Eine Delegation des Bischöflichen Hilfswerks Misereor steht mit Dorfbewohnern und Kindern am 16. Februar 2023 vor einer neu erbauten Schule bei deren Einweihung in Ambalamanakana (Madagaskar).
Eine Schule für die Kinder von Ambalamanakana

Madagaskars weite Wege zu Bildung sollen kürzer werden

Ambalamanakana/Ambositra ‐ Fünf Kilometer Fußweg zur Schule sind hart für Erstklässler; erst recht entlang der LKW-Straße. Dennoch: Madagaskars Weg zu Entwicklung führt nur über Bildung. Es gibt kluge Ideen – und viele Frauen der Dörfer machen mit.

Erstellt: 23.02.2023
Aktualisiert: 21.02.2023
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Von Alexander Brüggemann (KNA)

Es ist ihr aller großer Tag. Sogar das Wetter ist heute auf ihrer Seite. Die Regenzeit im Hochland Madagaskars hat eine kleine Pause eingelegt; und so leuchten, vor blauem Himmel und weißen Wolken, ihre schönsten Kleider in allen Farben. Es ist Schuleröffnung – die erste in der Geschichte des Dorfes. Den Leuten von Ambalamanakana steht der Stolz in die Augen geschrieben. Doch in den Gesichtern ist auch zu lesen, wie hart das Leben ist, das sie an anderen Tagen zu leben haben.

Die neue Schule aus geschlämmtem Lehm und einem schicken Strohdach haben viele aus dem Dorf in Eigenarbeit gebaut; weil sie überzeugt sind, dass frühe Bildung für ihre Kinder entscheidend ist. „Damit sie ein besseres Leben bekommen“, wie ein junger Vater in der Elternversammlung sagt. Andere im Dorf haben nicht mitgemacht bei der Schulidee. Sie stehen am Rand ihrer Äcker; neugierig, etwas unentschlossen und vielleicht auch ein bisschen neidisch, was da weiter unten im Dorf heute vor sich geht.

Frauen treiben die Veränderungen voran

Präsident des Elternrates ist – natürlich – einer der Dorfältesten. Würdig, wortstark und im weißen Trenchcoat leitet er die Versammlung. Doch der Rest des Präsidiums sind junge Mütter; und man ahnt, wer beim Fortkommen des Projekts tatsächlich die Fäden in die Hand genommen hat. Überhaupt sind der weitaus größere Teil der Anwesenden Frauen; sie treiben die Veränderung in den Dörfern voran, sagt Taratra Rakotomamonjy, Geschäftsführerin des Projekts Vozama.

Vozama will Schulbildung in abgelegene Dörfer bringen. Die Organisation, die auch ein Büro in der 40 Kilometer entfernten Regionalstadt Ambositra unterhält, hat in 26 Jahren schon gut 670 Vorschulen errichtet – bzw. die Bewohner, vielfach selbst Analphabeten, überzeugt, Verantwortung für die Zukunft ihrer Kinder zu übernehmen und selbst anzupacken. Das Prinzip: Wo Erstklässler fünf Kilometer und mehr zu Fuß zur Grundschule gehen müssten, soll eine eigene Schule her.

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Wo das gelingt, bezahlt Vozama einen Hilfslehrer, den die Organisation selbst aus den Dörfern rekrutiert und selbst aus- und regelmäßig weiterbildet. Zwei Jahre lang, als Vier- und Fünfjährige, dürfen die kleinen Kinder dann in die Dorfschule. Mit Singen, Tanzen und einfacher Didaktik werden sie an regelmäßige Abläufe, an Buchstaben und Zahlen, aber auch an Grundlagen der Hygiene herangeführt. Ein weißes Tuch zum Händewaschen gehört zur Grundausstattung. Erst als Sechsjährige, in der zweiten Klasse, wenn eine knappe Stunde Fußmarsch medizinisch zumutbar ist, werden die Schülerinnen und Schüler fortan in die nächstgelegene staatliche Grundschule gehen.

Oberhalb des Dorfes, in der Kirche an der Durchgangsstraße, findet heute, wie alle zwei Monate, die Fortbildung von einem guten Dutzend Hilfslehrer aus der Region statt. Draußen vor der Tür kochen zwei Frauen schon die Mittagsmahlzeit für die Teilnehmer; denn die haben selbst weite Wege für das Treffen auf sich genommen. 90 Prozent der insgesamt 500 Hilfslehrer von Vozama sind – natürlich – Frauen; eine hat ihren Säugling mitgebracht, der während des Unterrichts vor der Kirche von einem jungen Mädchen versorgt wird.

Zur Hungerzeit kommen Schülerinnen und Schüler nicht zum Unterricht

Erst zögerlich, dann immer mutiger, berichten die Teilnehmer über die Freude, aber auch die Beschwernisse ihres Berufes, den manche nun schon seit 20 Jahren ausüben. „Ich liebe Kinder – und ich will, dass sie klug werden und leuchten“, sagt eine. Traurig sei, wenn in der Hungerzeit, im Frühjahr, wenn der neue Reis noch nicht reif ist, viele Schülerinnen und Schüler nicht zum Unterricht kommen, sagt eine andere. Am Ende fasst sich auch ein Mann um die 50 ein Herz. Manchmal sei es schwer, die eigene Motivation hochzuhalten, wenn man so wenig verdient, sagt er mit wackerem Lächeln und fester Stimme.

80.000 Ariary, 20 Euro, bekommen sie im Monat; das ist ein Drittel des staatlich verordneten, aber kaum je eingehaltenen Mindestlohns. Die Dorfeltern strecken sich mächtig, um 25 Prozent des Gehalts aufzubringen; die übrigen drei Viertel schießt Vozama zu. Erst neulich hat die Organisation, auch mit Hilfe des kirchlichen Hilfswerks Misereor aus Deutschland, den Lohn um 6.000 Ariary anheben können – doch die Preise für Reis und andere Güter galoppieren davon.

Vorschulkinder am 16. Februar 2023 bei der Einweihung ihrer Dorfschule in Ambalamanakana (Madagaskar).
Bild: © Alexander Brüggemann/KNA

Zur Einweihung ein Zebu-Rind

„Natürlich würden wir gerne mehr bezahlen“, sagt Leiterin Taratra Rakotomamonjy. Aber es geht auch darum, alle mit gleichem Maß zu behandeln – und zugleich das Netz der Dorfschulen weiter aufzubauen, wo der schwache madagassische Staat versagt. So gilt es auch für die Eltern in den Dörfern, die Begeisterung des Anfangs aufrechtzuerhalten – und auf Dauer den Eigenanteil an den Lehrergehältern zu erhöhen.

In Ambalamanakana gibt es zum Höhepunkt der Einweihungsfeier ein Festessen. Ein Zebu-Rind wurde geschlachtet; es gibt roten Reis und einen Eintopf mit Kürbisblättern. Dass die Kinder ihre Festtagsportion bis zum Tellerboden auslöffeln, gehört zu den Erstaunlichkeiten dieses besonderen Tages. Ab morgen wird dann wieder Alltag sein im Dorf; doch ein hoffentlich besserer.

Oben, an den Schlaglöchern der National Sept, der einzigen, rumpeligen „Schnellstraße“ zwischen der Hauptstadt Antananarivo und dem verarmten Tiefland im Süden, läuft ein tristes Alternativprogramm: Alle Naselang hocken lumpige Kinder und riegeln dort, wo die Geländewagen und LKWs abbremsen müssen, die Straße ab und fordern Wegegeld. „Gib! Gib!“, rufen sie beharrlich, fast böse. Zur Schule gehen diese Kinder nicht – und werden wohl es auch nicht mehr. KNA

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