Prof. Dr. Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer bei Renovabis, eröffnete den 28. Internationalen Kongress Renovabis.
28. Internationaler Kongress der Osteuropa-Solidaritätsaktion

Renovabis-Chef Schwartz: Säkularisierung als Chance zur Profilschärfung begreifen

Freising ‐ Wie nah stehen die Menschen in West- und Osteuropa der Kirche? Und was heißt es für Christen in säkularen Zeiten, Zeugnis abzulegen? Gefordert sind nicht nur die Laien, wie beim Renovabis-Kongress deutlich wurde.

Erstellt: 13.09.2024
Aktualisiert: 13.09.2024
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Die Fakten liegen längst auf dem Tisch: Das Vertrauen der Menschen in Westdeutschland in die Kirchen ist Untersuchungen zufolge auf einem Tiefpunkt angekommen. Diesen teilen sie sich mit den Banken. Bei den Katholiken soll das Vertrauen sogar noch geringer ausgeprägt sein als bei den Protestanten. „Wir sind in einer Kirchenkrise“, sagt der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack. Doch nicht nur im westlichen Europa sei diese Entfremdung zu erleben. Auch in ehemals katholischen Vorzeigeländern wie Polen nimmt etwa der sonntägliche Kirchgang ab. Der Abbruch vollzieht sich vor allem in der jüngeren, höher gebildeten Generation in den Städten.

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Eine Mission haben – Glaubwürdig Zeugnis geben. Zum Umgang mit Säkularisierung und religiöser Indifferenz in Europa“, lautete das Motto des 28. Internationalen Kongresses Renovabis. Bis Donnerstag fand das Treffen des katholischen Osteuropahilfswerks im oberbayerischen Freising statt. Angemeldet hatten sich dazu etwa 220 Personen aus 26 Ländern.

Schon am ersten Tage wurde deutlich, dass angesichts einer zunehmend säkularen Welt die alten pastoralen Konzepte nicht mehr helfen. Dabei war der Ansatz des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) eigentlich revolutionär, wie der Utrechter Pastoraltheologe Jan Loffeld erinnerte. Erstmals sah die Kirche den Menschen nicht nur als Sünder, der Gott brauche, um lebensfähig zu sein; stattdessen sei er als Fragender und Suchender betrachtet worden, dem die Kirche als Antwort „Gott“ geben könne. Heute dagegen sei die praktische Theologie herausgefordert, weil der Mensch gar keine Fragen mehr stelle, sondern bekenne: „Nö, mir fehlt nichts.“

Zunehmende Individualisierung

Die moderne Gesellschaft, weiß der Religionssoziologe Pollack, biete so viele Entfaltungsmöglichkeiten, dass Religion in allen Rankings auf dem hinteren Platz lande. Der Prozess der Individualisierung schreite voran. Dazu gehöre, sich in religiösen Belangen nicht sagen lassen zu wollen, was man zu glauben habe. Inzwischen täten sich ja selbst Katholiken mit einem dreifaltigen Gott oder der Jungfrauengeburt schwer. Die Kirche finde sich in einer hochkomplexen Gesellschaft auf sich selbst gestellt wieder. Sie müsse eine Sprache finden, mit der es gelinge, die Menschen zu erreichen, so Pollack. Denn derzeit gebe es in Westeuropa kein Land mit religiösem Aufschwung.

Doch es gibt auch Staaten, in denen die Kirche im Aufschwung ist, allerdings gepaart mit einem starken Nationalgefühl, wie der Münsteraner Wissenschaftler weiter erläuterte: „Um ein guter Russe zu sein, muss man orthodox sein.“ So gelte dies inzwischen für 60 Prozent der Bürger in Russland, früher seien es 30 Prozent gewesen. Ein ähnliches Denken finde sich in Bulgarien, ergänzte der Theologe Bojidar Andonov, der ehemals an der Universität Sofia lehrte. Bei seinen Landsleuten komme dazu, „dass wir 500 Jahre unter dem türkischen Joch waren“. Übrigens hätten selbst während des Kommunismus stramme Kader heimlich ihre Kinder taufen oder den Priester ein Gebet nach der offiziellen Beerdigung sprechen lassen.

Schwaches Mandat zur Evangelisierung?

Einblicke in die polnische Situation gab Marta Titaniec von der Stiftung Sankt Joseph der Polnischen Bischofskonferenz. Auf Kritik bei den Gläubigen stoße dort vor allem der Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch, die fehlende Transparenz und die starke politische Nähe des Klerus zur über Jahre regierenden, konservativen PiS-Partei. Mit dem derzeitigen Status habe die Kirche nur ein „schwaches Mandat“ für eine Evangelisierung. Sie müsse zuerst ihre eigene Glaubwürdigkeit wieder herstellen.

Kirche stelle keine Autorität dar, wenn sie sich selber nicht an ihre Regeln halte, sagte der tschechische Kirchenhistoriker Tomáš Petráček. Wer Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit fordere, müsse diese in den eigenen Reihen leben. Er schlug vor, die Kirche in Tschechien als „Laboratorium der Säkularisierung“ zu nutzen. Er plädierte dafür, die Diasporasituation in seinem Land als Chance zu begreifen und „einfach Kirche zu sein, uns innerlich zu erneuern.“ Neue Formen der Seelsorge müssten gefunden und ausprobiert werden. So gebe es viele Menschen, die kein Interesse an der Religion hätten, aber intuitiv christliche Werte lebten. Diese solle man sich nicht zum Feind machen, sondern mit Respekt behandeln und einbeziehen, um eine gerechte Welt zu schaffen.

Abschlusspodium des 28. Kongresses Renovabis
Bild: © Simon Korbella/Renovabis

Das Abschlusspodium mit Publikumsbeteiligung fragte nach den Zukunftsperspektiven für Kirche und christlichen Glauben in Europa. Es diskutierten (v.l.n.r.): Sr. Dr. Marie Pavlína Kašparová OP, Erzbischof Dr. Gintaras Grušas, Vilnius/Litauen, Moderatorin Prof. Dr. Claudia Nothelle, Dr. Doris Reisinger, Erzbischof Dr. Heiner Koch, Berlin. Schwerpunkte des Gesprächs: Die Rolle der Frau in der katholischen Kirche sowie der Umgang mit Missbrauchsopfern.

„Zukunftsperspektiven für Kirche und christlichen Glauben in Europa“ lautete der Titel der Abschlussdiskussion. Schwerpunkte des Gesprächs: Die Rolle der Frau in der katholischen Kirche sowie der Umgang mit Missbrauchsopfern. Die Würzburger Philosophin und Theologin Dr. Doris Reisinger forderte von der Kirche der Zukunft, dass „gleiche Würde“ auch „gleiche Rechte“ bedeuten müsse. Auch Sr. Marie Pavlína Kašparová OP, tschechische Künstlerin und Theologin aus Cambridge, stellte fest, dass viele Christinnen zwar eine Beziehung zu Gott hätten, aber häufig keinen Platz in der Kirche fänden, weil sie nicht gehört und gesehen würden.

Im Gespräch bleiben

Damit die Kirche auch in Zukunft glaubwürdig bleibe, mahnte Renovabis-Bischof Dr. Heiner Koch, das Gespräch zu suchen, gerade auch mit Nicht-Christen. Zudem mahnte er, dieses Gespräch dürfe auch nicht folgenlos bleiben. Erzbischof Dr. Gintaras Grušas (Vilnius) wiederum stellte die Gemeinschaft in den Mittelpunkt – weg von „mein Glaube“, hin zur Gemeinschaft.

Für Pfarrer Dr. Thomas Schwartz, den Hauptgeschäftsführer von Renovabis, hat die Veranstaltung ihr Ziel erreicht. „Dieser Kongress hat einmal mehr gezeigt, dass der Dialog, der für uns bei Renovabis zu den Grundaufträgen, quasi zu unserer DNA, gehört, eine enorme Bedeutung hat.“ Dieser Dialog lebe nicht davon, einer Meinung zu sein, sondern davon, einander zuzuhören und andere Meinungen auszuhalten. Mit Blick auf das Thema des 28. Kongresses Renovabis unterstrich Schwartz, Kirche müsse die Säkulärung als Chance begreifen, das Profil zu schärfen.

weltkirche.de mit Material von KNA und Renovabis

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