Indigenen-Verbände kündigen „Woche des Schweigens“ an

Australien sagt Nein zu Aufnahme der Aborigines in Verfassung

Sydney  ‐ Mit großer Mehrheit haben die Australier per Volksabstimmung eine Aufnahme der Ureinwohner in die Verfassung abgelehnt. Nur in der linksliberalen Mittelschicht der Metropolen gab es ein Ja.

Erstellt: 17.10.2023
Aktualisiert: 17.10.2023
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Von Michael Lenz (KNA)

„Schlecht definiert, zu emotional und elitär: Warum die Mehrheit mit Nein gestimmt hat“. So fasst die Zeitung „Sydney Morning Herald“ die Stimmung der Leserbriefschreiber zum Ausgang des Referendums zusammen. Landesweit sagten am Wochenende 61 Prozent der Australier Nein zur Aufnahme eines „Indigenous Voice to Parliament“ in die Verfassung; das Beratungsgremium für Parlament und Regierung sollte als Stimme der Ureinwohner installiert werden. Doch in den sechs australischen Bundesstaaten stimmten zwischen 55 Prozent und 69 Prozent dagegen. Für den Erfolg von Volksabstimmungen schreibt das Gesetz sowohl ein landesweites Ja als auch Mehrheiten in den Bundesländern vor.

Die Debatte über die Ursachen des eklatanten Fehlschlags begann unmittelbar nach der Volksabstimmung mit gegenseitigen Schuldvorwürfen und Spekulationen über die Zukunft der Labour-Regierung von Premierminister Anthony Albanese. Das „Duo Dutton-Price“ werde bei der nächsten Wahl „unglaublich stark“ sein, jubelt die konservative Oppositionskoalition. Deren Anführer Peter Dutton von der Liberalen Partei und vor allem Senatorin Jacinta Nampijinpa Price von der Nationalen Partei waren die Wortführer des Nein-Lagers.

Price, Tochter einer weißen Mutter und eines Aboriginal-Vaters, war mit ihrer eloquenten Ablehnung der „Voice“ zum politischen Star aufgestiegen. Immer wieder betonte die 42-jährige Ex-Sängerin, die Australier seien nicht rassistisch; aber es müssten endlich echte Lösungen der mannigfaltigen sozialen und wirtschaftlichen Diskriminierungen der Aborigines auf den Weg gebracht werden. Mit einem weiteren Gremium der Ureinwohner werde dieses Ziel nicht erreicht.

Den Ton setzte Price 2022 mit ihrer vielbeachteten Jungfernrede im Senat: „Mein Ziel ist, der sinnlosen Zurschaustellung von Rechtschaffenheit ein Ende zu setzen und mich auf Lösungen zu konzentrieren, die echte Veränderungen für das Leben der am stärksten gefährdeten Bürger Australiens mit sich bringen.“ Wie ihr „Vorgänger“ Neville Bonner sei sie überzeugt, dass „Wirtschaft und Arbeitsplätze Schlüssel zur wirtschaftlichen Gesundheit einer Gemeinschaft, nicht die Fesseln der Sozialhilfeabhängigkeit“ seien. Bonner war von 1971 bis 1983 der erste Senator aus den Reihen der Aborigines in Australiens Geschichte.

Mit ihrem Standpunkt traf Price die Stimmung vieler Australier und bestätigte zahllose, im Auftrag der Regierungen als auch von unabhängigen Institutionen erstellte Untersuchungen der Lebenssituation der Ureinwohner. So hieß es 2021 in einer Studie des Centre for Independent Studies (CIS), die Lebensbedingungen, Bildungs- und Beschäftigungschancen und Lebenserwartung der australischen Ureinwohner in den abgelegenen Regionen lägen auf dem Niveau von Entwicklungsländern. Ken Wyatt, damals Minister für indigene Angelegenheiten der konservativen Regierung, bestätigte zerknirscht die niederschmetternde Diagnose des CIS.

Verband ruft zu Woche des Schweigens auf

Die Regierungen jeglicher politischer Couleur hatten in den vergangenen Jahrzehnten mit vielen Milliarden vergeblich versucht, die tiefe Kluft zwischen den Ureinwohnern und weißen Australiern zu schließen. Den mangelnden Erfolg dieser Maßnahmen führen Kritiker wie Price auf zuviel Bürokratie, Planung von oben herab und eine fehlende Einbeziehung der Ureinwohner zurück. Oppositionsführer Dutton sagte nach dem Referendum: „Das bedeutet, dass man weniger auf Aktivisten und mehr auf die Menschen aus diesen Gemeinschaften [...] hören sollte.“ Allerdings: Duttons Liberale Partei regierte seit 1949 zusammengerechnet etwa 50 Jahre, die Labour-Partei knapp 24 Jahre.

Sydneys katholischer Erzbischof Anthony Fisher warnte nach dem Referendum vor Triumphalismus wie auch vor Defätismus. Aus Rom, wo er an der vatikanischen Weltsynode teilnimmt, sagte Fisher, er hoffe, dass die Ablehnung einer verfassungsrechtlich verankerten Stimme im Parlament ​​nicht als Ablehnung des laufenden Versöhnungsprozesses verstanden wird.

Indigenen-Verbände riefen unterdessen über Soziale Medien zu einer „Woche des Schweigens“ auf. Man werde die Ablehnung nun schweigend betrauern und über die Konsequenzen nachdenken.

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