Kardinal Marx: Schuld gegenüber Sinti und Roma bekennen
München/Heidelberg ‐ Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hält eine historische Untersuchung des Verhältnisses der katholischen Kirche zu Sinti und Roma für notwendig.
Aktualisiert: 17.01.2024
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Hinsichtlich des versagten Schutzes der Minderheit vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten müsse ein „öffentliches Schuldbekenntnis der Kirche“ Ziel dieser Aufarbeitung sein, sagte Marx nach einem Besuch des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. „Als Kirche haben wir hier einen Auftrag, den wir bisher nicht eingelöst haben.“
Marx fügte hinzu, als Nachfolger von Kardinal Michael von Faulhaber sehe er sich dabei in einer besonderen Verantwortung. Der Vater des heutigen Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, hatte am 5. April 1943 unter falschem Namen versucht, bei Faulhaber in München vorzusprechen und die katholische Kirche um Hilfe zu bitten. Dies geschah wenige Monate nach der Anordnung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, alle noch im Deutschen Reich lebenden Sinti und Roma ins Vernichtungslager Auschwitz zu deportieren.
Der Münchner Erzbischof war nicht bereit, Oskar Rose zu empfangen, hielt aber den Besuch in seinem Tagebuch fest: „Bei Sekretär ein Zigeuner, namens Adler, katholisch – Die 14.000 Zigeuner im Reichsgebiet sollen in ein Lager gesammelt und sterilisiert werden, die Kirche soll einschreiten. Will durchaus zu mir. – Nein, kann keine Hilfe in Aussicht stellen.“
Romani Rose sagte, diese Notiz beweise die mutige Initiative seines Vaters. Sie erscheine ihm „wie ein Sinnbild für das moralische Versagen der damaligen Kirchenführung, von der sich die mehrheitlich katholischen Sinti-Familien angesichts der drohenden Vernichtung vergeblich Schutz und Beistand erhofften. Wie wir heute wissen, hatten die katholischen Bischöfe zu dieser Zeit genaue Kenntnis von der Dimension der Vernichtung unserer Minderheit.“ Rose möchte, dass zur Erinnerung daran eine Gedenktafel am Erzbischöflichen Palais in München angebracht wird.
Marx sagte dazu, er stehe dem offen gegenüber. „Der mutige Versuch von Oskar Rose und die Nichtwahrnehmung und Sprachlosigkeit der Kirche können Ausgangspunkt sein für eine umfassende historische Untersuchung“.
Das Treffen von Marx und Rose in Heidelberg fand bereits am Dienstag statt. Am Donnerstag veröffentlichten dazu das Erzbistum München und Freising und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine gemeinsame Pressemitteilung. Demnach setzen sich Marx und der Zentralrat gemeinsam für ein unabhängiges Forschungsprojekt ein. Mit der Deutschen Bischofskonferenz solle es außerdem einen „strukturierten Dialog“ geben.
KNA