Neue Eskalationsstufe im Konflikt zwischen Staat und Kirche

Bischof Alvarez in Nicaragua zu 26 Jahren Haft verurteilt

Mit einem drakonischen Urteil will das sandinistische Regime in Nicaragua ein Exempel statuieren, um kritische Stimmen einzuschüchtern: Der Bischof von Matagalpa soll für mehr als 26 Jahre ins Gefängnis.

Erstellt: 13.02.2023
Aktualisiert: 13.02.2023
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Von Alexander Pitz (KNA)

„Ich will keinen neuen Märtyrer-Bischof in Lateinamerika“ – mit diesen Worten beorderte Papst Franziskus Managuas Weihbischof Silvio Baez schon vor einigen Jahren ins Exil. Nur widerwillig und „im Geiste des Gehorsams“ verließ der prominente Kritiker des sandinistischen Regimes Ende April 2019 seine Heimat Nicaragua. Die Entscheidung habe sein „Herz weinen lassen“, sagte Baez damals, der sich von anhaltenden Morddrohungen nicht einschüchtern lassen wollte.

Von Miami in den USA aus muss er jetzt hilflos zusehen, wie an einem Amtsbruder ein drastisches Exempel statuiert wird: Am Wochenende wurde Rolando Alvarez, Bischof von Matagalpa, im Schnellverfahren zu mehr als 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Der zuständige Richter in Managua bezeichnete Alvarez als „Landesverräter“, der sich des „Ungehorsams“ schuldig gemacht, die nationale Sicherheit untergraben und „Fake News“ verbreitet habe. Zusätzlich zur Haftstrafe wurden dem 56-Jährigen die nicaraguanische Staatsbürgerschaft und seine zivilen Rechte entzogen. Er werde bis zum 13. April 2049 in Haft sitzen und müsse eine Geldstrafe zahlen, so das Gericht.

Damit hat der Konflikt zwischen Staat und Kirche in Nicaragua eine neue Eskalationsstufe erreicht; Baez warf den Sandinisten nach Bekanntgabe des Urteils via Twitter „irrationalen und ungezügelten Hass“ vor. Doch wie konnte es so weit kommen? Noch vor wenigen Tagen sah es so aus, als wäre für Alvarez - nach monatelangem Arrest - die Freiheit zum Greifen nahe. Der Heilige Stuhl, die USA und Spanien hatten versucht, für ihn und andere Dissidenten eine Freilassung zu erwirken.

„Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich.“

—  Zitat: Mt. 5,10

Papst besorgt über Umgang mit Kirche und Opposition in Nicaragua

Papst Franziskus hat sich besorgt über den Umgang mit Angehörigen von Kirche und Opposition in Nicaragua geäußert. Er denke an den von ihm sehr geschätzten Bischof von Matagalpa, Rolando Alvarez, sowie an jene, die jüngst in die USA abgeschoben wurden, sagte das Kirchenoberhaupt am Sonntag auf dem Petersplatz. Die Nachrichten aus dem mittelamerikanischen Land hätten ihn tief betroffen gemacht, er bete für alle Leidtragenden, so Franziskus. Zudem bat er darum, „die Herzen der politischen Anführer und aller Bürger für die aufrichtige Suche nach Frieden zu öffnen“. (KNA)

Mit Erfolg: Am Donnerstag wurde eine Chartermaschine bereitgestellt, die mehr als 200 politische Häftlinge aus Nicaragua in die Vereinigten Staaten ausflog. Mit an Bord waren Oppositionspolitiker, Priester und Stundentenführer – praktisch alle namhaften Gegner von Machthaber Daniel Ortega. Auch Ex-Präsidentschaftskandidat Felix Maradiaga wählte den Weg ins Exil. US-Außenminister Antony Blinken sprach von einem konstruktiven Schritt, der die Chance zu einem neuen Dialog eröffne. Spaniens Außenminister Jose Manuel Albares kündigte an, den Abgeschobenen die spanische Staatsbürgerschaft anzubieten.

Doch Alvarez fehlte auf der Passagierliste. Wie aus seinem Umfeld bekannt wurde, weigerte er sich, das Flugzeug zu betreten. Er habe sich zum Bleiben entschieden, um den Katholiken des mittelamerikanischen Landes beizustehen, die unter diktatorischer Repression zu leiden hätten. Der Staatschef reagierte verärgert und ließ den Bischof vom Flughafen zurück in Polizeigewahrsam bringen. In einer öffentlichen Rede beschimpfte Ortega den Geistlichen, weil dieser sich der angeordneten Ausweisung widersetzte. Wenig später folgte der drakonische Richterspruch.

Alvarez war bereits im August unter Hausarrest gestellt worden. Sein Schicksal sorgt seither international für Aufsehen. Ein Bild, auf dem zu sehen ist, wie er Gott auf Knien um Barmherzigkeit für bewaffnete Polizisten bittet, ging um die Welt. Mit ihm wurden seinerzeit zahlreiche weitere Priester festgenommen. Sie hatten – ebenso wie er – wiederholt die herrschenden Zustände in Nicaragua offen angeprangert.

Anschläge auf die Opposition werden nur selten aufgeklärt

Derlei Äußerungen sind in dem bitterarmen Land gefährlich. Immer wieder erleiden Regimekritiker „tragische Verkehrsunfälle“, mysteriöse Herzattacken oder sie verschwinden plötzlich – und tauchen nie wieder auf. Ernsthafte Untersuchungen solcher Fälle gibt es ebenso wenig wie eine unabhängige Justiz. Der aus Argentinien stammende Papst weiß das, weshalb er die Drohungen gegen Weihbischof Baez ernst nahm und diesen aus Managua abzog.

Mit öffentlicher Kritik am Ortega-Regime hält sich das Kirchenoberhaupt indes auffällig zurück – wohl um die verblieben diplomatischen Kanäle offen zu halten. Einige Stimmen warfen ihm zuletzt vor, sich nicht eindeutig hinter Alvarez zu stellen. Beim Mittagsgebet am Sonntag auf dem Petersplatz erklärte sich Franziskus nun vor aller Welt solidarisch mit dem Verurteilten: „Die Nachrichten aus Nicaragua haben mich tief betroffen gemacht.“ Er bete für den Bischof von Matagalpa, den er sehr schätze, und für alle anderen Leidtragenden.

Exil-Bischof Baez nahm die päpstlichen Aussagen mit Wohlwollen auf. Der 64-Jährige nutzt weiter seine beachtliche Reichweite über die sozialen Medien, um verbal gegen die Sandinisten zu schießen: „Sie haben nicht Rolando verurteilt, sie haben sich selbst verurteilt.“ Trotzig fügt er hinzu: „Er wird frei sein, Gott wird ihn nicht verlassen.“ kna

Kardinal Hollerich fordert die Freilassung von Bischof Rolando

Der Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE), Kardinal Jean-Claude Hollerjich SJ, fordert die Freilassung von Bischof Rolando und anderer Inhaftierter. In einem Brief an den Vorsitzenden der nicaraguanischen Bischofskonferenz, Carlos Enrique Herrera Gutiérrez OFM (Jinotega), schrieb Hollerich unter Bezug auf Mt 5,19:

Zweifeln Sie nicht daran, dass wir als COMECE vor den europäischen Institutionen alles in unserer Macht Stehende für Ihre Freilassung und die Förderung von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und Demokratie in Ihrem geliebten Land tun werden.“

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