Links-Ruck in Chile ist Geschichte
Santiago ‐ Schon mehrfach hat Chiles Linke versucht, eine neue Verfassung durchzusetzen. Die aktuelle stammt teils noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur. Bei Wahlen am Sonntag gewannen nun überraschend konservative Parteien eine Mehrheit im Verfassungskonvent.
Aktualisiert: 09.05.2023
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Mit solch einer herben Niederlage hatten selbst die Pessimisten im linken Lager nicht gerechnet: Laut chilenischen Medienberichten hat das konservative und rechtspopulistische Lager in dem südamerikanischen Land bei der Wahl zum Verfassungsrat einen Erdrutschsieg eingefahren und stellt wohl 33 der 50 Sitze.
Damit verfügt die Opposition über eine Drei-Fünftel-Mehrheit, die einen großen Gestaltungsspielraum beim Entwurf einer neuen Verfassung ermöglicht. Sind sich die rechten Parteien einig, können sie gemeinsame Entwürfe vorschlagen, korrigieren und durchsetzen. Am Ende entscheidet allerdings noch einmal das chilenische Volk. Und das hat – das zeigten bereits die ersten Abstimmungen – im historischen Ringen um eine neue Verfassung einen eigenen Kopf.
Gesucht wird eine neue Verfassung, die die alte, in Teilen noch aus der Zeit der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet (1973-90) stammende Version, ersetzen soll. Chiles junger linker Präsident Gabril Boric, seit über einem Jahr im Amt und in den Umfragen nicht sonderlich beliebt, blieb nichts anderes übrig, als der rechten Opposition einen ohnmächtigen Rat zu erteilen: Sie solle nicht die gleichen Fehler begehen wie sein eigenes Lager. Boric' konservativer Vorgänger Sebastian Pinera, der auf dem Höhepunkt der Sozialproteste 2019/2020 einer Wahl für einen Verfassungskonvent zustimmte, warnte später: Eine neue Verfassung sei kein Parteiprogramm.
Schwung der Sozialproteste ist abgeflaut
Die Chilenen hatten den ersten Entwurf eines neuen Grundgesetzes, der eine starke linke Handschrift trug, mit deutlicher Mehrheit ab. Die Wahlen und Arbeit waren umsonst. Nun gab es am Sonntag die Wahlen zum Verfassungsrat, der einen zweiten Anlauf versuchen soll.
Doch diesmal blieb vom Schwung und der Euphorie der Sozialproteste 2019 und 2020, die Boric letztendlich ins Amt spülten, gar nichts mehr übrig. Offensichtlich übertrug sich die Unzufriedenheit über die wachsende Unsicherheit im Land und die wirtschaftliche Entwicklung auch auf die Wahl zum Verfassungsrat.
Der große Gewinner des Abends ist Jose Antonio Kast (66), der bei der Präsidentschaftswahl Boric noch unterlag. Der Gründer der „Republikaner“ wird je nach politischem Standpunkt mal als rechtsextrem, ultrarechts, rechtspopulistisch, bürgerlich oder rechtskonservativ einsortiert.
Neue Abstimmung Ende des Jahres
„Heute gibt es nicht viel zu feiern, weil es Chile nicht gut geht“, sagte Kast am Abend. Von ihm wird es nun abhängen, wie der neue Verfassungsentwurf aussehen wird. Werden seine Republikaner einen zu rechten Entwurf vorlegen, könnte es gut passieren, dass die Chilenen erneut Nein sagen. Für Kast ist es aber auch die Chance, sich als moderater Politiker zu präsentierten, der mit Blick auf die nächste Präsidentschaftswahl die Mitte gewinnen will. Der grundsätzliche Wille, die Verfassung zu ändern, bleibt weiterhin bestehen. Nur über die Art und Weise und den Inhalt gibt es konträre Ansichten.
Gefragt ist jetzt zunächst eine Kommission aus Experten, die vom Parlament ernannt worden ist. Sie soll bis Ende Mai einen neuen Verfassungsentwurf erstellen. Der soll dann bis Anfang November von dem am Sonntag mit rechter Mehrheit gewählten Verfassungsrat überarbeitet werden. Im Dezember wird das Wahlvolk erneut zu den Urnen gerufen, um ein weiteres Mal über einen Entwurf abzustimmen.
KNA