Jesuiten bringen Hochschulbildung an die Ränder
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Jesuiten bringen Hochschulbildung an die Ränder

Flucht und Asyl ‐ Für den Jesuiten Peter Balleis bieten teure Privatunis nur wenigen Superreichen eine Zukunft. Er möchte mit dem „Jesuit Worldwide Learning“ auch talentierten Jugendlichen im Flüchtlingscamp die Chance auf ein Studium geben.

Erstellt: 06.04.2018
Aktualisiert: 22.07.2022
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Für den Jesuiten Peter Balleis bieten teure Privatunis nur wenigen Superreichen eine Zukunft. Er möchte mit dem „Jesuit Worldwide Learning“ auch talentierten Jugendlichen im Flüchtlingscamp die Chance auf ein Studium geben. Unterstützt wird das Projekt unter anderem vom bayerischen Landtag.

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Jesuit Worldwide Learning“ (JWL) heißt die Initiative des Jesuitenordens für „Hochschulbildung an den Grenzen“. Das Projekt bietet Chancen auf ein Studium im Flüchtlingscamp oder für junge Menschen in abgelegenen Dörfern oder in den Mega-Cities der Welt. JWL-Präsident Pater Peter Balleis (60) stellt im katholisch.de-Interview die noch junge Initiative und ihre ersten Erfolge vor.

Frage: Pater Balleis, das „Jesuitische Weltweite Lernen“ hat sich „Hochschulbildung an den Grenzen“ auf die Fahnen geschrieben. An wen richtet sich das Angebot?

Balleis: Wir wollen Menschen erreichen, die keinen Zugang zu Bildung beziehungsweise zur höheren Bildung haben. Das sind einerseits Flüchtlinge und Binnen-Flüchtlinge, andererseits aber auch Minderheiten, die isoliert oder in Armenvierteln leben und denen als Gruppe und nicht als Individuen der Zugang zum Studium verbaut ist. Von den weltweit rund 66 Millionen Flüchtlingen sind die meisten von der Bildung ausgeschlossen; nicht einmal ein Prozent hat Zugang zum Studium.

Frage: Wie bekommt jemand in so einer schwierigen Situation Zugang zur universitären Bildung?

Balleis: Der Lernweg für die meisten startet mit Englisch. Wir bieten neben dem akademischen Programm einen Grundkurs in den Level A1 bis C1 an, der mit einem Examen endet. Für viele sind gute Englisch-Kenntnisse schon ein Job-Ticket und sie machen nicht weiter. Andere hingegen lernen die Sprache parallel zu den akademischen Kursen oder schließen ihr Studium direkt an die Sprachenschule an.

Frage: Wie sieht das Studium für die jungen Menschen in Flüchtlingslagern oder in anderen Krisengebieten aus?

Balleis: Wir nennen das Modell „blended online learning“, was bedeutet, dass es via Internet läuft, aber nicht nur. Es gibt vor Ort ein Lernzentrum, in dem es einen Koordinator, einen Tutor und ein Team für die IT gibt und wo die Studierenden sich zum Austausch treffen. Viele kommen auch zum Lernen da hin, weil sie nur da Zugang zu Computern und Internet haben, aber wir stellen das derzeit um: Die Leute bekommen nun ein günstiges Tablet und können dadurch viel flexibler lernen. Darauf sind dann Videos, Texte zum Lesen und Diskussionsbeiträge. Da Diskussionen wichtig sind, gibt es das virtuelle Klassenzimmer mit 15-köpfigen Online-Lerngruppen. Dabei ist es uns wichtig, dass diese Gruppen aus Menschen verschiedener Länder und Religionen zusammengesetzt sind. Viele Christen aus Afrika, Muslime aus dem Irak und Buddhisten aus Myanmar lernen sich so kennen und werden Freunde und nebenbei werden sie toleranter, was andere Glaubensbekenntnisse angeht.

Frage: Können Sie Beispiele nennen, wie die Situation an diesen Online-Unis ist?

Balleis: Da gibt es zum Teil große Unterschiede. Viele Studierende aus Afrika waren es gewohnt, schon als Kind mehrere Stunden zu Fuß zur Schule zu gehen. Jetzt sind sie hoch motiviert, während es etwa den wenigen jungen Afroamerikanern in Brooklyn oft an Selbstvertrauen und Entschlossenheit fehlt. Ich war jüngst in Bamiyan in Afghanistan und habe einen jungen Mann kennengelernt, der zuvor Teppiche knüpfen musste, obwohl er immer lernen wollte und der sich nun total in das Studium reinhängt und es schnell durchziehen will. Dort, am Fuße der Berge, wo die Taliban 2001 die zwei größten Buddha-Statuen sprengte, studieren übrigens mehr Frauen als Männer. Diese afghanischen Studentinnen entwickeln Selbstvertrauen und ein Bewusstsein dafür, ihren männlichen Kommilitonen gegenüber gleichgestellt zu sein – und sie haben bereits einen Fahrrad- und einen Ski-Club gegründet. In Kenia haben wir 250 Studenten in dem riesigen Flüchtlingslager Kakuma, das bereits seit 25 Jahren besteht. Dort hat der Jesuitenorden bereits seit 1998 Fernlernprogramme unterstützt, also lange bevor das JWL gegründet wurde.

Frage: Welche Studienfächer werden bedient und welche Abschlüsse können die Studierenden erwerben?

Balleis: Wir bieten ein Diploma in „Liberal Arts“ an, das ist ein geisteswissenschaftliches Grundstudium mit 45 Credits, die transferiert werden können. Es ist damit noch keine abgeschlossene Disziplin, aber ein Anfang, mit dem die Studierenden an der Southern New Hampshire University mit ihren Online-Programmen einen Bachelor in verschiedenen Bereichen machen können. Wir planen aber, dass noch dieses Jahr die Katholische Uni Eichstätt und aus München die Jesuiten-Hochschule für Philosophie und die Katholische Stiftungshochschule einen Bachelor entwickeln, der weltweit anerkannt wird. Der wäre etwas für unsere Studenten, aber auch für die jungen Leute aus den Kursen in Bayern. Ab diesem Jahr bieten wir akademische Kurse in den Bereichen Jugendsozialarbeit und Lernbegleitung an sowie einen IT-Kurs und einen Englischlehrer-Kurs.

Frage: Wie viele Hochschulen bieten als Partner die Online-Fernkurse an, an denen die JWL-Studierende andocken können?

Balleis: Das sind vor allem Jesuiten-Universitäten und -Colleges, von denen ein großer Teil in den USA ist, etwa in Denver, San Francisco und Boston, aber auch in Indien und Europa. Außerdem kooperieren wir mit den katholischen Unis von Nairobi in Kenia und Erbil in der Autonomen Region Kurdistan im Norden Iraks sowie mit einigen säkularen Hochschulen. Das System muss man sich wie die „Star Alliance“ vorstellen, den Zusammenschluss verschiedener Fluggesellschaften: Die Studenten starten quasi ihren ersten Flug mit uns und fliegen dann mit anderen Airlines beziehungsweise Universitäten weiter. So können wir, die wir selbst keine Hochschule sind, höchste akademische Qualität garantieren und auch, dass die JWL-Abschlüsse weltweit anerkannt werden. Derzeit steigen 200 unserer Absolventen in den Flüchtlingslagern in Kenia und Malawi in den Online-Bachelor-Studiengang ein.

Frage: Wie viele Studierende haben Sie auf diese Weise schon erreicht?

Balleis: Wir werden in diesem Jahr 3.000 Englisch-Sprachstudenten haben, zudem bis zu 800 Studierende, die die Kurse belegen und 700, die das geisteswissenschaftliche Grundstudium machen. Das sind insgesamt 4.500 Studenten, während es 2017 nur 2.800 waren. Uns gibt es seit 2010 und inzwischen haben wir ein funktionierendes Modell, das wir hochfahren können. Im Jahr 2020 hätten wir gerne 10.000 Studenten.

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Frage: Wie finanziert der Jesuitenorden das Programm?

Balleis: Aus Spenden, aus Geld von verschiedenen Stiftungen und vom Orden selbst. Auch der bayerische Landtag finanziert 24 syrische Flüchtlinge, die ein akademisches Studium im Nordirak beginnen. Diese Politiker haben verstanden, dass dort jetzt Leute ausgebildet werden müssen, die anders denken, die Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen wollen und können. Es ist etwas anderes, ob jemand beruflich ausgebildet ist und einen Job macht oder ob man durch das Studium der „Liberal Arts“ lernt, kritisch zu denken und Lösungen zu finden. Die Flüchtlinge werden jetzt ausgebildet, damit sie später da sind, wenn es darum geht, Syrien wieder aufzubauen.

Frage: Demnächst wird in London eine Jesuitenhochschule geschlossen. Ist das JWL-Programm auch dazu da, um den sich leerenden Ordenshochschulen in Europa und Nordamerika eine Aufgabe zu geben und sie zu retten?

Balleis: Das war überhaupt nicht unsere Motivation. Jesuitenhochschulen sind vor allem deshalb unsere Partner, weil sie mit uns zusammenarbeiten wollten. Was ich aber merke – und unser Programm zeigt es auch: Es gibt Veränderungen im globalen Lernen und ökonomischere Modelle, um ohne Qualitätsverlust zu lernen. Von uns kann man vielleicht lernen, dass man manches via Internet zusammenschalten kann. Ich denke, dass die teuren Privatuniversitäten der USA keine Zukunft haben – oder nur Zukunft für die wenigen ganz Reichen. Für die vielen, die kaum Geld haben, braucht es andere Lösungen. Und eine kluge Lösung ist es, keine negative Selektion zu machen, sondern talentierte Kinder von der Straße zu holen und sie im virtuellen Klassenzimmer zusammenzubringen. Wir merken jetzt schon nach wenigen Jahren, wie unsere Absolventen in ihre Dörfer zurückkehren und für Wandel sorgen, indem sie etwa selbst beginnen zu unterrichten.

Das Interview führte Agathe Lukassek

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