Geschichte einer Entfremdung

Jesuiten gegen Ortega: „Nicaragua ist kein Rechtsstaat mehr“

Managua ‐ Nach der Beschlagnahmung der von den Jesuiten betriebenen Zentralamerikanischen Universität in Managua kritisiert ihr Sprecher das nicaraguanische Regime scharf. Einst hatte der Orden die sandinistische Revolution unterstützt.

Erstellt: 04.09.2023
Aktualisiert: 04.09.2023
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Von Tobias Käufer (KNA)

Fast täglich treffen Solidaritätsadressen ein: aus Peru, der Dominikanischen Republik, aus Panama. Doch an der Sachlage ändern auch die aufmunternden Worte aus den Reihen der lateinamerikanischen Kirche nichts. Das sandinistische Regime von Präsident Daniel Ortega und seiner Frau und Stellvertreterin Rosario Murillo setzt seinen Kreuzzug gegen die katholische Kirche in Nicaragua fort. Jüngstes Opfer: Die bislang von den Jesuiten betriebene und über die Landesgrenzen hinaus anerkannte Zentralamerikanische Universität (UCA) in der Hauptstadt Managua.

Innerhalb weniger Tage wurde die Universität erst geschlossen, dann von staatlichen Stellen übernommen und das Vermögen konfisziert. Die Uni sei ein „Zentrum des Terrorismus“ gewesen, lautete die Begründung. Tatsächlich hatten sich auch von hier aus Studentenproteste ausgebreitet. Erst gegen die massive Umweltzerstörung durch Brandrodung, dann gegen die staatliche Repression durch Polizeiknüppel und Pistolenkugeln.

In den 80ern wollten die Sandinisten Demokratie

In einem Interview mit dem Portal „Infobae“ fasste Jose Maria Tojeira, Sprecher der zentralamerikanischen Jesuiten, die Stimmungslage so zusammen: „Solange wir irgendwie weiterarbeiten können, werden wir weiterarbeiten. Was wir hier haben, ist absolute Willkür und Missachtung des Gesetzes. Für mich gibt es in Nicaragua keinen Rechtsstaat, sondern nur den Willen der Machthaber.“

Die Situation habe sich im Vergleich zu den 80er Jahren völlig verändert, als die Jesuiten die damalige sandinistische Revolution unterstützten. Damals sei es eine ganz anderes Regierung gewesen, so Tojeira. „Damals war von Demokratie die Rede. Als sie die Wahlen verloren, übergaben sie die Macht an andere. Es gab interessante Projekte zur Agrarreform und auch zur Alphabetisierung.“ Pater Fernando Cardenal, ein Jesuit, leitete damals Alphabetisierungskampagnen, mit denen die Analphabetenrate von 50 Prozent auf 13 Prozent gesenkt worden sei, betont Tojeira. Viele Projekte seien auf das Gemeinwohl ausgerichtet gewesen. „Aber heute finden wir nichts Vergleichbares mehr.“

Menschen mit regierungskritischem Plakat auf Protestmarsch in Nicaragua. Plakat: "No nos maten - Nicaragua Libre"
Bild: © Dr. Klaus Ehringfeld/Adveniat

Menschen demonstrieren gegen das Ortega-Regime in Nicaragua

Bischof in Haft

Ganz überraschend sei für die Jesuiten die Entwicklung in Nicaragua nicht gekommen. „Wir wussten, dass etwas passieren könnte, weil wir gesehen hatten, was mit Bischof Rolando Alvarez geschehen ist, was mit einigen Medien geschehen ist, die beschlagnahmt wurden und deren Journalisten praktisch verbannt wurden, und was mit der Opposition passiert ist“, sagte Tojeira.

Bischof Alvarez sitzt weiter in Haft. Inzwischen treibt eine Initiative von zwangsausgebürgerten Oppositionspolitikern und Menschenrechtlern eine Initiative voran, die dafür werben soll, Alvarez für den Sacharow-Preis vorzuschlagen. Die Auszeichnung wird seit 1988 vom EU-Parlament an Menschen oder Organisationen verliehen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit einsetzen. Alvarez war im Februar wegen „Rebellion“ und Aufstachelung zum Widerstand zu 26 Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte sich für die Rechte der demonstrierenden Studenten und Oppositionellen eingesetzt und über Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua berichtet.

Gewalt gegen Proteste

Die Krise in Nicaragua begann im Jahr 2018, als Studierende zunächst gegen eine mutmaßlich von der linksregierten Regierung geduldete oder gar veranlasste Brandrodung in einem Naturschutzgebiet auf die Straße gingen. Schnell weiteten sich die Proteste landesweit aus. Das Ortega-Regime schlug die Demonstrationen mit brutaler Gewalt nieder, Pfarrer und Bischöfe öffneten ihre Kirchen, damit die Demonstrierenden Schutz vor den Polizeikugeln finden konnten.

Betroffene wie der in die USA ausgebürgerte Präsidentschaftskandidat Felix Maradiaga sehen das Vorgehen der Machthaber gegen die Kirche mit Sorge. Ortegas Ziel sei es, die „Stimme und sogar die Präsenz der Institution Kirche zum Schweigen zu bringen und vollständig auszulöschen, die aufgrund ihres moralischen Gewichts in Nicaragua ein Hindernis für die Pläne der Familie Ortega Murillo bildet, eine dynastische Diktatur zu festigen“, sagte Maradiaga jüngst der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

KNA

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