
„Starke Polarisierung“
Familiensynode ‐ Vor der Weltfamiliensynode in Rom werden die Themen Ehe und Familie in der katholischen Kirche heiß diskutiert. Das Thema polarisiert - zumindest in den Medien, meint Abtpräses Jeremias Schröder. Er wird ab Sonntag für den Benediktinerorden an der Synode teilnehmen. Im Interview schildert er seine Erwartungen.
Aktualisiert: 30.09.2015
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Er ist Deutscher, vertritt aber die Weltkirche: Jeremias Schröder (50), Abtpräses der 1.100 Mönche zählenden Benediktinerkongregation von Sankt Ottilien, nimmt als Chef seines Ordens an der vatikanischen Familiensynode teil, die am Sonntag beginnt. Im Interview schildert der gebürtige Allgäuer seine Erwartungen an das Treffen, was der Beitrag der Orden sein könnte und wie er die Reformbemühungen von Papst Franziskus einschätzt.
Frage: Abt Jeremias, mit welchen Gedanken und Gefühlen fahren Sie nach Rom?
Schröder: Ich bin neugierig, wie sich das abspielen wird. Das ist ein großer Moment in der Kirchengeschichte – das flößt Respekt ein. Auf dieser Synode wird sich entscheiden, ob Papst Franziskus seine Reformvorhaben verwirklichen kann. Ich fahre auch mit einer gewissen Spannung, weil im Vorfeld eine starke Polarisierung stattfindet – jedenfalls in den Medien. Ob sich das auch so erweisen wird, wenn man vor Ort zusammensitzt, weiß ich nicht. Von der vorbereitenden Synode im vergangenen Jahr habe ich gehört, dass die Synode in der Aula und die Synode in den Medien sehr wenig miteinander zu tun hatten.
Frage: Ist diese Polarisierung wirklich nur ein Medienphänomen?
Schröder: Es äußern sich ja auch Protagonisten, so ist sicher ein realer Hintergrund da. Aber welchen Rückhalt diese Positionen haben, die da aufgebaut werden, wie stark sich das im Episkopat und in der Synode widerspiegeln wird, das frage ich mich momentan. Einige wenige machen sehr viel Lärm. Ob das tatsächlich von vielen geteilt wird, ist offen.
Frage: Sie haben die Reformbemühungen von Papst Franziskus angesprochen. Wird dieser Oktober der Lackmustest dafür sein?

Schröder: Wenigstens in einem Bereich. Der Papst will ja stärker partizipatorische Entscheidungen ermöglichen, dafür ist die Synode ein ideales Instrument. Früher galten Synoden als mühsame Veranstaltungen, die Themen vertieft haben, ohne dass das unmittelbare Auswirkungen auf die Kirche hatte. Das könnte dieses Mal anders sein. Es wird sich zeigen, ob es möglich ist, die Weltkirche stärker einzubinden.
Frage: Sie sind Deutscher, verfügen aber als Missionsbenediktiner über große interkulturelle Erfahrung. Was können Sie bei der Synode einbringen?
Schröder: Ich nehme nicht als Deutscher teil. Das habe ich auch den deutschen Bischöfen gesagt, die dort sein werden. Ich bin zunächst als Ordensmann und Oberhaupt einer weltweit tätigen Kongregation dabei. Wir Ordensleute haben uns auch darüber ausgetauscht, was wir zu der Synode beitragen können. Eines ist sicher: Jeder von uns vertritt Gemeinschaften, die in sehr vielen Ländern tätig sind – bei uns Missionsbenediktinern sind das 20. Wir haben von vornherein einen geschärften Blick für kulturelle Verschiedenheiten. Das macht es uns auch schwerer, denn wir zweifeln an einfachen Lösungen, die aus einem bestimmten kulturellen Kontext hervorgehen.
Frage: Die deutsche Diskussion im Vorfeld der Synode konzentriert sich auf den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexuellen. Was hören Sie dazu in anderen Ländern?
Schröder: Ich habe zu meiner eigenen Überraschung festgestellt, dass das Thema der wiederverheirateten Geschiedenen in vielen Ländern eine große Rolle spielt. Gerade komme ich aus China zurück. Dort haben mir mehrere Priester und Ordensleute gesagt, dass es einen unglaublichen Leidensdruck gibt. Sehr viele Ehen sind unter dem Druck der Eltern zustande gekommen und funktionieren nicht. Zum Teil liegen Geschichten schon sehr weit zurück und können nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Es ist deutlich spürbar, dass das eine riesige pastorale Herausforderung ist. Das Thema der Homosexuellen kam hingegen in meinen Gesprächen nirgendwo dominant vor, auch nicht in Deutschland.
Frage: Sie haben enge Kontakte zu Afrika. Von dort wurde den Europäern „Neokolonialismus“ vorgeworfen. Wie bewerten Sie das?
Schröder: Ich war im Juli in Tansania und habe darüber mit dem Kardinal von Daressalam, Polycarp Pengo, gesprochen. Darin zitierte ich einen italienischen Bericht über die diesjährige Versammlung in Accra, in dem von einer Kampagne gerade der Deutschen die Rede war. Der Kardinal sagte mir: Nein, von Deutschland ist nicht die Rede. Er war selbst auf der Versammlung und habe das überhaupt nicht so gehört, wie es in der italienischen Presse berichtet wurde. Ich glaube, da werden die Afrikaner instrumentalisiert – oder man benutzt ein, zwei Exponenten bestimmter Positionen und bezieht das auf den ganzen Kontinent.
„Die wichtigste Frage der Synode muss doch lauten, wie wir das Evangelium in alle Familiensituationen hineintragen können.“
Frage: Wer in einen Orden eintritt, lässt seine natürliche Familie zurück. Welche Perspektive ergibt sich daraus für die Synode?
Schröder: Die starke Betonung der Familie, gerade im Kontext der Synode, verschleiert, dass wir im Neuen Testament auch familienkritische Positionen finden. Dass Christen gerufen werden, als Kinder Gottes eine neue geistliche Familie zu bilden. Ich habe den Eindruck, es gibt im Umfeld der Synode das Bestreben, etwas „social engineering“ zu betreiben, irgendwelche Positionen und Gesellschaftsmodelle zu retten, weil nur noch die Kirche einen Blick dafür hat. Die wichtigste Frage der Synode muss doch lauten, wie wir das Evangelium in alle Familiensituationen hineintragen können. Da müssen wir nicht beurteilen, wer jetzt genau eine „richtige“ Familie ist. Wo es funktioniert und schön ist, aber auch dort, wo es schwierig und verletzt und gebrochen ist – in jeder Familiensituation müssen wir überlegen, was wir als Kirche machen können.
Frage: Worauf freuen Sie sich am meisten und wie bereiten Sie sich vor?
Schröder: Ich freue mich auf die Möglichkeit vieler Begegnungen. Etwas Angst habe ich davor, dass es sehr anstrengend wird, viele Stunden in der Synodenaula zu sein und viele Beiträge zu hören. Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig, wie mir ein alter Synodenteilnehmer gesagt hat. Vorbereitet habe ich mich zum Beispiel, indem ich in den vergangenen Monaten bei Reisen immer nachgefragt habe: Wie seht ihr das, habt ihr von der Synode gehört, ist das interessant für euch, wie erlebt ihr die Situation vor Ort?
Von Bernd Buchner (KNA)
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