Gustavo Petros ambitionierter Plan vom „totalen Frieden“
Bild: © Adveniat
Kolumbiens erster linker Präsident ist seit 100 Tagen im Amt

Gustavo Petros ambitionierter Plan vom „totalen Frieden“

Bogotá ‐ Grenzöffnung zu Venezuela, Verhandlungen mit Guerillas und Paramilitärs: Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro versucht sich an der Lösung von Problemen, die das Land seit Jahrzehnten bedrängen.

Erstellt: 24.11.2022
Aktualisiert: 23.11.2022
Lesedauer: 
Von Tobias Käufer (KNA)

Seit gut 100 Tagen ist Kolumbiens neuer Regierungschef Gustavo Petro nun im Amt. Und in diesen 14 Wochen hat der erste linke Präsident des Landes schon richtungsweisende Entscheidungen gefällt: die Grenzöffnung zu Venezuela, die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Regierung in Caracas inklusive eines Staatsbesuchs bei seinem umstrittenen Amtskollegen Nicolas Maduro.

Ab Montag kommt nun eine weitere Weichenstellung hinzu: die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen mit der marxistischen Guerilla ELN. Dass die Gespräche ausgerechnet im Nachbarland Venezuela aufgenommen werden, erklärt auch, warum sich Petro entschieden hat, Maduro wieder als Gesprächspartner anzuerkennen. Trotz Berichten über schwere Menschenrechtsverletzungen im Nachbarland braucht er die Unterstützung Venezuelas – denn der ELN ist längst binational aktiv.

Bild: © Adveniat

Petro ist laut der Zeitung „El Tiempo“ schon der zehnte Präsident, der versucht, einen Frieden mit dem ELN auszuhandeln. Der erste war Alfonso Lopez (1974-1978), der nach einem schweren Militärschlag gegen die Kommandostruktur der Guerilla erwartete, dass die Überlebenden um Amnestie bitten würden. Doch sie sollten – angeblich wegen fehlender Garantien – nie erscheinen. Petro ist allerdings der erste wirklich linke Präsident, der den Friedensschluss versucht. Er selbst hat eine Vergangenheit als Guerillero der Bewegung M19, was ihm helfen wird, sich in die Gedankenstruktur der ELN-Kommandeure hineinzuversetzen.

Zudem ist ihm ein kleiner innenpolitischer Coup gelungen: Mit Jose Felix Lafaurie nimmt der Präsident des einflussreichen Viehzüchterverbandes „Fedegan“ an den Verhandlungen teil. Das ist gleich doppelt spannend: „Fedegan“ gilt als Sprachrohr der Großgrundbesitzer, den jahrzehntelangen Feinden der Guerilla. Zudem ist Lafaurie Ehemann von Maria Fernanda Cabal, der wohl lautstärksten rechten Oppositionspolitikerin im Land. Indirekt sitzt also auch die Opposition mit am Tisch, wenn verhandelt wird, was ihr eine öffentliche Kritik an der linken Regierung schwieriger macht.

Inzwischen hat sich auch bei Kolumbiens Großgrundbesitzern herumgesprochen, dass es ohne eine gerechtere Landverteilung nicht gehen wird. Das soll ohne Enteignung passieren, wie Petro verspricht. Stattdessen will der Staat Land abkaufen und an Kleinbauern verteilen.

Die Friedensgespräche der Petro-Regierung sind Teil eines ambitionierten Plans, den der neue starke Mann in Kolumbien „totalen Frieden“ nennt. Er will die laufenden Konflikte mit bewaffneten Banden durch Verhandlungen lösen. Nach dem von seinem Vorvorgänger und späteren Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos 2016 ausgehandelten Friedensvertrag mit der FARC-Guerilla stagnierten solche Bemühungen zuletzt.

Petros konservativer Vorgänger Ivan Duque hatte die Gespräche abgebrochen; als Reaktion auf ein schweres Bombenattentat auf eine Polizeikaserne im Januar 2019, bei dem 23 Menschen starben und fast 100 Personen verletzt wurden. Von Kuba forderte Duque vergeblich eine Auslieferung der Verantwortlichen. Die Staatsanwaltschaft nahm nun Haftbefehle gegen Mitglieder der ELN-Verhandlungsdelegation zurück.

Die Wiederaufnahme der Gespräche mit dem ELN war ein zentrales Wahlkampfversprechen Petros, das er nun einlöst. Zuletzt zollte sogar Ex-Präsident Alvaro Uribe, die Graue Eminenz der kolumbianischen Rechten, Petro Respekt. Sein Verhalten stimme mit dem überein, was er im Wahlkampf versprochen habe.

Der ELN (Spanisch: Ejército de Liberación Nacional, dt. Nationales Befreiungsheer) wurde 1964 von Studenten, katholischen Radikalen und linken Intellektuellen aus Protest gegen die Armut der Kleinbauern gegründet. Eine seiner Ikonen war der Priester Camilo Torres. Das Verhältnis von Marxismus und Christentum kommentierte Torres einst mit dem Satz: „Warum sollen wir streiten, ob die Seele sterblich oder unsterblich ist, wenn wir beide wissen, dass Hunger tödlich ist?“ Torres starb 1966 bei Kämpfen mit Regierungstruppen. Laut der Wahrheitskommission zur Aufarbeitung des Bürgerkriegs war der ELN zwischen 1986 bis 2016 für rund 18.600 Todesopfer verantwortlich.

KNA