Wie soll es nach dem Gefängnis mit dem 85-Jährigen weitergehen?

Deutschstämmiger Diktatur-Priester in Argentinien vor Haftende

Buenos Aires  ‐ Der in Argentinien landesweit bekannte Christian von Wernich war während der Militärdiktatur Polizeikaplan von Buenos Aires. Nach langer Haft wegen Beteiligung an mehreren Verbrechen könnte er bald entlassen werden.

Erstellt: 24.07.2023
Aktualisiert: 24.07.2023
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Von Tobias Käufer (KNA)

Ein Priesterseminar in Buenos Aires will die Aufnahme des wegen Beteiligung an Folter, Entführung und Mord verurteilten deutschstämmigen Priesters Christian von Wernich ablehnen. Das berichtet die Tageszeitung „Pagina 12“ unter Berufung auf Quellen aus der Einrichtung namens „Mariano Espinosa“.

Der ehemalige Polizeikaplan von Buenos Aires, der während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) ein einflussreicher Mann war, sitzt noch im Gefängnis „Campo de Mayo“. 2007 hatte ein Gericht eine lebenslange Haftstrafe gegen ihn verhängt. Doch nach Angaben der Verteidigung könnte der katholische Geistliche schon ab Montag entlassen werden. Vorher müsse der inzwischen 85-Jährige allerdings noch eine Reihe von Untersuchungen und Gesprächen absolvieren.

Nach Megaprozess verurteilt

Zurzeit sucht er offenbar eine Unterkunft, die ihn für den Fall der baldigen Freilassung aufnimmt. Laut „Pagina 12“ erhielt der Direktor des angefragten Priesterheims ein entsprechendes Ersuchen. Die Absage sei zwar noch nicht abgeschickt, gelte aber als sicher. In der Residenz habe der heutige Papst Franziskus während seiner Zeit in Argentinien kurzzeitig gelebt, heißt es. Vor seiner Wahl 2013 soll Jorge Mario Bergoglio den Wunsch geäußert haben, den Ruhestand im Seminar „Mariano Espinosa“ zu verbringen.

Das Gerichtsurteil gegen Christian von Wernich erging seinerzeit in La Plata, nachdem in einem Verfahren mehr als 120 Zeugen vernommen worden waren – darunter der Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel, der Bischof und Befreiungstheologe Miguel Hesayne sowie der Priester und Menschenrechtler Ruben Capitanio. Die Aussagen bestätigten unter anderem, dass von Wernich Folterpraktiken angewandt und sich an Scheinhinrichtungen beteiligt habe.

Der Prozess sorgte international für Aufsehen. Der Verurteilte selbst bezeichnete die Vorgänge als „Zirkus“. Lügen würden als Wahrheit dargestellt, schrieb er damals aus seiner Zelle, die er sein „kleines Klostergefängnis“ nannte. Er beteuerte nachdrücklich seine Unschuld.

Versteckt unter falschem Namen

Von Wernich war 2003 nach jahrelanger Flucht unter falschem Namen in Chile entdeckt worden. Seine Verurteilung führte zu Auseinandersetzungen innerhalb der katholischen Kirche Argentiniens. Ein Teil des Klerus forderte eine rigorose Aufklärung der Rolle der Kirche während der Militärdiktatur. Andere empfahlen, die Vorkommnisse ruhen zu lassen und eine Versöhnung anzustreben.

Von Wernich war 1974 zum Priester geweiht worden. Wenige Jahre später arbeitete er für die Polizei von Buenos Aires. Als Polizeikaplan hatte er auch Zugang zu verschiedenen Gefängnissen wie den berüchtigten Haftanstalten Puesto Vasco, Pozo de Quilmes sowie zur Ermittlungsbrigade von La Plata. Für seine Arbeit soll er vom Regime ausgezeichnet worden sein.

Während der Militärherrschaft in Argentinien verschwanden rund 30.000 Menschen: verschleppt in landesweit rund 500 Folterzentren, viele getötet, zum Beispiel mit dem Flugzeug über dem Meer abgeworfen. Verantwortlich waren Polizei und Armeeangehörige. Etliche Kirchenvertreter gerieten ebenfalls ins Visier von staatlich beauftragten Mördern: jene „Linken“, die sich für die Belange der Unterdrückten einsetzten.

KNA

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