Senor Martir in San Salvador passt auf
El Salvador ‐ Am Tag nach den Präsidentschaftswahlen in El Salvador bezieht Carlos Francisco Martir schon wieder Posten. Der Wachmann verdient im Monat nur eine Handvoll US-Dollar. Davon bleibt ihm nach Abzug aller Abgaben kaum etwas übrig.
Aktualisiert: 06.02.2019
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Am Tag nach den Präsidentschaftswahlen in El Salvador bezieht Carlos Francisco Martir schon wieder Posten. Es ist zehn Uhr abends. Selbst in der Hauptstadt San Salvador ist es jetzt etwas stiller, der Verkehr hat merklich abgenommen.
Der Wachmann klemmt sich sein Brett mit Notizzetteln unter den Arm und bereitet sich auf seinen turnusmäßigen Rundgang vor, der ihn – keine Zwischenfälle vorausgesetzt – in 20 Minuten über das Gelände des Centro Loyola führen wird, einer Tagungsstätte des Jesuitenordens.
Wie ist das, für die Sicherheit in einem Land verantwortlich zu sein, dessen Sicherheitslage als notorisch fragil gilt? Der 35-jährige Martir, ebenso freundlich wie unaufgeregt, macht um die Sache kein großes Aufheben. Man befinde sich hier schließlich in einer ruhigen Gegend – da gebe es ganz andere Einsatzorte, in denen es viel gefährlicher sei. Martir muss es wissen – seit Jahren ist er als Wachmann tätig. Seine Schicht hat er heute an anderer Stelle um sieben Uhr morgens begonnen, sie wird exakt 24 Stunden später am Einfahrtstor zum Centro Loyola enden.
Eine steile Straße führt von dort zur Tagungsstätte. Die Rampe könnte als Symbol stehen für ein Land, das ständig Gefahr läuft, ins Rutschen zu geraten. Genauso wie manche der auf Abhängen errichteten Armensiedlungen nach den starken Regenfällen, die El Salvador immer wieder heimsuchen. Von 1980 bis 1991 tobte ein blutiger Bürgerkrieg in El Salvador, der 70.000 Tote forderte. Die Wunden sind bis heute nicht verheilt. Der Anblick von Waffen gehört zum Alltag in dem kleinsten Land Mittelamerikas. Für den auswärtigen Besucher unsichtbar bleiben die berüchtigten Jugendbanden, die Maras. Polizei und Militärs dagegen patrouillieren mit teils martialisch anmutender Ausrüstung durch die Straßen.
Hinzu kommen die Kollegen von Martir. Vielfach mit Pumpguns ausgerüstet, stehen sie vor Apotheken oder Supermärkten. Auch beim Wachmann am Centro Loyola steckt eine Waffe im Halfter, eine Pistole, Kaliber 38 Millimeter. Ob er sie schon einmal einsetzen musste? Nur zur Abschreckung bei Überfällen. Normalerweise rufe er aber die Polizei, wenn sich etwas Verdächtiges ereigne, beteuert er.
Wie viele Waffen es in El Salvador gibt, dazu existierten keine verlässlichen Zahlen, sagt der aus Deutschland stammende Soziologe Benjamin Schwab, der an der katholischen Universität UCA in San Salvador über Jugendgangs forscht. Manche davon seien noch aus der Zeit des Bürgerkriegs, das Allermeiste aber aus den USA, deren Präsident Donald Trump die Menschen aus El Salvador und anderen Staaten der Region gern pauschal als Kriminelle verunglimpft.
Tatsache ist, dass ein guter Teil der 6,7 Millionen Salvadorianer schon Erfahrung mit Gewalt und Kriminalität gemacht hat, als Opfer oder Täter – oder beides. El Salvador treibt viele seiner Bewohner, so scheint es, wahlweise in die Verzweiflung oder in die Flucht. Und vermag gleichwohl zu überraschen. Auch wenn das amtliche Ergebnis noch nicht verkündet wurde: Am Sonntag haben die Wähler mit großer Mehrheit für den aus einer Familie mit palästinensischen Wurzeln stammenden Nayib Bukele gestimmt.
Über das politische Programm Bukeles, der bereits Bürgermeister von San Salvador war, ist wenig bekannt. Steht er für einen Neuanfang? Carlos Francisco Martir hofft das jedenfalls. Für seinen Job beim Wachdienst erhält er nur eine Handvoll Dollar pro Schicht, sagt er. Nach Abzug aller Abgaben bliebe ihm davon kaum etwas übrig. Davon allein kann er nicht leben, schlägt sich mit weiteren Arbeiten durch. Bukele habe versprochen, dass mehr vom Lohn bei den kleinen Angestellten hängen bleibe. Eine gute Sache, findet der Wachmann: Denn mit seiner Frau würde er gern eine eigene Wohnung beziehen. Senor Martir passt auf – nicht nur auf das Areal des Centro Loyola.