Frage: Herr Erzbischof, Ende April nähert sich zum 25. Mal der Jahrestag der ersten demokratischen Wahlen. Doch jeder zweite Südafrikaner gilt als arm, jeder vierte hat keinen Job. Gibt es da wirklich etwas zu feiern?
Brislin: Durchaus! Trotz der vielen Herausforderungen, vor denen wir in Südafrika stehen, dürfen wir nicht vergessen, was wir bereits erreicht haben. Man muss sich die Angst vorstellen, in der die Bevölkerung lebte, wie die Menschen behandelt wurden und wie man ihnen ihre Menschenwürde absprach. Ging ich neben einem Schwarzen, sahen uns die Leute schief an. Heute hat Südafrika eine robuste Demokratie und ist das freieste Land Afrikas. Es herrscht Versammlungs-, Meinungs- und Bewegungsfreiheit. Und das müssen wir feiern – es ist nicht alles ein Desaster.
Frage: Vielen Südafrikanern mag es heute besser gehen, aber hätte man in 25 Jahren nicht mehr erreichen können?
Brislin: Natürlich, vor allem, was das Fehlen wirtschaftlicher Chancen und die Armut angeht. Wir haben heute politische, aber noch keine wirtschaftliche Freiheit – einige wenige ausgenommen. Wann immer ich mit dem Flugzeug nach Kapstadt fliege und die Hütten der Townships sehe, denke ich mir: Tragisch, dass wir die Armut als gegeben akzeptieren, dabei sollte uns doch schockieren, wie die Menschen leben. Vieles hat uns in den vergangenen 25 Jahren zurückgeworfen, etwa Korruption. Auch Südafrikas Wahrheits- und Versöhnungskommission hätte mehr zustande bringen können. Sie hat zwar einen politischen Weg vorwärts gefunden, doch auf Wiedergutmachung oder einen Ausgleich der historischen Ungerechtigkeit warten die Betroffenen bis heute.