Seit 1984 ist Katholizismus nicht mehr Italiens Staatsreligion
Vatikanstadt ‐ Ausgerechnet der Sozialist Bettino Craxi schaffte, was 21 italienische Regierungen mit 12 katholischen Ministerpräsidenten in 17 Jahren vergebens versucht hatten: die Abschaffung des Katholizismus als Staatsreligion.
Aktualisiert: 08.02.2024
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In einem nüchternen Zeremoniell in der römischen Villa Madama setzten Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli und Italiens Ministerpräsident Bettino Craxi am 18. Februar 1984 ihre Unterschriften unter den neuen Konkordats-Vertrag. Der vatikanische Spitzendiplomat mit Römerkragen und der Sozialisten-Premier mit der roten Krawatte schrieben Geschichte.
Sie passten das 1929 noch vom Diktator Benito Mussolini unterzeichnete Lateran-Konkordat den politischen und sozialen Veränderungen im demokratischen Italien und dem neuen Selbstverständnis der nachkonziliaren Kirche an. Damit stellten sie die Staat-Kirche-Beziehungen im Land mit der größten Katholikenzahl in Europa auf eine neue Grundlage.
„Der Staat und die katholische Kirche sind jeweils in ihrer eigenen Ordnung unabhängig und souverän. Beide sind der gegenseitigen Zusammenarbeit zur Förderung des Menschen und des Gemeinwohls verpflichtet“, brachte Casaroli den Geist der Übereinkunft auf den Punkt. Religion und Kirche sind „gesellschaftliche Realität in einer pluralistischen Gesellschaft“.
Für die Kirche Italiens bedeutete das eine neue Eigenständigkeit mit Rechten und Pflichten – und manchen Erleichterungen: Sie war nun nicht mehr von staatlichen Genehmigungen und Zustimmungen abhängig, etwa in Personalfragen. Die Kirchenleitung ernennt die Bischöfe seither frei, ohne den Staat um Einverständnis fragen zu müssen. Und für die Oberhirten entfiel der obligatorische Treueeid auf den Staat.
Anstelle der 45 Artikel von 1929 umfasste die Konkordatsrevision gerade einmal 14. Manche Vorgaben hatten sich mit dem Übergang von der Monarchie zur Republik im Nachkriegs-Italien ohnehin erübrigt, wie etwa das vorgeschriebene Gottesdienst-Gebet für den König.
Öffnung zur Religionsfreiheit
Einschneidender waren Änderungen als Folge des Konzils, etwa die Öffnung zur Religionsfreiheit oder in den Beziehungen der Kirche zur politischen Gemeinschaft. Der Artikel 1 der Lateran-Verträge war damit überholt, wonach „die katholische, apostolische und römische Religion die einzige Staatsreligion“ ist. Sehr bald schloss der Staat auch Abkommen mit Waldensern oder Zeugen Jehovas.
Und obsolet war auch der vom Lateran-Konkordat „im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit“ festgestellte „heilige Charakter“ der Ewigen Stadt Rom – als Bischofssitz des Papstes, als Zentrum der katholischen Welt und Ziel von Pilgerscharen. Nun hieß es lapidar, die Republik Italien anerkenne „die besondere Bedeutung, die Rom als Bischofssitz des Papstes für die Katholiken hat“.
Die Konkordatsrevision von 1984 hat dennoch wesentliche Teile der Lateran-Verträge beibehalten. Diese hatten 1929 einen Schlussstrich unter 1.000 Jahre politische Papstmacht gezogen und zugleich die Feindschaft zwischen dem Vatikan und dem neuen italienischen Einheitsstaat beendet, der 1870 den Kirchenstaat besetzt hatte. Mit den Lateran-Verträgen war der souveräne Vatikanstaat geschaffen und der Papst für den Verlust des Kirchenstaates entschädigt worden. Im Gegenzug erkannte der Papst das Königreich Italien mit seiner Hauptstadt Rom an und erklärte den Gebietskonflikt „unwiderruflich“ für beigelegt.
Neuorganisiert wurde im Konkordat von 1984 der Religionsunterricht. War er zuvor Pflichtfach, ist die Teilnahme nun freigestellt. Beibehalten, wenn auch modifiziert, wurde das Übereinkommen zum Eherecht, wonach, anders als in Deutschland, kirchliche Eheschließungen zivilrechtlich anerkannt werden. Eingeführt wurde weiter eine Art „Kirchensteuer“ zur Finanzierung des Klerus: Die auch für Nichtmitglieder der Kirche verpflichtende Abgabe von 0,8 Prozent der Steuer kann wahlweise der Kirche, Sozial- oder Bildungsaufgaben oder Kulturzwecken gewidmet werden.
Beide Seiten loben die Zusammenarbeit
Das Echo auf die Konkordatsrevision war anfangs geteilt. Die einen sahen darin eine laizistische Großtat, den Abschluss der im Risorgimento von 1870 eingeleiteten säkularen Staatsgründung, wie Craxi bei der Unterzeichnung betonte. Andere werten sie als „Instrument der Harmonie“ für einvernehmliche Staat-Kirche-Beziehungen.
Papst Benedikt XVI. lobte später die „gesunde Laizität“, mit der die Revision zu Eintracht und Zusammenarbeit in der pluralistischen Gesellschaft beigetragen und die religiöse Freiheit vollständig gewährleistet habe. Auch Franziskus sprach von einer „positiven Laizität“, die mitnichten feindselig sei. Man teile Grundwerte wie Menschenwürde und Menschenrechte, Familie, Solidarität und Frieden und arbeite zum Wohl des Landes zusammen.
Trotz mancher Staat-Kirche-Konflikte um Moralfragen oder Bioethik, um Gebäudeschutz und Rechtsbelange loben beide Seiten heute die gute Zusammenarbeit – die sich inzwischen auch auf Ebene der Justiz in vatikanischen Strafprozessen zeigt. Seine Amtsausübung wäre nicht möglich „ohne die großzügige Verfügbarkeit und Zusammenarbeit des italienischen Staates“, sagte Franziskus bald nach Amtsantritt. Umgekehrt finde Italien in der Kirche stets den „besten Verbündeten“ zur Förderung der Gesellschaft.
Auf diese Zusammenarbeit sind Vatikan und Italien derzeit bei der Vorbereitung des nächsten gemeinsamen Großprojekts angewiesen: wenn 35 Millionen Pilger zum Heiligen Jahr 2025 in die Ewige – aber nicht mehr Heilige – Stadt Rom kommen sollen.