Frage: Wie ist die Situation für die Betroffenen?
Meyer: Es ist frustrierend. Gerade die Lage der Neuankömmlinge ist verzweifelt. Zwischen den einzelnen Gruppen gibt es allerdings noch Unterschiede: So werden die Syrer als fleißige Arbeitskräfte im Irak noch durchaus geschätzt, auch wenn sie Gefahr laufen, ausgebeutet zu werden. Bei den Jesiden ist das deutlich schlimmer. Sie haben im Prinzip keine Hoffnung auf Rückkehr. Über die Jahre verfallen viele in eine gewisse Lethargie und fühlen sie sich wie Menschen zweiter Klasse. Sie brauchen unbedingt Unterstützung.
Frage: Angenommen, es käme zu einer dauerhaften Waffenruhe in Syrien: Welche Perspektive hätten die Binnenvertriebenen?
Meyer: Sie haben die Wahl zwischen Pest oder Cholera. Wer kann, versucht über die „Grüne Grenze“, also die inoffiziellen Grenzübergänge, in den Nordirak zu kommen. Bereits verarmte Familien stehen deswegen nun noch unter dem weiteren Druck hoher Verschuldung, weil die Schleuser hohe Summen verlangen.
Diejenigen, die in den kurdischen Nordosten Syriens geflohen sind, haben in der Regel bereits mehr als eine Flucht hinter sich. Wenn sie nun in die Hände der syrischen Sicherheitskräfte fallen, drohen sie unter Generalverdacht als Rebellen oder Extremisten zu stehen.
Frage: Inwieweit ist es für Sie noch möglich, den Menschen in den Krisengebieten zu helfen?
Meyer: In Nordsyrien ist momentan keine Hilfe möglich. Hier herrscht Kriegszustand und die Hilfsorganisationen haben ihr Personal abgezogen. Internationale Hilfe ist unter diesen Voraussetzungen nicht möglich. Dort klafft jetzt eine Versorgungslücke, bei der nicht absehbar ist, wer sie füllt. Unsere Partner unterstützen die Menschen im Rahmen bestehender Projekte im Einzugsgebiet von Aleppo nach Kräften.
Im Nordirak sieht das noch etwas anders aus. Misereor arbeitet hier mit lokalen Partnern zusammen, wie etwa der kurdischen Jiyan Foundation. Die Kooperation läuft trotz aller Schwierigkeiten sehr gut.
Frage: Welche Schritte müssten jetzt auf internationaler Ebene getan werden, um den Menschen zu helfen?
Meyer: An erster Stelle muss es in Nordsyrien Waffenruhe geben. Und die Zeit muss genutzt werden, um die Voraussetzungen für humanitäre Hilfe zu schaffen, ausnahmslos für alle Bedürftigen.
Von Johannes Senk (KNA)
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