Verzweifeltes Aufbäumen gegen die Vernichtung
Wenig bekannter Widerstand von Sinti und Roma in Auschwitz

Verzweifeltes Aufbäumen gegen die Vernichtung

Freiburg  ‐ Sinti und Roma erinnern an eine Widerstandsaktion vor 80 Jahren: Am 16. Mai 1944 konnten sie die Ermordung von Tausenden in der Gaskammer verhindern. Doch die Nationalsozialisten ermordeten die Allermeisten wenig später.

Erstellt: 16.05.2024
Aktualisiert: 28.05.2024
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Von Clara Engelien und Volker Hasenauer (KNA)

Die Nationalsozialisten haben mit ihrer Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz-Birkenau mehr als eine Millionen Menschen ermordet: vergast, erschossen, erschlagen, zu Tode gehungert. Wenig bekannt ist, dass einer Gruppe von Sinti und Roma vor genau 80 Jahren, am 16. Mai 1944, einer der wenigen Akte des Widerstands in Auschwitz gelang: Die Häftlinge schafften es, die von der Lagerleitung angeordnete „Liquidierung“, die sofortige Vergasung von rund 6.000 Menschen des sogenannten Zigeunerlagers zu verhindern. Die Räumung scheiterte zunächst. Allerdings änderte die SS schnell ihr Vorgehen, deportierte die Anführer des Widerstands in andere Lager und ermordete die verbliebenen Sinti und Roma dann im August 1944.

Für Romani Rose, den Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, markiert der verzweifelte Widerstandsakt ein wichtiges Datum. „Er dokumentiert, dass Sinti und Roma nicht bereit waren, sich widerstandslos der geplanten Vernichtung durch die SS in den Gaskammern auszuliefern. Und das ist wichtig für das Selbstbewusstsein der Minderheit“, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Der baden-württembergische Landesverband organisiert am Jahrestag in Mannheim Gedenk- und Informationsveranstaltungen - das „Resistance Day Festival“. In Workshops geht es um Identität und Geschichte. Das Kulturzentrum RomnoKher zeigt den Film „Widerstand! Sinti und Roma im 20. Jahrhundert“ und organisiert eine Lesung von Zeitzeugentexten. Zugleich ist die Erinnerung an den 16. Mai Teil der zentralen Gedenkstunde im früheren Vernichtungslager am 2. August.

Sinti und Roma, von den Nationalsozialisten als „rassisch minderwertig“ verfolgt, waren unter den ersten Opfern der NS-Vernichtungslager. Spätestens nach dem Himmler-Erlass vom 16. Dezember 1942 wurden Angehörige der europäischen Minderheit systematisch deportiert. Ihr Besitz wurde wie bei den jüdischen Opfern beschlagnahmt und zu Gunsten des Reichs eingezogen. Im besetzen Polen kam es zu Massenerschießungen.

Im „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau wurden rund 23.000 Menschen interniert, wohl die Hälfte von ihnen war jünger als 14 Jahre. Dokumentiert sind Massenvergasungen von Familien im März und Mai 1943. Weitere Tausende Sinti und Roma starben an den Folgen von Unterernährung, Zwangsarbeit und katastrophalen hygienischen Bedingungen.

Am 15. Mai 1944 gab die Lagerleitung dann den Befehl, alle verbliebenen rund 6.000 Menschen im Zigeunerlagers in einer konzertierten, nächtlichen Vergasungsaktion zu ermorden. Die Nachricht sickerte zu den Häftlingen durch. Und sie entschlossen sich zu einer verzweifelten Widerstandsaktion gegen die Massenmörder. Tadeusz Joachimowski, einer der wenigen Sinti und Roma, der Auschwitz überlebte, beschrieb den Widerstandsakt in einem von der Gedenkstätte Auschwitz dokumentierten Bericht später so:

„Vor dem Zigeunerlager hielten Autos, aus denen eine Gruppe von circa 50 bis 60 SS-Männern mit Maschinengewehren ausstieg. Die SS-Männer umstellten die Baracken, in denen die Zigeuner untergebracht waren. Einige von ihnen betraten eine Wohnbaracke mit dem Gebrüll ‘Los, Los!’. In den Baracken herrschte völlige Stille. Die darin versammelten Zigeuner warteten, mit Messern, Schaufeln, Eisen, Brecheisen und Steinen bewaffnet, darauf, was jetzt kommen würde. Sie verließen ihre Baracken nicht.“

Weiter schreibt Augenzeuge Joachimowski: „Die SS-Männer waren verdutzt. Sie gingen wieder raus. Nach einer kurzen Absprache begaben sie sich in die Blockführerstube zum Kommandanten der Aktion. Kurz darauf hörte ich einen Pfiff. Die SS-Männer, die die Baracken umstellt hatten, verließen ihre Posten, stiegen in die Autos und fuhren davon.“

Die Tragik der Widerstandsaktion liegt aber darin, dass die meisten Sinti und Roma ihrer Vernichtung dennoch nicht entkommen konnten. Die Nationalsozialisten verlegten Hunderte Personen des „Zigeunerlagers“ in andere Konzentrationslager. Die Überlebende Zilli Schmidt erinnerte sich später: „Dann haben sie sie alle abgeschoben, die ganzen Blockältesten, die, die sich wehren konnten, alle. Auch die Lagerältesten, die ihnen geholfen hatten, die sind dann alle abgezogen worden.“

Die verbliebenen rund 2.900 Sinti und Roma, vor allem Kinder und alte, kranke Menschen, wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 in die Gaskammern von Auschwitz getrieben.

Romani Rose zieht vom - letztlich gescheiterten - Widerstand eine Linie bis in die Gegenwart: „Der Widerstand ist Teil eines großen Vermächtnisses, dessen wir gedenken und dem wir uns verpflichtet fühlen, indem wir Demokratie und Rechtsstaat heute verteidigen.“

KNA

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