Zwei Viehhirten mit abgemagerten Rindern auf einem vertrockneten Feld am 23. November 2022 in Burao (Somalia).
Flucht vor dem Klimawandel

Das Horn von Afrika erlebt die schlimmste Dürre seit 40 Jahren

Hargeisa/Burao  ‐ Tausende Kamele, Ziegen und Rinder sind in den vergangenen Jahren verendet. Doch andere Einkommensperspektiven haben die Menschen in Somaliland nicht. Immer lebten sie als Viehhirten. Nun leiden sie unter der Dürre.

Erstellt: 10.12.2022
Aktualisiert: 09.12.2022
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Von Katrin Gänsler (KNA)

Deeqa Abokor Xasan kontrolliert den Zaun des kleinen Pferchs. Äste und Zweige sollen ihre weißen Ziegen hindern, abends stiften zu gehen. Der 55-Jährigen sind noch genau drei Tiere geblieben. „Zwei habe ich gerade verkauft“, sagt sie, weil sie so an etwas Geld kommen wollte. Umgerechnet 35 bis 70 Euro soll eine Ziege bringen.

Üblicherweise haben Frauen in Somaliland, die traditionell die Ziegen- und Schafherden besitzen, um die 250 Tiere, damit die Viehhaltung überhaupt rentabel ist. Dazu kommen pro Haushalt rund 20 Kamele und zehn Rinder. Doch Deeqa Abokor Xasan hat fast alles verloren, ist zum Flüchtling im eigenen Land geworden und auf Almosen angewiesen.

Seit 2017 lebt sie mit ihrem Mann, vier Kindern und zwei Enkeln im Flüchtlingscamp Guryo-Samo in der Nähe von Burao, der zweitgrößten Stadt von Somaliland. Schon vor fünf Jahren hat fehlender Regen sie dazu gezwungen, ihren Heimatort an der Grenze zu Äthiopien zu verlassen. Dürren gibt es seit Jahrzehnten am Horn von Afrika. Die Folgen werden aber immer gravierender, und eine Rückkehr in das alte Leben ist kaum noch möglich.

Guryo-Samo macht das deutlich. Die Binnenvertriebenen haben aus festen Plastikplanen Zelte gebaut. Wellblechhütten sind entstanden. Es gibt eine Moschee und eine völlig überlastete Schule. Cabdiraxman Abshir Falul, ein Mann mit weißem Haar und weißem Bart, unterrichtet dort. „Die Ausstattung ist schlecht und die Klassen viel zu voll“, kritisiert er. Vor allem gibt es keine Perspektiven und keine Jobs. „Wir sind auf Unterstützung angewiesen. Manchmal bekommen wir Bargeld, manchmal Getreide“, sagt Deeqa Abokor Xasan. Es ist gut möglich, dass Camps wie diese zu den neuen Elendsvierteln werden. An manchen Tagen kann sie ihrer Familie nur eine einzige Mahlzeit zubereiten.

Derzeit ist die Situation aber besonders alarmierend. Nach Angaben der Vereinten Nationen erlebt das Horn von Afrika die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Mitte November schätzten die UN, dass in Kenia, Äthiopien und Somalia - Somaliland ist ein Teil davon, weil es trotz seiner Unabhängigkeitserklärung von 1991 nicht als eigener Staat anerkannt wird – 36 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

Die Bevölkerung Somalilands ist besonders anfällig, weil viele Menschen bis heute Viehhirten sind. Anders als noch vor Jahrzehnten bleiben sie zunehmend in einer Gegend und ziehen nicht mehr über weite Strecken durch die Region. Die Abhängigkeit von der Viehwirtschaft, die etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, bleibt. Fällt nicht genügend Regen, sind die Folgen fatal: „Weniger Gras wächst nach“, sagt Thomas Hörz, der für die Welthungerhilfe in der Hauptstadt Hargeisa arbeitet. Kamele, Schafe, Ziegen und Rinder finden nicht genug Nahrung. Selbst wenn nicht alle Tiere verenden, sinken die Erlöse für den Verkauf.

Doch nicht nur der Klimawandel, der den Niederschlag knapper und vor allem unvorhersehbarer werden lässt, trägt zur Nahrungsunsicherheit bei. „Die Holzkohlegewinnung ist wahrscheinlich der destruktive Faktor für die Naturweiden“, sagt der Agrarexperte. Um weite Wege zu vermeiden, würden ganze Bäume gefällt und zu Holzkohle mit geringem Brennwert verarbeitet.

Der Klimawandel lässt sich nicht aufhalten. Stattdessen muss die Widerstandsfähigkeit gestärkt werden. Dafür wäre es besser, so Hörz, die Bäume nur zu beschneiden, anstatt zu fällen. Auch müssen kaputte Wassersysteme repariert werden, damit das kostbare Gut nicht sofort versickert.

Nur wenn das gelingt, hat die 20-jährige Nimo Isse Milgo Yusuf in ihrem Heimatdorf Geeldidis noch eine Zukunft. Der Ort liegt rund zwei Autostunden von Burao entfernt und ist nur über eine sandige Piste erreichbar. Die Mutter schaukelt ihr zweijähriges Kind auf den Armen hin und her. Auch ihre Familie hat das Vieh verloren. Die wenigen Tiere, die noch geblieben sind, hütet ihr Mann. Vor zwei Monaten hat sie ihn zuletzt gesehen. Um Nahrung für das Vieh zu finden, muss er weite Wege in Kauf nehmen. In Geeldidis gibt es weder Jobs noch eine Schule. „Wenn ich mir eins wünsche, dann eine bessere Zukunft für mein Kind. Ich möchte gerne, dass es zur Schule geht“, sagt Nimo Isse Milgo Yusuf, und der Kleine drückt seinen Kopf an ihre Schulter.

KNA