„Hier musste ich erst mal eine ganze Menge lernen“, erinnert sich Yvonne, die inzwischen im Injektionsraum des „Centre Medico-Social“ sitzt. Ihr gegenüber hat Guianabé Platz genommen, eine 75-jährige Dame mit tiefen Sorgenfalten im Gesicht. Vor einigen Tagen hat sie den 20 Kilometer langen Fußmarsch von ihrem Dorf auf sich genommen, weil sie das Fieber, die Kopf- und die Bauchschmerzen kaum noch aushielt. „Typhus“, kommentiert Schwester Yvonne, während sie Guianabé ein Antibiotikum spritzt. „Sie hätte keinen Tag später kommen dürfen.“
Typhus und Tuberkulose, Cholera und Gelbfieber: Gängige Infektions- und Tropenkrankheiten erkennt und behandelt Schwester Yvonne inzwischen im Schlaf. Auch an die wesentlich höhere Verantwortung, die Krankenschwestern in Togo tragen, hat sie sich längst gewöhnt. „Einen Arzt gibt es bei uns in Helota nicht“, sagt die Steyler Schwester. „Deshalb übernehmen wir hier viele Aufgaben, die in Europa Medizinern vorbehalten sind.“
Wie zum Beweis wird es plötzlich sehr hektisch: Laute Rufe aus der Empfangshalle, herbeieilendes Pflegepersonal. Schwester Yvonne ist sofort mittendrin: Aserike, ein kleines Mädchen, hat beim Spielen einen Stein an die Schläfe bekommen. Die Wunde blutet stark, sie muss sofort gereinigt und genäht werden. Schwester Yvonne weist den Vater an, den Kopf seiner schreienden Tochter festzuhalten, die Mutter sitzt teilnahmslos in der Ecke. „Wie alt ist die Kleine?“, ruft Schwester Yvonne. Mutter und Vater tauschen unsichere Blicke aus. „Etwa drei“, antwortet der Vater schnell. Schwester Yvonne tut alles, um Aserike zu beruhigen und beeilt sich mit der Naht. Minuten später verlässt die Kleine das Behandlungszimmer auf dem Arm ihres Vaters – mit einem großen, weißen Kopfverband.
Die Armut ist groß
„Viele Leute hier wissen nicht, wie alt sie oder ihre Kinder sind“, sagt Schwester Yvonne, während sie die Verbandsschere wegräumt. „Ich hatte kürzlich eine ältere Patientin, die mir auf die Frage nach ihrem Alter geantwortet hat, sie fühle sich wie mindestens 150. Man sorgt sich hier um andere Dinge als um sein Geburtsdatum.“ Helota, das kleine 100-Einwohner-Dorf im Norden Togos, liegt mitten im Nirgendwo. In den Siedlungen der Umgebung gibt es weder fließendes Wasser noch Elektrizität, die Straßen sind schlecht, der Boden ist trocken. Die Menschen versuchen, Mais, Bohnen und Baumwolle anzubauen, doch ihr Lebensstandard ist niedrig, die Armut groß.