn die Brüder freundlich-spöttelnd. Über 18 Jahre gelang es ihm, das Charisma des Anfangs in eine damals noch nicht gewisse Zukunft zu tragen. Zugleich setzte Frère Alois neue Akzente, indem die Gemeinschaft mit kleinen Kommunitäten konsequent in andere Länder ausgriff, meist im globalen Süden. Und er und seine Brüder mussten lernen, jenen Menschen beizustehen, die auch in ihrer Mitte Opfer von sexuellem Missbrauch wurden. Seither läuft auch der Kampf um Aufarbeitung und neues Vertrauen.

Alles in allem: Das romantische Bild der 70er Jahre vom frommen Mann und seinen Brüdern auf dem Hügel verblasst allmählich; muss zwangsläufig verblassen in einer Zeit, in der auch die Bindung der Jugend an eine verfasste Religion und an Institutionen allgemein zurückgeht. Das Kapital von Taizé ist, Resonanzraum zu sein für die Sinnfragen, die die Jugendlichen hierher mitbringen.

Frere Alois Löser, Prior der Communaute von Taize, am 6. Januar 2023 unter den Kolonnaden des Petersplatzes im Vatikan.
Bild: © Fabio Pignata/Romano Siciliani/KNA

„Vielleicht sind wir bis jetzt immer noch in der Anfangszeit gewesen“, sagt Frère Alois im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Es stimmt, dass wir wenig Strukturen haben. Aber wir spüren nun, im Übergang zu einem neuen Prior, dass für die Kontinuität auch gewisse Strukturen notwendig sind: mehr Beteiligung aller Brüder an der Entscheidungsfindung, auch in materiellen und pastoralen Fragen.“

Denn sie spüren auch in Taizé längst: Gemeinschaft ist kein Selbstläufer, sondern auch Arbeit, Verzicht – und Verlust. Das lebenslange Versprechen konnten nicht alle Taizé-Brüder halten. Frère Max (Thurian, 1921-1996), Mitbegründer und theologischer Kopf von Taizé, konnte die fest erwarteten Fortschritte in der Ökumene nicht abwarten und wurde katholischer Priester; dennoch besuchte er seine einstigen Brüder jede Woche. Frère Wolfgang (Klaus Homburger, 68) trat 2011 nach 35 Jahren aus und wurde Krankenhausseelsorger. Auch andere Brüder verließen die Gemeinschaft.

Internationale Gemeinschaft

Frère Alois setzt für Taizé vor allem auf die Einheit in Vielfalt. Er sagt: „Die Tatsache, dass wir täglich in aller Welt mit den Jugendlichen zusammenleben und Antworten auf ihre Fragen suchen, hält uns jung.“ Im Umgang mit Armut, Kriegen, Klimakrise könne man sich in Taizé nicht auf sich selbst zurückziehen und „unser Leben nur unter uns leben“. Und auch das Interkulturelle der Gemeinschaft sei „ein großer Schatz – und gleichzeitig eine große Aufgabe, an der wir weiter arbeiten müssen“.

Es ist nun an seinem Nachfolger Frère Matthew, die knapp 90 Brüder mit unterschiedlichen Mentalitäten aus 30 verschiedenen Ländern in eine neue Lebensphase und in eine gemeinsame Zukunft zu führen. Dafür will er in den ersten Monaten über den Winter viel zuhören. Der Konzilspapst Johannes XXIII. (1958-1963) nannte Taizé einst einen „kleinen Frühling“ für die Ökumene. Nun soll es dort allmählich Sommer werden.

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