Missionsärzte zur Lage im Nordosten des Kongo
Bild: © Misereor

Missionsärzte zur Lage im Nordosten des Kongo

Demokratische Republik Kongo ‐ Zusammen mit Mitgliedern des Augustinerordens hat das Missionsärztliche Institut Würzburg im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo entlegene Krisenregionen besucht, in die teils seit Jahren keine Helfer aus Europa gekommen sind. Ein Interview.

Erstellt: 14.11.2018
Aktualisiert: 01.12.2022
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Zusammen mit Mitgliedern des Augustinerordens hat das Missionsärztliche Institut Würzburg im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo entlegene Krisenregionen besucht, in die teils seit Jahren keine Helfer aus Europa gekommen sind. Im Interview berichten Geschäftsführer Michael Kuhnert und Ebola-Expertin Sabine Gies über die medizinische und humanitäre Lage.

Frage: Herr Kuhnert, Frau Gies, zusammen mit dem Augustinerorden haben Sie entlegene Regionen im Nordosten des Kongo besucht. Was haben Sie dort vorgefunden?

Kuhnert: Das Missionsärztliche Institut und das Regionalvikariat Kongo des Augustinerordens betreiben schon seit 2009 ein gemeinsames HIV-Aids-Projekt für Patienten in den nordöstlichen Provinzen Bas-Uele und Haut-Uele, im Bistum Doruma-Dungu. Das Projekt beinhaltet vor allem die Begleitung von Selbsthilfegruppen, Aufklärung und Sensibilisierung. Zudem haben wir die Entwicklungsprojekte der Augustiner besucht, etwa Landwirtschaftsschulen.

Gies: Das ist ein sehr abgelegenes Gebiet, am Uele-Fluss, einem Zufluss des Kongo. Sehr schwer zu erreichen, am Rand des Regenwaldes; im Norden geht es in Steppe über. Es gibt so gut wie kein funktionierendes Straßennetz. Jetzt in der Regenzeit liegen die LKW zu Hunderten an den großen Verbindungsstraßen. Wir kamen nur mit einem kleinen Flugzeug dorthin.

Frage: Gibt es dort auch Kämpfe?

Gies: Direkte Kämpfe nicht. Aber die Rebellengruppen, vor allem die LRA und auch Gruppen aus dem Südsudan, sind in der Gegend aktiv. Es kommt immer wieder zu Überfällen auf Straßen – vor allem wenn bekannt ist, dass Leute mit Geld unterwegs sind. Dann werden die Konvois abgepasst und überfallen. Das ist neulich einem Chefarzt aus der nördlichen Gesundheitszone passiert. Er hatte nach der Polio-Impfkampagne das Geld dabei, um die Impfhelfer zu bezahlen.

Frage: Wie stark ist denn die Staatsmacht vertreten?

Kuhnert: Die fällt höchstens auf, wenn man über Bunia kommt, die Grenzstadt zu Uganda. Dort sind die UN präsent, und in dem Miniflughafen macht die Staatsmacht einen kleinen medizinischen Check: Temperatur messen, um Ebola auszuschließen – und um beim Zoll erhebliche Schwierigkeiten zu machen.

Frage: Wie sieht es mit Ebola aus?

Gies: Ebola ist im Bistum Doruma-Dungu nicht das Thema, weil es weiter nördlich liegt und der Wald dazwischen ist. Der Ebola-Ausbruch in Nord-Kivu und Ituri wird mit Mühe eingedämmt. Dort gäbe es ohne Impfungen bereits Tausende Infektionen. Tatsächlich wurden fast 30.000 Menschen geimpft, Kontaktpersonen von Ebola-Patienten und Gesundheitspersonal. Trotzdem steigen die Fallzahlen weiter; im Moment gibt es wöchentlich um die 30 neuen Fälle.

Frage: Wird die Arbeit durch die Kämpfe in Nord-Kivu erschwert?

Gies: Sehr. Dadurch ist es fast unmöglich, Patienten zu isolieren, die direkten Kontaktpersonen über drei Wochen lang täglich zu besuchen und zu schauen, ob sie Fieber bekommen und sich möglicherweise angesteckt haben. Die Kontaktpersonen werden geimpft, das ist schon das wichtigste. Ansonsten schulen wir das Personal der Gesundheitseinrichtungen, wie man einen Ebola-Fall erkennt und wie man damit vernünftig umgeht.

Frage: Was konnten Sie denn vor Ort auf den Weg bringen? Sie waren ja nicht in Sachen Ebola unterwegs.

Gies: Unser Schwerpunkt war die Beurteilung des HIV-Programms in den dortigen Beratungszentren. Seit zwei Jahren gibt es in der Region auch die Möglichkeit, HIV-Patienten mit Antiretroviraler Therapie zu behandeln. Das hat seit Projektbeginn vor zehn Jahren einen Riesenfortschritt gemacht, auch weil über den Global Fund finanzierte Medikamente zur Verfügung stehen. Dadurch können Patienten nicht nur begleitet, sondern auch behandelt werden. Und die Patienten in den Selbsthilfegruppen machen einen sehr dynamischen und entschlossenen Eindruck.

Frage: Wie kommen die deutschen Augustiner zu ihrem Engagement im Nordosten des Kongo?

Kuhnert: Sie haben das sozusagen kolonial von den belgischen Augustinern geerbt – und sich bewusst dafür entschieden, dort weiterzuarbeiten. Inzwischen gibt es diverse einheimische Augustiner, die dort sehr engagiert als Seelsorger arbeiten und mit einfachsten Mitteln versuchen, Entwicklungsprojekte voranzutreiben. In einem Nachbarort von Amadi arbeitet ein deutscher Augustiner, der seit 47 Jahren dort lebt und unter anderem Landwirtschaftsschulen aufgebaut hat. Es ist wirklich bewundernswert, wie sie dort unter den schweren Lebensumständen bei den Ärmsten ausharren und das Reich Gottes verkünden.

Frage: Aber ist der Kongo nicht, militärisch gesprochen, ein verlorener Posten?

Kuhnert: Mich hat diese Reise einerseits begeistert, weil ich das Engagement der Augustiner und der Selbsthilfegruppen, aber auch in den Diözesen erleben konnte. Aber natürlich ist das Gesamtpanorama übel; der Staat ist komplett abwesend. Ein Beispiel: In Amadi gibt es ein kleines Krankenhaus für die ganze Region. Es wurde vor rund 30 Jahren gebaut und wird noch von einem einzigen Arzt betreut, der sich selbst um die Finanzierung und die Instandsetzung kümmern muss. Er muss irgendwie seine 53 Angestellten bezahlen – nur durch die kleinen Beiträge der Patienten. Wenn es kompliziertere Fälle gibt, die er nicht operieren kann, sind die Menschen zum Tode verurteilt. Kein Rettungsdienst, nichts.

Frage: Und Schulen?

Kuhnert: Ja, die gibt es – aber nur die Augustiner haben Schulen, die besser ausgestattet sind, weil sie auf die vom Staat bezahlten Löhne noch etwas drauflegen, um die Pädagogen motivieren zu können.

Frage: Sicherheit?

Kuhnert: Ich habe einen Polizisten gesehen. Dessen Tätigkeit bestand darin, an einer Schranke in der Nähe des Flughafens Motorradfahrern irgendwelche Gebühren aufzubrummen – in welcher Tasche die dann auch immer verschwinden. Die Provinzen Haute- und Bas-Uele haben wohl traditionell die Opposition gewählt – so dass dort erst recht nichts zur Stärkung der Infrastruktur unternommen wird. Da kann man sich schon fragen, ob es sinnvoll ist, dort etwas zu machen.

Frage: Aber?

Kuhnert: Gerade aus der christlichen Motivation heraus müssen wir da tätig werden! Wir haben auch ein kleines Flüchtlingslager besucht, in dem ungefähr 600 Leute aus dem Südsudan leben, ein paar Eritreer und Äthiopier. Die haben die Pest zuhause mit der Cholera im Kongo getauscht, sind mehr oder weniger auf sich selbst gestellt. Noch so eine weitere Katastrophe, die wir gesehen haben.

Frage: Also haben Sie nur die Kirche dort auf dem Posten erlebt?

Kuhnert: Ja, und das hat uns sehr, sehr beeindruckt. Neben dem Augustinern auch die Mitarbeiter der Diözese Dungu. Ganz wenig Personal, aber sehr engagiert und effektiv. Das sind Hoffnungszeichen.

Gies: Die schauen unter anderem, dass sie qualitätsgeprüfte Medikamente in ihrer Apotheke haben – ein großes Problem im Kongo. Da gibt es einen riesigen Schwarzmarkt an gefälschten Medikamenten, und es ist sehr schwer und wichtig, qualitätsgesicherte Präparate zu bekommen.

Frage: Zum Jahresende sollen endlich die mehrfach verschobenen Präsidentschaftswahlen stattfinden. Was haben diese Wahlen für eine Relevanz für die Regionen, die Sie besucht haben?

Gies: Die kongolesischen Kollegen sind noch sehr skeptisch, ob im Osten tatsächlich gewählt werden kann. Andererseits entscheiden sich die Wahlen durch die höhere Bevölkerungsdichte tatsächlich im Osten. Wer dort gewinnt, hat die Wahl gewonnen. Kinshasa und der Osten entscheiden den Wahlausgang. Das ist umgekehrt der Grund, warum bislang kein wirkliches Interesse des Staates zu erkennen ist, dass die Wahlen ordentlich durchgeführt werden.

Kuhnert: Das sehe ich auch so. Und selbst wenn gewählt würde: Dieser Staat ist ein Fass ohne Boden, ohne Infrastruktur, ohne funktionierendes Gesundheitssystem. Bis da Maßnahmen greifen, dauert das Jahre bis Jahrzehnte. Das ist das deprimierende Panorama. Andererseits haben wir erlebt, dass man so viel machen kann. Und die Menschen sind unglaublich dankbar, dass überhaupt etwas Gutes passiert. Für uns alle war klar, dass wir dort unser Engagement nach Möglichkeit weiter verstärken werden.