Anglikanische Kathedrale von Liverpool
Liverpools Kathedrale - erst vor 100 Jahren geweiht

Eine Riesenkirche vom Erfinder der roten Telefonbüdchen

Liverpool  ‐ Liverpool? Klar: Das sind Jürgen Klopp, die Beatles, der Hafen – und was noch? Zum Beispiel eine der größten Kathedralen der Welt; erbaut von einem sehr speziellen Architekten.

Erstellt: 13.07.2024
Aktualisiert: 09.07.2024
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Von Alexander Brüggemann (KNA)

Wenn die Rede auf Englands große Kathedralen kommt, dann fällt ein Name nur ziemlich selten: Liverpool. Dabei ist die Christus-Kathedrale am River Mersey in vielerlei Hinsicht einzigartig.

Da ist zum Beispiel das Alter: Der Bau begann erst 1904 und zog sich bis 1978 hin. Damals, bei der Grundsteinlegung, war Liverpool eine Stadt von beträchtlichem Wohlstand; stark irisch geprägt, an der Mündung des Mersey in die Irische See. Zeitweise sollen im 19. Jahrhundert bis zu 40 Prozent des Welthandels über den Liverpooler Hafen abgewickelt worden sein. Und zwischen 1830 und 1930 bestiegen rund neun Millionen Europäer hier ein Auswandererschiff in die Neue Welt, in die USA, nach Australien oder Neuseeland.

Da sind die Ausmaße: Mit 101 Metern Höhe und einer Innen- bzw. Außenlänge von 150 und 189 Metern gehört sie zu den acht größten Kathedralen weltweit. Mit der noch nicht fertiggestellten Bischofskirche St. John the Divine in New York ringt sie um den Titel der größten anglikanischen Kirche der Welt. Größte Kathedrale Englands ist sie allemal.

Und da ist der Architekt: Giles Gilbert Scott. Der damalige Student wurde Schöpfer gleich mehrerer emblematischer Gebäude und Designstücke. Die bekanntesten: die berühmten englischen Telefonbüdchen in leuchtendem Rot und die Battersea Power Station, ein Londoner Kohlekraftwerk am Südufer der Themse und eines der größten Ziegelgebäude Englands (in Betrieb 1933-1978). Und wenn man ehrlich ist, sieht dessen kleine Schwester, die Bankside Power Station (1952-1981), von weitem der Liverpooler Kathedrale gar nicht so furchtbar unähnlich.

Harsche Kritik am Siegerentwurf

Doch wie kam es zum Bau einer so späten, so gewaltigen Bischofskirche? Das Bistum Liverpool wurde erst 1880 gegründet, und die bestehenden Pfarrkirchen waren weder in Größe noch Erscheinung einer Kathedrale würdig. Nach einigem Hin und Her wurde 1902 ein Grundstück gekauft und der Neuausbau ausgeschrieben. Der Wettbewerb sorgte für großes Aufsehen – sollte hier doch Englands erst dritte neue Kathedrale seit der Reformation entstehen; nach der 1666 abgebrannten St. Paul's Cathedral und Truro (1880-1910) in Cornwall.

Der Siegerentwurf aus 103 Einreichungen war streng neugotisch und in lokalem Sandstein gehalten, mit einer klassischen Doppelturmfassade. Kritiker beschimpften ihn als „Flirt mit einem überkommenen Antiquarianismus, der doch längst in die Vorhölle künstlerischer Irreleitungen verbannt ist“. Tatsächlich stammte er von dem erst 22-jährigen Studenten Giles Gilbert Scott, der noch schlicht gar nichts auf der Habenseite zu verbuchen hatte - außer seinem Vater und seinem Großvater, die vor ihm eine Architekten-Dynastie mit diversen Kirchenbauten begründet hatten.

Dem unerfahrenen Scott wurde der gestandene Kirchenarchitekt George Frederick Bodley (1827-1907) zur Seite gestellt, ebenfalls ein Champion der Neugotik und Schüler von Scott senior. Doch Bodley hatte buchstäblich zu viele Baustellen, konnte sich wenig kümmern, und schon bald begehrte der ungeduldige Jungspund Scott jr. auf. Bevor dieser allerdings kündigte, starb der Altmeister, bald nach seinem 80. Geburtstag.

Mit neuem Selbstbewusstsein ging Scott nun an eine komplette Umgestaltung seines Entwurfs; ohne Zweiturmfassade, dafür mit einem monumentalen Zentralturm. Darüber kam es 1909 zum Streit mit dem Kathedralkomitee, das erst Ende 1910 eine erneute Überarbeitung genehmigte: mit deutlich mehr Platz im Inneren (3.500 Steh- oder 2.300 Sitzplätze), aber auch einer Aufgabe vieler filigraner gotischer Elemente zugunsten eines moderneren, monumentaleren Designs.

Deutsches Bombardement wirft Arbeiten zurück

Die beiden Weltkriege warfen nicht nur den Kirchbau, sondern ganz Liverpool weit zurück; Spenden, Material und Personal waren knapp. Immerhin konnte vor 100 Jahren, am 19. Juli 1924, zum 20. Jahrestag der Grundsteinlegung, in Anwesenheit von König George V. und anglikanischen Bischöfen aus aller Welt, ein Kernstück der künftigen Kirche geweiht werden: Chor, Chorumgang, Marienkapelle, Kapitelsaal und Sakristeien, abgeschlossen mit einer provisorischen Wand.

Deutsche Bomben verursachten 1941 im Luftkrieg („May Blitz“) beträchtliche Schäden; die Bedeutung Liverpools als Hafen- und Industriestandort nahm in den 50er Jahren kontinuierlich ab. Die Kindheit der Beatles war eine wirtschaftlichen Niedergangs; von 850.000 vor dem Bombenkrieg sank Liverpools Einwohnerzahl bis 1985 auf 460.000.

Die Schäden an der unfertigen Kathedrale, vor allem an der Marienkapelle, wurden bis 1955 beseitigt. Der Architekt Giles Gilbert Scott starb, 79-jährig, im Februar 1960 – wenige Wochen, bevor erstmals eine junge Band namens „The Silver Beetles“ auf Liverpooler Bühnen tingelte. Er ist in seiner Kathedrale bestattet.

Erst 1978 war der Bau endlich fertiggestellt; in einer Phase übrigens, in der der FC Liverpool Fußball-Europa dominierte und viermal hintereinander den Europapokal der Landesmeister holte, den Vorgänger der Champions League. Im Oktober 1978 feierte Königin Elizabeth II. einen Dankgottesdienst in der nun größten Kathedrale Englands.

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