Papst Franziskus lächelt und grüßt Menschen
Päpstlicher Wirbelwind vom anderen Ende der Welt

Seit zehn Jahren ist Franziskus im Amt

Vatikanstadt ‐ Fast hätte er schon 2005 Papst werden können; doch die Kardinäle entschieden sich für Joseph Ratzinger. Eher unerwartet wählten sie Jorge Bergoglio dann 2013. Kaum ahnend, wie sehr er die Kirche verändern würde.

Erstellt: 13.03.2023
Aktualisiert: 13.03.2023
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Von Roland Juchem (KNA)

Kurz vor dem Konklave, das im März 2013 den Nachfolger von Benedikt XVI. wählen sollte, machte unter den Kardinälen in Rom auch der Name Jorge Bergoglio die Runde. Doch war der 76-jährige Erzbischof von Buenos Aires nicht zu alt? „Nein“, meinte ein chilenischer Kardinal damals, „vier Jahre Bergoglio wären genug, um Dinge zu ändern.“ Inzwischen ist der erste Lateinamerikaner an der Spitze der katholischen Kirche fast zehn Jahre im Amt. Und hat viel verändert.

Als erstes zeigte sich das in seinem Umgangsstil. Schon unmittelbar nach seiner Wahl, in der Sixtinischen Kapelle. Nur in Weiß gekleidet, ohne den roten Schulterumhang der Monzetta, kam er aus dem Raum, in dem der zum Papst gewählte Kardinal sich umkleidet, zurück in die Sixtina. Anstatt gleich auf einem weißen Stuhl vor dem Altar sitzend die Glückwünsche der Kardinäle entgegenzunehmen, ging der Neue zuerst hinunter zu dem im Rollstuhl sitzenden indischen Kardinal Ivan Dias und umarmte ihn.

Der Papst aus Argentinien ist ein Mann der Gesten. Ob er sich auf der Loggia des Petersdoms verbeugt, um ein Segensgebet der Gläubigen entgegenzunehmen, ob er einen durch Krankheit entstellten Mann umarmt oder den Anführern südsudanesischer Bürgerkriegsparteien die Füße küsst, um sie um Frieden zu bitten. Unvergessen seine Andacht zu Beginn der Pandemie mit dem erstmals überhaupt sakramental erteilten Segen „Urbi et orbi“ am 27. März 2020 auf dem dunklen, verregneten, völlig leeren Petersplatz.

Allein seine Namenswahl war ein Fanal: Franziskus – der Revoluzzer-Heilige aus Assisi! Etliche Kardinäle waren glücklich, versprach der Name doch ein Reformprogramm, das sich viele erhofften. Anderen schwante Böses: „Das wird ein Desaster!“, soll noch in der Sixtina der slowenische Kardinal Franc Rode dem US-Amerikaner William Levada zugeraunt haben.

Franz von Assisi stand für Armut, Friedensdiplomatie und Liebe zur Schöpfung. Themen, die das Pontifikat Bergoglios seither prägen. Als Anwalt von Menschen am Rande, als Friedensdiplomat und Mahner für ökologische und soziale Nachhaltigkeit hat sich Franziskus immer wieder eingemischt. Mit unterschiedlichem Erfolg – ob in Zentralafrika, Myanmar, Südsudan, im Ukraine-Krieg oder in Pandemie und Klimakrise. Stärker als seine Vorgänger setzt er dabei auf die interreligiöse Zusammenarbeit.

Insgesamt brachte der Argentinier neuen Wind und neues Denken in das von mediterraner Mentalität und manch höfischen Mustern geprägte Zentrum der Kirche. Das zeigt sich auch an seinen Reisezielen und Kardinalsernennungen – mit Namen und Ländern, die es kaum in den medialen Mainstream Nordamerikas oder Europas schaffen. Die erste Reise unternahm Franziskus 2013 zu den ertrunkenen Bootsflüchtlingen vor Lampedusa. Um die Welt besser zu verstehen, müsse man sie von den Rändern her sehen, mahnte er wiederholt.

Franziskus geht es um anderen Umgangsstil

Aber während Franziskus in etliche Bereiche Bewegung bringt und für Umbrüche sorgt, bleibt er in anderen Fragen traditionell, beharrend, drängt auf Vertiefung. „Franziskus ist nicht liberal, er ist radikal“, sagte Kardinal Walter Kasper einmal mit Blick auf enttäuschte Reformerwartungen seiner Landsleute. Besonders deutlich ist das bei Franziskus' Mammut-Projekt für mehr katholische Synodalität.

Einerseits hat er die punktuellen Versammlungen der Bischofssynode zu einem längerfristigen Projekt mit Laienbeteiligung ausgeweitet. Doch während andere Reformer – nicht nur in Deutschland – auf konkrete Entscheidungen etwa in Sachen weiblicher Weiheämter, Pflichtzölibat oder Demokratisierung drängen, geht es Franziskus zunächst um einen anderen Umgangsstil in der Kirche. Welche konkreten Schritte daraus erwachsen und wann diese umzusetzen wären, kann sich für ihn erst später zeigen.

Und während er manche Entscheidungskompetenz aus dem Vatikan den Ortsbischöfen zurückgibt, behält er vieles andere sich selbst vor. Was sich auch bei seiner Kurienreform zeigt. Beraten von einem externen Kardinalsrat, unter teils frappanter Umgehung der Kurie reformiert Franziskus die Zentralverwaltung der Weltkirche – schritt- und teils auch probeweise. Den Gesamtentwurf der im April 2013 angekündigten Kurienreform gab es erst im März 2022.

Dass Reform für Franziskus in Kopf und Herz beginnt – und weniger mit Strukturen und Paragrafen, machte er in berüchtigten Weihnachtsansprachen an die Kurie deutlich. Wenn er von kurialen Lähmungen, Schizophrenie und Alzheimer sprach, wurde klar, wie er bisher am anderen Ende der Welt den Vatikan wahrgenommen hatte. Allerdings haben in seiner Amtszeit Tempo, Transparenz und Kooperationsfähigkeit der Kurie sich noch nicht sehr viel verbessert. Das zeigt sich trotz eines großangelegten Anti-Missbrauchsgipfels 2019 und daraus folgender Maßnahmen auch bei diesem Thema.

Wichtigste Aufgabe des Mannes aus dem Stuhl des Petrus ist es, die Einheit der Weltkirche zu wahren. Zwar gab es auch unter Johannes Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) Proteste und Kritik. Doch kein Papst brachte so viel Unruhe wie Franziskus. Was für ihn nicht negativ ist. „Macht Rabbatz!“, forderte er des Öfteren, wenn er zu jungen Menschen sprach. Nach zehn Jahren ist klar, wie sehr der Kardinal aus Chile Recht behalten hat: Die katholische Kirche unter Franziskus ist nicht mehr die gleiche.

Adveniat: Ein politischer Papst mit einem klaren Kompass für die Armen

Ein politischer Papst mit einem klaren Kompass für die Armen: So lautet das Fazit des Hauptgeschäftsführers des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Pater Martin Maier nach zehn Jahren Papst Franziskus. Der Argentinier und Jesuit Jorge Mario Bergoglio wurde am 13. März 2013 „vom Ende der Welt“ kommend, wie er selbst sagte, zum Papst gewählt. Die Bilanz nach zehn Jahren sei beeindruckend. „Papst Franziskus hat die Kirche zu einem weltweit geschätzten und vielbeachteten Global Player in der sozialen und der ökologischen Frage gemacht“, erklärt Pater Maier. Seine Sozialenzyklika „Laudato si‘„ über die Sorge für unser gemeinsames Haus habe in Politik und Wissenschaft ebenso für Furore gesorgt wie bei den Menschen, die – insbesondere in den südlichen Weltgegenden – am meisten unter den Folgen des menschengemachten Klimawandels leiden. Seine zahlreichen Treffen mit Migranten etwa an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, auf Lesbos, Malta und Zypern, in Italien, Bulgarien oder dem Südsudan rütteln die politisch und wirtschaftlich Mächtigen ebenso auf wie seine Reden gegen Ungleichheit und Ausbeutung und für soziale Gerechtigkeit vor der UN-Vollversammlung, dem US-Kongress und dem EU-Parlament.

„Für uns als Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat, das seit mehr als 60 Jahren mit seinen Projektpartnerinnen und Projektpartnern vor Ort den Teufelskreis von Hunger, Armut, mangelnder Bildung und Gesundheitsversorgung durchbricht, ist dieser politische Papst Franziskus Bestätigung und Rückenwind“, sagt Pater Maier. So habe die Amazonas-Synode den Fokus auf den Schutz der Regenwälder und der dort lebenden indigenen Völker gerichtet, für die sich Adveniat seit Jahrzehnten einsetzt. „Wie bereits meine Vorgänger hatte ich auch die Möglichkeit, persönlich mit Papst Franziskus zu sprechen und konnte ihm im vergangenen Jahr die Adveniat-Weihnachtsaktion vorstellen“, berichtet Pater Maier. Adveniat habe das offene Ohr des Papstes und mit ihm ein gemeinsames Projekt: pastoral und politisch Kirche an der Seite der Armen zu sein.

„Papst Franziskus ist unangepasst, unbequem, ungeduldig, aber manches Mal auch unbedacht und uneindeutig“, so Pater Maier. Insbesondere die jüngsten Äußerungen zum Synodalen Weg in Deutschland seien wenig hilfreich. „Auf den Spruch, dass es in Deutschland keine zwei evangelischen Kirchen brauche, hätte ich verzichten können“, kritisiert Pater Maier. Aber „Franziskus hat das Papstamt geerdet. Und das ist gut so. Denn wir brauchen eine arme Kirche für die Armen, die sich mit Haut und Haar auf die Menschen und ihr reales Leben einlässt.“ Papst Franziskus lebe den im Evangelium begründeten Auftrag Jesu, allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. „Er macht damit Ernst, indem er sich kompromisslos für Flüchtlinge einsetzt, Gefangenen die Füße wäscht, auf Kranke zugeht und strukturell die Option für die Armen in den Mittelpunkt kirchlichen Handelns stellt“, sagt Adveniat-Hauptgeschäftsführer Maier. „Der politische Papst Franziskus ist ein Glücksfall für die Armen und damit für die Welt und die Kirche.“ (Adveniat)

KNA

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