Zwei Frauen sitzen an einem Computer und schauen Berichte an

Transparenz und Vertrauen in der Projektarbeit

Transparenz und Vertrauen spielen eine wichtige Rolle in der weltkirchlichen Projekt- und Partnerschaftsarbeit.

Erstellt: 25.10.2013
Aktualisiert: 27.09.2022
Lesedauer: 

Seit Jahren wird in unserer Gesellschaft der Ruf nach Transparenz immer lauter. Das zeigt sich nicht zuletzt in der aktuellen Debatte um die Haushalte deutscher Bistümer. Ebenso wichtig sind Transparenz und Vertrauen auch in der weltkirchlichen Projekt- und Partnerschaftsarbeit. Allzu häufig wird hier allerdings die Frage nach Rechenschaftslegung mit Misstrauen gleichgesetzt. Die Entwicklungs-Expertin Sonja Grolig stellt sich die Frage: Von welchem Vertrauen ist dann eigentlich die Rede?

„Vertrauen“ in der weltkirchlichen Partnerschafts- und Projektarbeit

„Das hat es doch früher nicht gebraucht! Warum wollen Sie denn jetzt einen Bericht und eine Abrechnung?“ Wie oft habe ich diesen Satz in den vergangen Jahren in meinem beruflichen und in meinem ehrenamtlichen Engagement in der weltkirchlichen Zusammenarbeit gehört. Er kommt von Partnerschaftsgruppen hierzulande genauso wie von Empfängern der Projekthilfen – und immer schwingt die Vertrauensfrage mit. Wenn aber die Frage nach Rechenschaftslegung mit Misstrauen gleichgesetzt wird, von welchem Vertrauen ist dann eigentlich die Rede?

Historie des Vertrauens

Im zwischenmenschlichen Miteinander gründet sich Vertrauen zu einem guten Teil auf positive Erfahrung, auf gleiche Wertehaltung oder gemeinsame Zugehörigkeit. Über viele Jahre und in einem hohen Maß war der innerkirchliche Raum von einem solchen Vertrauen gekennzeichnet, die weltkirchliche Arbeit eingeschlossen (1). Dieses Vertrauen prägte über Generationen hinweg die Beziehungen zwischen den Gebern (Einzelspendern, Pfarreien und Vereinen) und den kirchlichen Empfängern in den Ländern der so genannten „Dritten Welt“. Vielfach kamen Förderbeziehungen zustande, weil jemand aus der Gemeinde im Rahmen seines religiösen Engagements – sei es im Ordensberuf oder als Priester – in einem Entwicklungsland tätig wurde und seine heimatliche Anbindung zum Fundraising nutzte. Spender und Empfänger kannten sich persönlich. Ein Vortragsabend während des Heimaturlaubs war die gängige Form der Berichterstattung. Der nie verhallende Wunsch, die ganze Spende möge den Armen zugutekommen, ohne durch Verwaltungskosten geschmälert zu werden, wurde so erfüllt. Das Vertrauen der Spenderseite beinhaltete die Erwartung, dass der Empfänger die Gelder und Güter ehrlich an die Armen verteilt und damit die Solidarität übt, die der Spender an ihn delegiert hat.

Entwicklungen in der weltkirchlichen Arbeit

Das Aufblühen von Eine-Welt-Gruppen, Partnerschaftsausschüssen etc. schuf neben der eher individuellen Förderung eine stärkere Institutionalisierung auf Pfarreiebene und führte oftmals zur Gründung kirchennaher Vereine. Die Weltkirchenreferate der Diözesen begannen das Engagement der Gemeinden stärker zu begleiten. Parallel dazu etablierten sich in den 1950er und 60er Jahren in der Bundesrepublik die kirchlichen Hilfswerke.

Mit der Institutionalisierung ging eine Professionalisierung einher. Entscheidende Rahmenbedingungen dafür sind bis heute das Gemeinnützigkeitsrecht, das Vereinsrecht und die Vorgaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) , das über die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe erhebliche Mittel für die Entwicklungsarbeit der Kirchen zur Verfügung stellt. Auch wenn die staatliche Förderung nicht pastoralen Projekten zugutekommt, setzt sie über den Bereich der Sozial- und Entwicklungsprojekte hinaus sowohl formal als auch inhaltlich Standards. 1991 erfolgte die Einführung des deutschen Spendensiegels durch das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) (2). Seit 2005 verleiht die Pricewaterhouse Coopers AG den Transparenzpreis. Auch wenn beide Auszeichnungen nur beschreiben, wie transparent die Verwendung der Spenden gegenüber dem Spender ist, wird hier eine andere Erwartungshaltung der Spender sichtbar, die nicht mehr ausschließlich auf Vertrauen basiert (3).

Heute gibt es im weltkirchlichen Engagement eine Parallelität des Engagements von Einzelnen, kleineren Gruppierungen und Vereinen, die ehrenamtlich arbeiten, bis hin zu den großen Hilfswerken. Dies wird von den Akteuren teils als spannungsvoll, teils als bereichernd empfunden. Alle Akteure sind Veränderungen unterworfen, deren Ursachen nur zum Teil innerkirchlicher Natur sind.

Der aktive Spender

Im Fachjargon wird inzwischen nicht nur vom „mündigen“, sondern auch schon vom „aktiven“ Spender gesprochen. Er unterscheidet sich dadurch vom „passiven“ Spender, dass er mit mehr als „nur“ seinem Geld am Projekt beteiligt sein will, für das er spendet. Private Reisen, der über das BMZ-Programm „weltwärts“ bezuschusste Freiwilligendienst, und nicht zuletzt die Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten des Internets machen den Zugang zur Welt der Empfänger sehr viel leichter. Das erlaubt Einblicke und Beurteilungen, die dem Einzelnen früher schlicht nicht möglich waren. Hinzu kommt der Wunsch, als Einzelner „in Beziehung“ zu sein, also weder in einer Masse anonymer Spender unterzugehen, noch nur ein abstraktes Bild davon zu haben, wem die Spende zugutekommt.

Diese neue Form der Teilhabe fällt in eine Zeit, in der sich die Entwicklungshilfe als Ganzes und damit auch die weltkirchliche Arbeit nach ihrem Erfolg befragen lassen muss (4). Die Kultur der Hinterfragung, nicht zuletzt erwachsen aus der steigenden Anzahl von Hilfsorganisationen, die um Spenden werben, breitet sich vom Raum der staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen in den kirchlichen Raum hinein aus. Die Forderung nach Transparenz wächst. Unter den kirchlichen Spendern und weltkirchlich Engagierten findet sich heute die ganze Bandbreite von möglichem Selbstverständnis: Partnerschaft pflegen mit dem Anspruch, trotz wirtschaftlicher Ungleichheit auf Augenhöhe miteinander zu verkehren ist da ebenso zu finden wie ein stärker assistenziell-caritatives „Helfen-wollen“.

Generationswechsel in der Partnerschaftsarbeit

Die Generation von Missionaren, Ordensleuten und deutschen Auslandspriestern, die das Gegenüber der deutschen Spender war, ist aus Altersgründen stark auf dem Rückzug. Wir haben es zum Teil mit engagierten Personen zu tun, die in den Entwicklungsländern größere Einrichtungen und Werke aufgebaut haben, deren Leitung sie heute bisweilen überfordert. Wo solche stark personenbezogenen Projekte nicht frühzeitig institutionell abgesichert wurden, z. B. durch Ordensgemeinschaften, lokale Diözesen oder eine Vereinsgründung mit entsprechenden Aufsichtsgremien, drohen Verwaltungsschwächen und Zerfall des aufgebauten Lebenswerkes.

An die Stelle der deutschen Akteure treten heute Nachfolger aus den lokalen Kirchen. Kontakte nach Deutschland ergeben sich auch für ausländische Priester, wenn sie in Deutschland studieren oder Urlaubsvertretung machen. Das deutsch-deutsche Geber-Nehmer-Verhältnis wird jetzt „ernsthaft“ interkulturell. Hinzu kommt, dass die lokalen Nachfolger nicht über dieselbe soziale Absicherung für sich und ihre Herkunftsfamilien verfügen, wie dies bei den deutschen Ordensleuten und Priestern der Fall war. Zudem wird, was bisher eine fast lebenslange Bindung war, oft dem Wechsel häufiger Stellenversetzungen unterworfen. Damit ändern sich für die deutschen Spender in einer Partnerschaft immer wieder die Ansprechpartner. Die Rahmenbedingungen des Miteinanders verschieben sich: Deutlich wird, dass personenbezogenes Vertrauen nicht leichthin übertragbar ist und Vertrauen in die Institution(en) der Kirche sich nicht immer als haltbar erweist.

Wenn sich Vertrauen an der Wirklichkeit bricht

Die Kirche genoss in Zeiten der Volkskirche einen Vertrauensvorschuss wie nur wenige andere Institutionen. Daraus folgte für einen langen Zeitraum die Schlussfolgerung, dass es in der Kirche keine Korruption und keinen Missbrauch geben kann, außer als singuläres Phänomen, als Versagen von Einzelpersonen. Diesen Duktus haben sich bis vor wenigen Jahren auch die kirchlichen Hilfswerke im Sinne eines besonderen Qualitätsmerkmals zu Eigen gemacht.

Die nun fast zehnjährige Beschäftigung mit dem Thema Korruption in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen einer Arbeitsgruppe von Transparency International Deutschland führt zu einem anderen, schmerzlichen Fazit: Kirche ist auch Teil von Gesellschaft (5). Was es an Gutem und Schlechtem in einer Gesellschaft gibt, findet sich erfahrungsgemäß auch in der Kirche wieder. Was Kirche von der Welt unterscheidet, ist der normativ hohe Anspruch und – gegebenenfalls – eine daraus folgende Tabuisierung eigenen Versagens. Teils sieht die hierarchische Verfasstheit der Kirche, insbesondere im Ausland, beratende Gremien vor, wo Kontrollinstanzen nötig wären. Teils existieren formal die nötigen Verwaltungsstrukturen und Kontrollinstanzen, sie finden aber im kirchlichen Kontext nicht zu ihrer vollen Funktionalität. Die möglichen Formen von Vertrauensmissbrauch sind dem entsprechend mannigfaltig, die Aufarbeitung und Neuordnung innerkirchlich schwierig.

Ohne in irgendeiner Weise eine quantitative Aussage treffen zu können oder einen Generalverdacht aussprechen zu wollen, muss gesagt werden: Weltkirchliches Engagement, das hauptsächlich auf Vertrauen basiert, bricht sich immer wieder an den Erfahrungen von schlechter Verwaltung, gescheiterten Projekten und Mittelmissbrauch durch Amtsträger. Dabei hat das Vertrauen der Geberseite die Möglichkeiten des Scheiterns und Missbrauchs auf der Empfängerseite begünstigt. Das gilt für ein Scheitern aus Überforderung ebenso wie für ein Scheitern aus Eigennutz.

Deshalb ist die Ausgangsfrage so bedeutsam: Wenn die Frage nach Rechenschaftslegung mit Misstrauen gleichgesetzt wird, von welchem Vertrauen ist dann eigentlich die Rede? Dies möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen: Ein Hilfswerk finanziert über mehrere Jahre ein finanziell umfangreiches Projekt eines kirchlichen Partners. Die empfangende Diözese und ihre Verantwortlichen genießen hohes Vertrauen, weil augenscheinlich über Jahre hinweg gute Projektarbeit geleistet wurde. Nach Jahren treten erste Hinweise auf, dass nicht alle Geldmittel tatsächlich für den vereinbarten Zweck eingesetzt wurden. Das Hilfswerk zögerte, eine genaue Prüfung vorzunehmen, weil man befürchtete, die gute Partnerbeziehung zu belasten.

Als ich um Rat gefragt wurde, verwies ich darauf, dass auch der Partner das Recht auf eine Überprüfung habe, da der geäußerte Verdacht sonst weiter stillschweigend im Raum stehen und die Beziehung belasten würde. Pikanterweise vergingen in diesem Fall noch einige Jahre, bis beim Partner schließlich systematische Korruption festgestellt wurde. Anschließend wurde von der kirchlichen Seite im Empfängerland dem Hilfswerk vorgeworfen, zu viel vertraut und zu wenig kontrolliert zu haben.

Transparenz als Schlüssel zu einem gerechtfertigten Vertrauen

Bei der von Transparency International Deutschland organisierten Tagung „Mut zur Transparenz“ in Bad Boll 2009 hat Christoph Stückelberger unter dem Thema „Theologisch-ethische Wertmaßstäbe als Begründungen für die Strukturmaßnahmen zur Korruptionsbekämpfung“ dargelegt, dass Transparenz ein theologisch-ethischer Grundwert ist. Ausgehend vom Stichwort „Wahrhaftigkeit“ benennt er Rechenschaftspflicht als ein Grundmoment von guter Haushalterschaft und folgert entsprechend (6): „Sie können nicht verantwortlich mit den Ressourcen, die ihnen anvertraut sind, umgehen, aber das unter Geheimhaltung machen.“ (7) Transparenz beinhaltet die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen, die Darstellung von Aktivitäten und deren Erfolgen (und Misserfolgen) ebenso wie die rechnerische Darlegung der Mittelverwendung. Der Einwand, dass die Schaffung von Transparenz den Empfängern Arbeit macht, sie mit „unnötiger“ Verwaltung belastet und von ihrer eigentlichen Arbeit bei den Bedürftigen abhält, erscheint wenig gerechtfertigt. Denn wer nicht Rechenschaft über sein Handeln ablegen kann, der muss sich fragen lassen, ob er in der sozialen und pastoralen Arbeit selbst ausreichend gerüstet ist, um mit dem anvertrauten Mitteln gut zu wirtschaften. Strittiger ist da schon die Frage, welcher Verwaltungsaufwand für welches Mittelvolumen als angemessen erachtet wird.

Weltkirchliches Engagement und Partnerschaft leben vom Vertrauen: vom Vertrauen darauf, dass die Welt veränderbar ist, und vom Vertrauen darauf, dass gemeinsam wahrgenommene Verantwortung solche Änderungen möglich macht. Dieses Miteinander transparent zu gestalten, rechtfertigt erst das Vertrauen, das die Akteure ineinander setzen. Wohingegen ein nicht gerechtfertigtes Vertrauen – also ein blindes Vertrauen – Versuchungen schafft und das Risiko des Vertrauensbruches in sich birgt. In dieser Sichtweise ist die Forderung nach Transparenz keine Schmälerung von Vertrauen, sondern seine Voraussetzung. Ein solcher entidealisierter Vertrauensbegriff wird der Brüchigkeit der Welt, der Versuchbarkeit des Einzelnen und der Anfälligkeit von Institutionen, wozu auch die Kirche zu zählen ist, besser gerecht.

Von Sonja Grolig

Aus: Wort und Antwort 54 (2013) 122–126

Mit Dank für die freundliche Abdruckgenehmigung der Redaktion und des Grünewaldverlags.

Anmerkungen

(01) Gleichzeitig gilt, dass Zweifel an der Institution Kirche und ihren einzelnen Amtsträgern nicht immer zugelassen werden, was eine kritische Wahrnehmung erschwert. Das Bekanntwerden von Fällen sexuellen Missbrauchs sowie die „Vatileaks-Affäre“ haben jedoch auf nahezu allen kirchlichen Ebenen zu einem einschneidenden Vertrauensschwund geführt.

(02) Vgl. die DZI-Homepage www.dzi.de [Aufruf: 10.7.2013].

(03) Beide Auszeichnungen sagen wenig darüber aus, ob die Projektarbeit insgesamt sinnvoll ist und wie sie durchgeführt wird.

(04) Die Methoden der Evaluierung und der Wirkungsbeobachtung sind dabei selbst Gegenstand der öffentlichen Debatte.

(05) Vgl. Transparency International – Deutschland e. V. (Hrsg.), Korruption in der Entwicklungszusammenarbeit – ein Problem auch für kirchliche Organisationen, Berlin 2007., als pdf-Datei abrufbar

(06) Auch good stewardship oder oikonomos, vgl. Lk 12,42–48.

(07) Evangelische Akademie Bad Boll, Transparency International Deutschland e. V. (Hrsg.), Mut zur Transparenz – Korruptionsprävention in der Entwicklungszusammenarbeit von Kirchen und NROs. Tagungsdokumentation (Bad Boller Skripte 2009–3), Bad Boll 2009. Der Vortrag von Ch. Stückelberger findet sich ebd., 7–22, als pdf-Datei abrufbar unter www.transparency.de [Aufruf: 10.7.2013].

Zur Autorin

Sonja Grolig ist Dipl.-Theol. und Dipl.-Finanzwirtin und wurde 1968 in Tettnang geboren. Als ehrenamtlich aktive Mitarbeiterin bei Transparency International Deutschland e. V. leitete sie die AG nichtstaatliche Entwicklungszusammenarbeit: Schwerpunkt kirchliche EZ.

Heute ist sie die stellvertretende Bereichsleiterin Ausland beim Kindermissionswerk "Die Sternsinger".

Weiterführende Literatur

Korruption gibt es überall, wo Menschen in organisierten Strukturen leben und arbeiten, auch in der Entwicklungszusammenarbeit, auch in Kirchen und kirchlichen Organisationen. Der vorliegende Band ist die Dokumentation der Transparency International-Tagung an der Evangelischen Akademie Bad Boll vom 30. November bis 2. Dezember 2011:

Mut zur Transparenz II. Korruptionsbekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit der Kirchen und Nichtregierungsorganisationen.Tagesdokumentation der Evangelischen Akademie (Bad Boller Skripte 2012–1), Bad Boll 2012.

 

„Was bleibt, wenn wir gehen?“

Für die Zeitschrift Ordenskorrespondenz der Deutschen Ordensobernkonferenz verfasste Sonja Grolig den Artikel „Was bleibt, wenn wir gehen?“ über die Nachhaltigkeit der Lebenswerke von Fidei Donum Priestern. Er erschien in der Ausgabe 1/2019, die bei der DOK bestellt werden kann.