Die Beduinen im Negev trauern fernab der Öffentlichkeit
Rahat ‐ Die Hamas hat die ersten beiden Beduinen aus der Geiselhaft entlassen. Um vier Geiseln bangen sie noch – unterhalb des Radars der israelischen Öffentlichkeit, denn Beduinen sind fast unsichtbar in der Gesellschaft.
Aktualisiert: 05.12.2023
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Aufatmen in der Negevwüste: Aischa (17) und Bilal Ziadna (18) sind frei, und damit die ersten zwei von sechs israelischen Beduinen, die von der islamistischen Hamas am 7. Oktober in den Gazastreifen entführt wurden. Donnerstagnacht brachten das Rote Kreuz und israelische Soldaten die beiden Geschwister zurück nach Israel. Ihr Vater Jusef (53), Bruder Hamza (22) sowie der 53-jährige Kaid Farhan Elkadi und der 22-jährige Samer al-Talaka sind weiterhin in Gefangenschaft.
Wie immer seien Jusef und die anderen morgens zum Kibbutz Holit aufgebrochen, zum Kühemelken, erzählt Jasmin, eine der älteren Töchter Jusef Ziadnas. Um sieben dann sei der Kontakt abgebrochen. Seither haben sie nur einen Wunsch: „Dass unsere Familie zurückkommt, dass dieser Krieg aufhört und alle Geiseln ausgetauscht werden.“ Schwer auszuhalten sei diese Zeit, sagt Jusefs Ehefrau Naima Ziadna. Der Glaube gebe ihr Kraft, sagt sie unter Tränen, die Arme wieder und wieder flehend in den Himmel gestreckt, Gottes Güte preisend, und dass er ihren Mann und alle ihre Kinder zurückbringen möge.
Für die Raketenabwehr existiert ihr Ort nicht
Ein anderer Zweig der Familie ist dem Grauen des 7. Oktober nur knapp entkommen. Auch sie sei an dem verhängnisvollen Samstag in Holit gewesen, zusammen mit ihrem Vater und drei Geschwistern, „den freien Tag genießen und ein bisschen rauskommen“, erzählt Salma Ziadna (14). Als die Raketen flogen, suchten sie Schutz. Bis die Hamas kam und alle fünf ein paar hundert Meter weit in den Gazastreifen verschleppte. Ihnen gelang die Flucht. Salma erzählt von einer Odyssee, von marodierenden Terroristen, von Gewalt, Plünderung und dem Schutz der israelischen Sicherheitskräfte. Das Reden fällt ihr schwer.
Als die Terrororganisation Hamas, die seit 2007 den Gazastreifen beherrscht, am 7. Oktober ihren blutigen Angriff auf Israel begann, traf ihre Gewalt die rund 250.000 Beduinen in der Negevwüste ungeschützt. 20 Beduinen starben, von der Hamas brutal ermordet, bei Raketeneinschlägen getötet. Wie Amin (11), Juwwad (13), Muhammad (16) und Malik (16). Die vier Kinder der Al-Guran-Familie starben in den ersten Stunden des Kriegs als die ersten Raketenopfer, erzählen ihre Angehörigen Said und Abu Tamer. Das Dorf, zu denen ihre Häuser gehören, „existierte lange vor der Gründung des Staates Israels“.
Tausende Menschen leben in Al-Bat, sagen sie, aber als von Israel nicht anerkanntes Dorf „sind wir auf keiner Karte“. Die Dorfgemeinschaft sei am 7. Oktober unter dem Lärm der Raketen aufgewacht. Sirenen, wie sie in den jüdischen Ortschaften üblich sind, hört man hier nicht, auch Schutzräume gibt es keine. Zwei Raketen trafen den Ort. Das sonst so effektive israelische Raketenabwehrsystem kommt hier nicht zum Einsatz. Al-Bat gilt als offenes, unbewohntes Land.
Unsicheres Gefühl
Die Spuren des tödlichen Einschlags, der einen Gemeinschaftsraum traf, sind beseitigt. Ein neuer Bau aus weißen Fertigwänden mit flachem Wellblechdach überdeckt die Erinnerung. Eine Art dachloses Freiluftzimmer aus Sandwällen, von staatlichen Stellen errichtet, soll die Bewohner vor weiterem Schaden durch Raketen schützen. Eine Betonröhre ist in der Zwischenzeit als zusätzlicher Schutz hinzugekommen, gespendet von jüdischen Zivilisten.
Nicht genug, sagt Taleb al-Sana, selbst Beduine, Rechtsanwalt und von 1992 bis 2013 Abgeordneter im israelischen Parlament. Die Beduinendörfer bräuchten dringend angemessene Schutzräume. „Der Staat muss das nicht für uns machen, aber er soll sie zumindest nicht wieder abreißen“, sagt er, denn ohne Schutz bedeute „jeder direkte Einschlag Tote“.
Auch in Al-Sir gibt es zwei solcher Röhren, gespendet von der arabischen Raam-Partei. Sie sind der einzige Schutz, den die 500 Dorfbewohner gegen die Gefahr aus der Luft haben. Wie je 250 Menschen in die wenige Meter langen Röhren passen sollen, in denen kein großer Erwachsener aufrecht stehen kann, ist Khalil Al-Amur ein Rätsel. Auch hier in der Gegend wurden Kinder von Raketen getötet. Der Lärm der Kampfflugzeuge, die im Minutentakt vom nahegelegenen israelischen Luftwaffenstützpunkt aufsteigen, lässt sie zusammenzucken. „Wir fühlen und unsicher und leiden unter der Situation“, sagt der Beduine.
Ignorierte Helden
Auch ohne Krieg stehen die Beduinen unter Druck. „Unser Land ist auf ein paar Prozent unseres historischen Gebiets zusammengeschrumpft und schrumpft weiter“, sagt Khalil. 90 Prozent der Negevbeduinen seien bei Staatsgründung Israels vertrieben worden, „nach Gaza, Ägypten, Jordanien, ins Westjordanland“. Wer geblieben ist, lebt in Rahat, der größten arabischen Stadt des Landes, in einer der sechs weiteren Beduinenstädte, die Israel seit den 1970er Jahren errichtet hat, oder wie Khalil: in einem der nicht anerkannten, oft historischen Dörfer, ohne Strom, Wasser und vor allem ohne Schutz, weder vor israelischen Abrissbirnen noch vor islamistischen Raketen.
Doch Beduinen gehörten nicht nur zu den Opfern der Hamas, sondern auch zu den Helden des 7. Oktober. Jusef Ziadna etwa, Namensvetter des entführten Jusuf vom gleichen Stamm, der sich in seinen Minibus setzte und unter ständigem Beschuss 30 Menschen aus dem Angriffsgebiet entlang der Gaza-Grenze rettete. Oder Amer Abu Sabila, der mit seinem Leben bezahlte, als er zwei jüdischen Kindern in Sderot das Leben rettete, und dessen Körper so zugerichtet war, dass er erst nach 16 Tagen identifiziert werden konnte.
Ein geteiltes Schicksal heiße aber nicht nur, dass Beduinen Juden retten, sagen sie ihm Süden. Kein Staat der Welt habe einen Teil seiner Bürger inmitten eines Kriegs so allein gelassen, klagt der Raam-Abgeordnete Walid Al-Hawaschleh. Es sei an der Zeit, dass „auch der Staat uns etwas gibt und zu unseren Rechten steht“.