Autos fahren durch überfüllte Straßen und Menschen gehen an Bretterbuden vorbei in Antananarivo (Madagaskar) am 14. Februar 2023.
Oppositionskandidaten fordern Wähler zu Boykott der Urnen auf

Präsidentenwahlen im armen Madagaskar – ohne Chance auf Wandel

Antananarivo  ‐ Auf Madagaskar stehen am Donnerstag zwar Präsidentenwahlen an. Doch die Opposition tritt letztlich gar nicht an. Einblicke in ein Land mit größten Problemen.

Erstellt: 14.11.2023
Aktualisiert: 14.11.2023
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Von Alexander Brüggemann (KNA)

Der Wahlkampf von Andry Rajoelina sieht zumeist so aus: Der frühere DJ und Unternehmer, seit 2019 Staatspräsident Madagaskars, schwebt mit seinem Helikopter ein, hält eine Rede mit knackigen Versprechungen. Währenddessen lässt er jene leuchtend orangen T-Shirts mit seinem Konterfei verteilen, die seit Jahren in ungezählten Dörfern und Städten im Land zu sehen sind. Dann entschwebt der Präsident wieder. Spötter behaupten, diese Schwebe-Taktik sei die einzige Chance für den 49-Jährigen, den desolaten Zustand der Straßen nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen.

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Für Donnerstag stehen im armen Madagaskar, der größten Insel Afrikas, Präsidentenwahlen an. Das oberste Verfassungsgericht hat ein Dutzend Kandidaten zugelassen. Präsident Andry Rajoelina kandidiert erneut. Allerdings: Die Opposition gegen ihn hat letztlich vor dem Urnengang zurückgezogen, ruft die eigenen Wähler zum Boykott auf.

Das Szenario zuletzt: Alle elf Oppositionskandidaten hatten einen Block gegen Rajoelina gebildet – weil dieser staatliche Mittel, Verwaltungen und Institutionen für seine Zwecke nutzte. Dieser Block war daher gar nicht erst in den aktiven Wahlkampf eingetreten, sondern hatte versucht, den Amtsinhaber als korrupt und unglaubwürdig zu delegitimieren. Inzwischen droht die ganze Wahl zur Farce zu werden.

Zur Wahl steht die alte Garde

Als Hauptgegner Rajoelinas hatten sich seine beiden Amtsvorgänger positioniert, der Unternehmer und „Joghurt-Mogul“ Marc Ravalomanana (73; Präsident 2002-2008) und Hery Rajaonarimampianina (65; Präsident 2014-2018). Und auch ein Neffe des 2021 gestorbenen Langzeitpräsidenten Didier Ratsiraka (1975-1991 und 1997-2002) kandidiert: Roland Ratsiraka (57), Ex-Minister, Parlamentsabgeordneter und Bürgermeister der Hafenstadt Toamasina.

Frank Wiegandt, Länderreferent beim bischöflichen Hilfswerk Misereor, kommentiert die Kandidatenliste so: „Damit wäre die gesamte alte Garde derer, die den kontinuierlichen wirtschaftlichen Niedergang des Landes mitverschuldet haben, wieder komplett. Ein Neuanfang sieht anders aus.“ Die Form der Demokratie und freier Wahlen werde zwar gewahrt – „aber es handelt sich um eine leere Form“, so Wiegandt. Die Wahl sichere „letztlich nur den Zugriff auf Macht und Ressourcen der immer wieder gleichen korrupten Wirtschaftseliten“. Für die Mehrheit der verarmten Landbevölkerung ändere sich nichts.

Weniger kritisch sieht das Kandidaten-Tableau Constantin Grund, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Antananarivo. Natürlich seien viele der Kandidaten seit Jahren gut bekannt. Aber: „Eine enge Elitenzirkulation kennen wir schließlich auch aus Deutschland.“

Auch wenn Reiseführer immer noch ein touristisches Naturparadies mit einzigartigem Artenreichtum versprechen können; oder zumindest Reste davon: Madagaskar gehört zu den Armenhäusern der Welt. Das müsste nicht so sein. Aber rasantes Bevölkerungswachstum (1960: 5 Millionen; 2020: 28 Millionen; 2050: 50 Millionen), Umweltschäden und grassierende Korruption lassen das fruchtbare Land mit seiner multikulturellen Gesellschaft auf der Stelle treten. Hinzu kommen immer häufiger unverschuldete Einflüsse des Klimawandels wie Tropenstürme, Dürren oder Heuschreckenplagen.

Grund meint dazu: „Die Menschen ziehen noch keine Verbindung zwischen dem Schutz der Natur und etwa der Verschlechterung der Bedingungen für Agrarproduktion. Dies führt dazu, dass Madagaskar von einem Exporteur zu einem Importeur von Reis geworden ist.“

Opposition boykottiert Urnengang

Auf Madagaskar leben 18 Ethnien, dominiert von den beiden asiatischstämmigen Völkern im Hochland. Die afrikanischstämmige Bevölkerung des Tieflands ist unterprivilegiert, in der Summe weniger gebildet und hat weniger Zugang zu Ressourcen und guten Jobs. Macht, Einfluss und Geld konzentrieren sich in den Händen einiger weniger.

Korruption ist endemisch im Land; ebenso die gewaltsame Beschlagnahmung traditioneller Landflächen und Ernten, für die Kleinbauern keinen Rechtstitel nachweisen können. Ketakandriana Rafitoson, Direktorin von Transparency International Madagascar, beklagt: „Der Raum für die Zivilgesellschaft wird kleiner.“ Die Covid-19-Pandemie habe das noch verschlimmert.

Eine Einschätzung hört man häufig: Präsident Rajoelina habe einen leidlich besseren Job gemacht als seine Vorgänger. Doch auch der Ex-DJ, der nach einem Putsch 2009 schon einmal fast für fünf Jahre als „Übergangspräsident“ regierte, sei eher ein Strohmann von Wirtschaftsbossen, die hinter den Kulissen Regie führten und eigene Interessen verfolgten. Etwa der Multimillionär Mamy Ravatomanga, gegen den Frankreichs Justiz unter anderem wegen Geldwäsche und Schmuggels ermittelt. Einem hochrangigen Kirchenführer soll Präsident Rajoelina sogar im Vertrauen gesagt haben: „Ich möchte ja Dinge verändern – aber mir sind die Hände gebunden.“

Bild: © Romano Sicilani/KNA

Straßenszene in Madagaskar (Archiv)

Durch den Boykott der Opposition kann sich der Amtsinhaber Rajoelina schon jetzt als Sieger fühlen. Denn auch das einzige wirkliche Schwergewicht gegen ihn, Ex-Präsident und Multimillionär Ravalomanana, will dem Wahlprozess fernbleiben. Nur falls er die Stichwahl erreichte und alle anderen Kandidaten ihn dann unterstützten, könnte er es schaffen, prognostizierte Misereor-Referent Wiegandt im Vorfeld. Die Macht zu erringen wohlgemerkt, nicht das Land zu verändern.

Als Bürger von Madagaskar eine informierte und gewissenhafte Entscheidung zu treffen, ist nicht leicht. Viele Medien sind seicht, werden eher als manipulativ denn informativ wahrgenommen. Und sicher ist: Die Eliten haben es nicht gern, wenn man ihnen auf die Füße tritt. Als vor einigen Monaten ein protestantischer Geistlicher die übelsten politischen Missstände offen im Gottesdienst ansprach und den Mächtigen ins Gewissen redete, gab es einen landesweiten Aufschrei.

Doch nicht etwa die peinlichen Sachfragen wurden in den Medien diskutiert, sondern: Wie konnte er eine solch unverschämte Brüskierung wagen? Und: Wie kann man solche Vorfälle in Zukunft unterbinden? Man sitzt einfach gerne bequem als Präsident – und hat es zugleich gern, wenn es dem Vorgänger schlecht ergeht. Bei seinem Putsch 2009 ließ der heutige Präsident Rajoelina die Stallungen von Ravalomananas Großmolkerei TIKO von der Polizei umstellen, bis das Vieh verhungert war. Auch das ist ein Teil der politischen Kultur in Madagaskar.

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