Politische Stabilität – konservativer Islam

Somaliland sucht Anbindung an Arabische Welt

Hargeisa/Burao  ‐ Somaliland präsentiert sich gerne als Musterstaat am Horn von Afrika, bezeichnet sich als demokratisch und politisch stabil. Der vorherrschende Islam wird indes zunehmend konservativ ausgelegt.

Erstellt: 23.12.2022
Aktualisiert: 28.12.2022
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Von Katrin Gänsler (KNA)

Für Nimo Jama ist es eine Selbstverständlichkeit: Die 23-Jährige aus Burao, der zweitgrößten Stadt in Somaliland, trägt den Nikab, den islamischen Gesichtsschleier. Sobald sie aus dem Haus geht, sind nur noch ihre Augen und die Hände zu sehen. Alles andere verdeckt sie mit schwarzem Stoff. Egal, ob sie nachmittags zur Universität geht oder morgens auf den Viehmarkt, um für ihre Mutter, eine Viehhändlerin, Ziegen zu kaufen. „Für mich gehört das dazu“, sagt die Muslima knapp zum Thema Verschleierung.

In der offiziell zu Somalia gehörenden, aber praktisch weitgehend autonomen Region Somaliland ist der Islam Staatsreligion. In der Verfassung heißt es zwar, dass jeder Mensch das Recht auf Glaubensfreiheit habe. Muslime dürfen allerdings nicht konvertieren. Missionierung ist verboten. Moscheen und öffentliches Beten sind allgegenwärtig. Frauen verdecken mindestens ihr Haar und mit dem Nikab zunehmend das ganze Gesicht. Es ist auffällig, wie viele ihn tragen – vor allem im städtisch geprägten Umfeld.

Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Giorgio Bertin, für Somaliland zuständiger katholischer Bischof von Dschibuti, verweist darauf, dass Somaliland nach Anerkennung in der islamischen Welt strebe. Zwar erklärte sich die Republik 1991 für unabhängig; international wird der Schritt allerdings nach wie vor nicht anerkannt. Daran habe auch der verschärfte religionspolitische Kurs nichts geändert. Dennoch werde die rigide Auslegung beibehalten. Sie durchdringt immer mehr die Gesellschaft.

Bertin kennt das Horn von Afrika seit Jahrzehnten. Noch vor einigen Jahren traf er sich regelmäßig mit Regierungsvertretern. Dem Minister für religiöse Angelegenheiten überbrachte er einst das „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen“, das Papst Franziskus und der sunnitische Großimam von Kairo, Ahmad al-Tayyeb, 2019 in Abu Dhabi unterzeichnet hatten. Der Politiker habe bei dem Besuch entgegnet, man sei in anderen Weltregionen offener, während die Imame in Somaliland nun mal konservativer seien.

Wenn Bertin heute nach Somaliland reist, legt er Wert auf Diskretion und bliebt nur wenige Tage. Die kurzzeitig wiedereröffnete katholische Kirche in der Hauptstadt Hargeisa ist mittlerweile wieder geschlossen. „Seit 1990 ist es eine wirklich schwierige Situation“, so der Bischof.

Ein Effekt der Islamisierung ist, dass viele Menschen in der Öffentlichkeit kaum noch über ihre Religion sprechen wollen, obwohl sie allgegenwärtig ist. Lange war in Somaliland der Sufismus weit verbreitet. Ein bekannter Vertreter war im 19. und frühen 20. Jahrhundert Sheikh Madar. Heute gewinnen wahhabitische und salafistische Strömungen Einfluss, weil die Kontakte zur Arabischen Welt und vor allem zu Saudi-Arabien enger werden.

Über den Hafen von Berbera am Roten Meer gibt es die Kontakte zwar schon lange. Durch den Zusammenbruch Somalias vor gut 30 Jahren gelang jedoch die politische Einflussnahme. Der Staat war kollabiert, Regeln gab es de facto nicht mehr. So konnten Institutionen aus Saudi-Arabien Moscheen und Schulen in Somaliland bauen, wodurch schließlich ein Netzwerk geschaffen wurde.

Zugleich bemüht sich Somaliland massiv um Abgrenzung von Somalia: Führende Politiker betonen, das einstige britische Protektorat sei stabil und demokratisch, aber vor allem sicher; die islamistische Terrormiliz Al-Shabaab habe sich bisher nicht ausbreiten können. Das soll potenzielle Investoren aus dem Ausland anlocken und Somaliländer in der Diaspora zur Rückkehr bewegen.

Gerade Frauen, die lange im Ausland gelebt haben, sind aber eher abgeschreckt, weil sie sich – anders als noch vor Jahrzehnten – verschleiern müssen und ihnen Männer vielfach zur Begrüßung nicht mehr die Hand geben. Ein bedeutender Faktor, der speziell junge Menschen beeinflusst, ist auch das Internet. Bei vielen Jugendlichen, die im weltweiten Netz sehen können, welche Freiheiten es anderswo gibt, steigt das Interesse, Somaliland zu verlassen. kna