Frage: Ein großes Problem, das die eritreischen Bischöfe auch angesprochen haben, ist die Flucht Hunderttausender Menschen aus dem Land. Haben die Fluchtbewegungen nach Äthiopien mit der Grenzöffnung noch zugenommen?
Hecking: Äthiopien hat schon immer die meisten eritreischen Flüchtlinge aufgenommen. Mit dem Friedensabkommen wurde der Handel zwischen beiden Ländern wiederaufgenommen, Eritreer gehen über die Grenze, um für sich und ihre Familien einzukaufen. Aber einige werden die Gelegenheit auch nutzen, um für immer nach Äthiopien auszuwandern. Die Bischöfe sprechen nicht umsonst auch in ihrem jüngsten Papier wieder von „Massenflucht“.
Frage: Was bedeutet das jetzt für die Versöhnungsarbeit zwischen den Ländern, wenn sich die Situation in Eritrea nicht verbessert und die Menschen weiter leiden und fliehen?
Hecking: Die Bischöfe begrüßen in ihrem Schreiben die Friedensinitiative zwischen Eritrea und Äthiopien, verweisen aber trotzdem auf die vielen Eritreer, die im Exil leben, im Gefängnis sind, die Fluchthelfern in die Hände geraten. Wir kennen die Geschichten der Grausamkeiten gegen eritreische Flüchtlinge auf dem Sinai oder durch Tod und Verderben auf der Mittelmeer-Route. Die Bischöfe schlagen eine nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission vor, durch die die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte in Dialog treten können. Dieser Dialog sollte nach dem Wunsch der Kirche transparent sein und medial begleitet werden – eine deutliche Forderung auch der Pressefreiheit im Land. Sie formulieren es so, dass eine Sprache der Gewalt und Rache durch die des Friedens ersetzt werden sollte.
Frage: Wenn der Staat auf diese Forderungen mit Beschlagnahmungen kirchlicher Einrichtungen reagiert, scheint auf dessen Seite aber nicht viel Dialogbereitschaft zu herrschen?
Hecking: Die Kirche versucht seit Jahren, den Finger in die Wunden zu legen. Und das wird sie auch nicht aufgeben. Umgekehrt ist staatlicherseits wenig Wille, an den innenpolitischen Verhältnissen etwas zu ändern, nämlich rechtsstaatliche Verhältnisse aufzubauen, für zivilgesellschaftliche Mitwirkung zu sorgen oder dafür, dass Menschen- und Bürgerrechte eingehalten werden. Das ist noch ein langer Weg und die Kirche sorgt sich, ob dieser Weg auf Dauer friedlich bleibt.
Frage: Was tut sich denn im Volk? Ist dort nicht Bewegung hineingekommen mit dem Friedensabkommen und der Grenzöffnung nach Äthiopien?
Hecking: Der Druck, den das Regime auf die Bevölkerung ausübt, ist nach wie vor sehr groß. Innerhalb des Landes gibt es keine Opposition, die Opposition im Exil ist in sich sehr zersplittert. Von daher ist es schwer, zu sagen, ob sich hier etwas bewegen wird.
Das Interview führte Claudia Zeisel.
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