Peru hat erstmals eine Präsidentin
Nach Castillos „Selbstputsch“

Peru hat erstmals eine Präsidentin

Lima ‐ Diese vier turbulenten Stunden werden in Perus Geschichte eingehen: Zuerst versuchte Präsident Pedro Castillo, den Kongress zu entmachten, dann verlor er selbst die Macht. Die übernimmt nun erstmals eine Frau im Andenstaat

Erstellt: 09.12.2022
Aktualisiert: 09.12.2022
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Von Tobias Käufer (KNA)

Auf der Rückbank, eingepfercht zwischen zwei Sicherheitsbeamten, endete für Pedro Castillo der historische Mittwoch in Peru. Den hatte er als Präsident begonnen, als Putschist fortgesetzt und schließlich als verhafteter Tatverdächtiger beendet. Sein Versuch – offenbar ohne jedwede strategische Vorbereitung –, den Kongress aufzulösen, war ein Spiegelbild seiner anderthalbjährigen Präsidentschaft. Lautes Gebrüll, viel zerschlagenes Porzellan und am Ende viel Chaos. Diesmal aber überspannte der selbsternannte Marxist den Bogen.

Vizepräsidentin Dina Boluarte, am Nachmittag vom Kongress als seine Nachfolgerin inthronisiert, reagierte ebenso überrascht und distanziert wie der Großteil seines Kabinetts und des Militärs: „Golpe de Estado“ („Staatsstreich“) hatte es plötzlich auf den Bildschirmen der Mobiltelefone der Peruaner geheißen: Der Präsident versuchte, das frei gewählte Parlament aufzulösen, um seiner für diesen Tag anberaumten Abwahl zuvorzukommen. Doch am Ende ließen ihn selbst seine Mitstreiter allein; diesen Schritt wollten sie nicht mitgehen.

Und so enthob das Parlament den Präsidenten mit klarer Mehrheit des Amtes. Auf Castillo wartet nun nicht nur wegen der zahlreichen Korruptionsvorwürfe der Prozess, sondern auch wegen Verfassungsbruchs. Der 53-Jährige hat in knapp 18 Monaten rund 70 Ministerinnen und Minister verschlissen, ständig musste sich das Wahlvolk an neue Namen gewöhnen, und hatten sie die gelernt, gab es schon wieder eine Kabinettsumbildung. Dazu die harten Vorwürfe gegen seine Familie und engsten Mitstreiter, die offenbar dreist in die Staatskasse griffen.

Das alles ist nun Geschichte. Der turbulente Tag – das oberste Gericht sprach von einem „Selbstputsch“ – ging auch deshalb vergleichsweise ruhig über die Bühne, weil die Mehrheit der Peruaner Castillo einfach nur noch loswerden wollte. Seine Nachfolgerin Dina Boluarte (60) ist nun die erste Frau an der Spitze Perus – die sechste Person im Präsidentenamt in nur fünf Jahren. Ihre Aufgabe wird es sein, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Sie forderte einen „politischen Waffenstillstand“. Boluarte gilt als deutlich besser vorbereitet als Castillo. Brasiliens künftiger Präsident Lula da Silva wertete die Amtsübernahme von Boluarte als verfassungskonform und bot seine Zusammenarbeit.

Schon vor Wochen sah die katholische Kirche all das kommen: Es gebe viele Anzeichen für Korruption nicht nur in seiner eigenen Partei, sondern auch in seinem persönlichen Umfeld, sagte Kardinal Pedro Barreto bereits im April. Die Bevölkerung sei enttäuscht von Doppelmoral und dem Missbrauch politischer Macht zugunsten bestimmter Gruppen. Doch danach wurde es damit nur noch schlimmer. Vor einigen Wochen forderte Kardinal Barreto den Regierungschef dann sogar unverhohlen zum Rückzug auf. „Der größte Gefallen, den Pedro Castillo uns tun könnte, wäre zurückzutreten“, sagte der Erzbischof von Huancayo. Die Korruption im Land haben ein „alarmierendes“ und nicht mehr hinnehmbares Ausmaß erreicht.

Am turbulenten Mittwoch hatte sich die katholische Kirche sehr schnell positioniert. Die katholischen Bischöfe der Andennation warfen dem abgesetzten Präsidenten einen versuchten „Staatsstreich“ vor. Castillos Vorgehen sei verfassungswidrig, hieß es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung. Die Geistlichen riefen die zuständigen Institutionen und alle Bürger Perus auf, die Demokratie zu verteidigen. Dies sei „ihre moralische Pflicht“.

Der Eskalation war ein monatelanger Machtkampf zwischen Regierung und Parlament vorausgegangen. Mehrfach verweigerte der Kongress dem Präsidenten die Ausreise – etwa im Oktober vor einem geplanten Besuch bei Papst Franziskus im Vatikan. Ob er jemals noch das Land verlassen kann, ist fraglich. Am Mittwochabend bot Mexiko dem abgesetzten Präsidenten Asyl an. Angeblich hatte Castillo versucht, in die mexikanische Botschaft zu kommen. Doch auch dieses Vorhaben scheiterte. In den peruanischen Medien werden schon Rufe nach schnellen Neuwahlen laut.