Frage: Zu idealistisch?
Neussl: Nein, ich meine diese Hoffnung, dass eine Person es richtet. Wir haben hier in Deutschland doch auch ein politisches System. Wir sagen ja auch nicht, wenn Person X gewählt wird, wird es in Deutschland besser. Sondern wir wählen jemanden und der hat dann seine Arbeit zu tun. Punkt. Warum sollte das im Kongo anders sein?
Frage: Welche Bedeutung hat Kabilas Ankündigung für das kongolesische Volk?
Neussl: Erst mal sind alle erleichtert, dass Kabila nicht mehr antritt und es jetzt nicht zu einer großen Krise kommt. Die Kandidaten haben ihren Hut in den Ring geworfen, er hat die Verfassung geachtet. Die Hoffnung ist, dass ein geregelter Wahlkampf stattfinden kann. Dass die Opposition sich präsentieren kann, Wahlkampf führen kann. Bislang wurden freie Meinungsäußerungen der Opposition immer unterdrückt. Man hofft, dass die Wahl selber organisiert werden kann, es gibt noch sehr viel Gerangel um die Wahlmaschine, sehr viel Misstrauen, ob das dann auch alles rechtens vonstattengehen wird. Ob es von der Logistik her funktioniert und es genug Geld gibt. In jenen Regionen, die als Oppositionshochburgen definiert werden, hat man große Sorgen, dass es zu Unruhen und Gewalt kommen könnte, die die Wahlen schwierig machen. Also der Weg zu einer akzeptablen Wahl ist noch sehr weit.
Frage: Die Kirche des Landes hat sich klar gegen eine weitere Kandidatur Kabilas positioniert und ist aktiv gegen seine Regierung auf die Straßen gegangen. Wie sind dort die Reaktionen auf diese neue Entwicklung?
Neussl: Auch sie werden erleichtert sein, sind sich aber ebenfalls bewusst, dass es sich bei dem Schritt Kabilas nur um eine Etappe handelt. Und dass er diesen Kandidaten vorschickt, zeigt ihnen, dass sie sehr wachsam bleiben müssen.
Frage: Glauben Sie, dass sich die politische Lage mit Kabilas Rückzug stabilisieren wird?
Neussl: Ich bin mir da nicht sicher. Wir sehen in verschiedenen Regionen des Landes, die vorher friedlich waren, krisenhafte Entwicklungen – etwa in Kasai, wo sich seit 2016 Milizen, staatliche Sicherheitskräfte und die Armee bekämpfen. Da, wo es eine starke Opposition gibt, wird es wohl weiter Unruhen geben, die eine Wahl und die Kontrolle unmöglich machen. Unterdessen geht der Machtkampf weiter. Moïse Katumbi, ein wichtiger Kandidat der Opposition, durfte nicht mehr ins Land einreisen. Er wollte von Sambia aus in den Kongo, um sich als Kandidat aufzustellen und durfte nicht mehr über die Grenze. Man sagt, das sei der Kandidat aus der Opposition, den Kabila am meisten fürchtet. Die Bischöfe des Landes haben daraufhin am 6. August eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie darauf hinweisen, dass das gegen die Verfassung ist und eine Wahl ohne wichtige Kandidaten wie Moïse Katumbi keine freie Wahl ist.
Das Interview führte Claudia Zeisel
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