Die giftigen Folgen des peruanischen Wirtschaftswunders
Lima ‐ Die heftigen Anfälle schütteln Elena Chávez immer wieder. Sie hustet, keucht, ringt nach Luft. Wenn alles vorüber ist, sinkt sie erschöpft in die Arme von Vater oder Mutter. 1,25 Meter misst sie – für eine Zwölfjährige viel zu wenig. 60 Mikrogramm Blei pro Deziliter hat sie im Blut – selbst für einen erwachsenen Menschen wäre das viel zu viel.
Aktualisiert: 15.11.2022
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Die heftigen Anfälle schütteln Elena Chávez immer wieder. Sie hustet, keucht, ringt nach Luft. Wenn alles vorüber ist, sinkt sie erschöpft in die Arme von Vater oder Mutter. 1,25 Meter misst sie – für eine Zwölfjährige viel zu wenig. 60 Mikrogramm Blei pro Deziliter hat sie im Blut – selbst für einen erwachsenen Menschen wäre das viel zu viel.
In Elenas Heimatstadt La Oroya überschreiten 93 Prozent der neugeborenen Babys den Grenzwert, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als erträglich für den menschlichen Organismus nennt: Er liegt bei 10 Mikrogramm pro Deziliter Blut. Atemwegserkrankungen, Nieren- und Nervenleiden sind weit verbreitet in der Gegend, in der Elena aufwächst.
La Oroya in den peruanischen Anden ist eines der ältesten Bergbaugebiete Perus, schon seit 1922 schmelzen Minenfirmen hier Metalle aus dem Berggestein: Kupfer, Blei, Zink und auch Silber. La Oroya wurde in den vergangenen Jahren von internationalen Umweltorganisationen mehrmals als schmutzigster Ort der Welt ausgewiesen. Verpestet, weil die Schornsteine der Firma Doe Run über Jahrzehnte Schwermetalle in die Luft pusteten, in giftiger Kombination mit anderen Schadstoffen wie Schwefeldioxid oder Arsen.
Antwort auf Proteste: Schrotkugeln und Tränengas
Und La Oroya ist bei weitem nicht der einzige schmutzige Ort im Land. Auch in Zentralperu, in Cerro de Pasco oder Cajamarca, wühlen sich seit Jahren Schaufelbagger in die Andenkordillere. Im südperuanischen Arequipa will das internationale Bergbauunternehmen Southern Copper in Kürze mit dem Kupferabbau beginnen – ein Mega-Projekt, das unter dem harmlos anmutenden Namen „Tía María“, Tante Maria, läuft. Viele Bewohner der Gegend schätzen es alles andere als ungefährlich ein, sie fürchten massive Umweltschäden und verseuchtes Grundwasser.
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Auf die Proteste der Bürger gegen eine Abbau-Lizenz für Southern Copper hat der peruanische Staat bislang eine einfache Antwort – Härte: „Die Polizisten haben mit Schrotkugeln auf uns geschossen und Tränengast eingesetzt“, schreibt eine Demonstrantin an Juan Goicochea Calderón. Er ist Pfarrer in der größten Gemeinde Limas, Umweltaktivist und Projektpartner von Adveniat. Im Rahmen der Adveniat-Aktion 2014 hatte er in Deutschland über seine Arbeit berichtet. „Solche Klagen erreichen mich ständig, auch aus anderen Gegenden Perus“, sagt er gegenüber dem Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat . Er berichtet auch von Drohungen gegen Aktivisten der katholischen Kirche, die die Menschen im Kampf gegen das rücksichtslose Vorgehen der transnationalen Bergbau-Unternehmen unterstützen.
Wirtschaftswunder auf zerstörerischem Fundament
Perus Wirtschaft ist im vergangenen Jahrzehnt durchschnittlich um 6,5 Prozent gewachsen, das hat dem Land den Ruf als neues lateinamerikanisches Wirtschaftswunder eingebracht. Der Bergbau gilt als wesentlicher Wachstumsmotor, Investitionen ausländischer Minenfirmen sind dem Staat da stets willkommen. Aber gerade von dieser Art von Investitionen müsse Peru endlich loskommen, meint Juan Goicochea Calderón: „Ja, der Bergbau hat dem Land viel Geld eingebracht. Aber niemand fragt danach, wieviel Geld wir aufbringen müssen, um die gravierenden Schäden für die Menschen und die Umwelt auch nur ansatzweise zu lindern, die die Bergbau-Firmen verursachen.“
Von Regina Mennig