Eine Fläche, die größer ist als ganz Bayern

Boliviens dramatische Zerstörung des Regenwaldes

La Paz  ‐ Jahrelang schaute die Welt wegen der Amazonas-Abholzung fast nur nach Brasilien. Im Schatten der Bolsonaro-Ära spielt sich in Bolivien ein ähnliches Drama ab.

Erstellt: 02.07.2023
Aktualisiert: 30.06.2023
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Von Tobias Käufer (KNA)

Bei klarer Sicht ist ein Flug über Bolivien ein echtes Erlebnis: Im Hintergrund die mächtigen Berge der Anden. Wenn man Glück hat, kann man am Horizont sogar den schneebedeckten Illimani erkennen, mit 6.439 Metern zweithöchster Berg Boliviens. Wer allerdings die Provinz Santa Cruz und den bolivianischen Amazonas überquert, kann auch etwas anderes erkennen: eine massive Umwandlung ehemaliger Waldflächen in Äcker. Wo früher Wald die Oberfläche bedeckte, sind heute schachbrettartige Felder zu sehen.

Jahrelang stand in der Ära des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien in der internationalen Berichterstattung vor allem die dortige Abholzung des Amazonas-Regenwalds im Fokus. In diesem dunklen Schatten entwickelte sich im linksregierten Bolivien ein ähnliches Drama. Doch das blieb sowohl medial wie auch politisch fast unbeachtet.

„Bolivien ist mit historischen Entwaldungsprozessen konfrontiert. In den vergangenen zwei Jahren gab es die höchsten in der Geschichte des Landes“, sagt Marlene Quintanilla, Direktorin für Forschung und Wissensmanagement bei der Fundacion Amigos de la Naturaleza (Stiftung Freunde der Natur, FAN) dem Umweltportal „Mongabay“.

Am Mittwoch berichtete die Tageszeitung „El Deber“: „Bolivien kann die Zerstörung seiner Wälder nicht aufhalten.“ 2022 habe das Land ein Rekordniveau an Entwaldung erreicht: 32 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit ist Bolivien im dritten Jahr in Folge weltweit das Land mit dem drittgrößten Verlust an Primärwald. Brasilien führt die Tabelle an. 2022 sind demnach 400.000 Hektar bolivianischen Waldes verloren gegangen.

Wirtschaftskrise verschlimmert die Lage

Es gebe praktisch keinen Mechanismus, um die Abholzung zu stoppen, kommentiert „El Deber“. Stattdessen befinde sich das Land auf dem entgegengesetzten Weg: Die aktuelle Politik treibe die Vernichtung des tropischen Primärwaldes voran.

Der linksgerichtete Präsident Luis Arce hat sich bislang nicht als Waldschützer hervorgetan. Einer seiner charismatischen Vorgänger, Evo Morales (2006-2019), hatte Brandrodung sogar ausdrücklich per Dekret erlaubt. Morales ging als der erste indigene Präsident des Landes in die Geschichte ein - und er ist und bleibt ein erbitterter Rivale seines Parteifreundes Arce um die Macht. Die Konsequenz der Pro-Abholzungspolitik des Sozialisten Morales bis 2019 waren damals auch verheerende Waldbrände, bei denen viele Feuerwehrleute wie auch Zivilisten ums Leben kamen.

Bolivien erlebt derzeit die erste schwere Wirtschaftskrise seit vielen Jahren. Entsprechend liegt der Fokus des unter Druck geratenden Präsidenten Arce auf der ökonomischen Entwicklung, nicht beim Umwelt- und Klimaschutz. Davon profitierten vor allem die Agrar-Industrie. Aber auch der Drogenanbau wuchs zuletzt – einer der Regenwald-Killer in Lateinamerika.

Gigantischer Verlust

Nach Erkenntnissen der Organisation Global Forest Watch ist die Hauptursache für den Waldverlust in Bolivien die landwirtschaftliche Produktion von Basis-Nahrungsmitteln. Und bislang hat sich Bolivien noch nicht der Erklärung von Glasgow angeschlossen, in der sich die Staats- und Regierungschefs der Welt zusammengeschlossen haben, um den Waldverlust bis 2030 aufzuhalten und umzukehren.

Nach Angaben von FAN und dem Amazonas-Umwelt-Informationsnetzwerk RAISG hat Bolivien in den zurückliegenden 37 Jahren 79.000 Quadratkilometer Wald verloren. Das entspricht einer Fläche, die größer ist als ganz Bayern oder als Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zusammen. Ein gigantischer Verlust an Wald, Biodiversität und Speicher von Treibhausgasen. Dies festzustellen, ist der erste Schritt zum Umsteuern.

KNA

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