Pilgern mit politischer Botschaft im Gepäck
Ökumenischer Pilgerweg ‐ Am Wochenende haben die Vereinten Nationen ein neues globales Klimaabkommen verabschiedet. Auch die Kirchen haben sich aktiv an der klimapolitischen Diskussion beteiligt, z. B. mit einem Klimapilgerweg zum UN-Gipfel in Paris. Martina Köß, die für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken an der Aktion mitgewirkt hat, zieht Bilanz.
Aktualisiert: 18.12.2015
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Bereits zur UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen war mit einem Vertragsabschluss in der Nachfolge des bereits ausgelaufenen Kyoto-Protokolls gerechnet worden. Ohne Erfolg. Seit Monaten nun wurde der Blick gerichtet auf die 21. UN-Klimakonferenz im Dezember 2015 in Paris. Und es wurde klar: Die Kirchen und kirchlichen Organisationen wollen und müssen sich engagiert an der klimapolitischen Diskussion beteiligen.
Die Bewahrung der Schöpfung ist ein grundlegender Auftrag christlichen Handelns, und viele Christinnen und Christen wollten gemeinsam ein Zeichen setzen für ein ambitioniertes und gerechtes Klimaabkommen. Herausgekommen ist die Aktion „Geht doch! Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit“, in dem das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) im großen ökumenischen Bündnis beteiligt war und mit der Vizepräsidentin Karin Kortmann ein Mitglied der Schirmherrschaft stellte. Vom 13. September bis zum 28. November 2015 machten sich Pilgerbegeisterte und Klimaengagierte in Flensburg auf den Weg, um knapp drei Monate später zum Beginn der UN-Klimakonferenz in Paris anzukommen.
Wir können hier noch nicht auf die Ergebnisse der Klimaverhandlungen schauen, denn die Konferenz ist bei Redaktionsschluss noch in vollem Gange. Gleichwohl möchte ich einen Rückblick wagen auf dieses bewegende Projekt. Dafür greife ich auf, was Erzbischof Dr. Ludwig Schick in seiner Aussendungsrede im Rahmen des Bergfestes Ende Oktober in Wuppertal benannt hat. Pilgern kann ganz unterschiedliche Beweggründe haben, doch gibt es fünf Merkmale, die alle Pilger verbinden. Anhand dieser „Peregrinatio-Gedanken“ wird deutlich, wie kraftvoll und kraftschöpfend Pilgern sein kann, wenn es eine politische Botschaft im Gepäck hat.
Aufbrechen
Wer sich heute als Pilgerin oder Pilger auf den Weg macht, wer „aufbricht“, hat ganz unterschiedliche Beweggründe und verlässt seine gewohnte Umgebung. Es braucht einen inneren Schwung und eine besondere Motivation.
Zum Ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit waren neun Personen in Flensburg aufgebrochen, um – wenn die Gesundheit mitmacht – bis nach Paris zu pilgern. Ihnen angeschlossen haben sich auf den einzelnen Etappen der fast 1.500 Kilometer rund 5.000 Menschen. Jeden Tag ein bisschen weiter pilgerten sie durch Hamburg, Bremen, Münster, Dortmund, Wuppertal, Bonn, Trier, Metz, Montmirail. „Aufbrechen“ ist auch beim Klimaschutz erforderlich. Wir haben in den Wochen des Pilgerwegs erlebt, dass ganz viele Ideen und Kräfte freigesetzt werden, wenn wir aufbrechen, uns auf den Weg machen und Bekanntes und Gewohntes hinter uns lassen. Dann tun sich neue Wege auf. Wege, die den aktuellen Lebensstil verändern, um ihn gemeinwohlverträglicher zu machen.
Unterwegs sein
Neue Wege müssen beschritten werden. So ist das „Unterwegssein“ das zweite Merkmal des Pilgerns. Wer pilgert, bleibt in Bewegung, bleibt wach und kann aufmerksam wahrnehmen. Die Ressourcen Gottes kommen zum Vorschein und können Kraft für unser Handeln geben. Die Wahrnehmung wurde auf dem Ökumenischen Pilgerweg immer wieder an sogenannten Kraftorten und Schmerzpunkten auf besondere Chancen und Herausforderungen der Klimagerechtigkeit gerichtet. Wir haben auf dem Pilgerweg erlebt, wie viele Menschen bereits sehr engagiert sind, um dem Klimawandel mit ihren je eigenen Möglichkeiten beruflich und privat entgegenzuwirken. Es zeigte sich, dass erfolgreiche Projekte häufig regional verortet sind. Das heißt, wir brauchen unterwegs viele Nachahmer auf kleiner Ebene und gleichzeitig die Bereitschaft, gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen für eine klimafreundliche Lebensweise zu setzen.
In der Fremde leben
Wer pilgernd unterwegs ist, lebt in der Fremde. Jeden Tag aufs Neue geht man los ins Ungewisse, erlebt Neues und lebt im Provisorium. Das haben die Dauerpilgerinnen und -pilger immer wieder erlebt. Den ganzen Tag waren sie unterwegs, sind fremden Menschen begegnet, haben fremde Orte durchschritten und sind am Abend von Fremden willkommen geheißen worden. Jeden Tag aufs Neue. In der Fremde entwickeln wir eine neue Sicht auf die Dinge, die für andere zum Alltag gehören. So wurden auch die Gastgeberinnen und Gastgeber mit hineingenommen in die Pilgerschaft. Das war die große Besonderheit des Pilgerwegs. An den meisten Orten ist es gelungen, die Dauerpilger in Privatquartieren unterzubringen. So konnte die Botschaft weiter verbreitet werden. Menschen wurden aufmerksam gemacht und haben sich ihrerseits selber auf eine innere „Pilgerreise“ begeben.
In Gemeinschaft leben
Im Leben benötigen wir die Bestärkung durch eine Gemeinschaft, den Zuspruch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Diesen Zuspruch hat ganz besonders Papst Franziskus den Pilgerinnen und Pilgern mit auf den Weg gegeben, als kurz vor dem Start des Ökumenischen Pilgerwegs die Enzyklika „Laudato Si'“ veröffentlicht wurde. So wurde der Pilgerweg zu einem Projekt, dass die „Sorge um das gemeinsame Haus“ ganz konkret werden ließ. Es ist sehr eindrucksvoll, in Gemeinschaft mit ganz unterschiedlichen Menschen für ein und dasselbe Ziel unterwegs zu sein. Die Gruppe war immer gemischt-konfessionell und auch Nicht-Christen waren mit auf dem Weg. Es wurde klar, dass uns alle die Sorge über den immer stärker spürbar werdenden Klimawandel eint. Hierin sehen wir eine fundamentale ethische Herausforderung der heute lebenden Generationen. Denn unser Wirtschaftsmodell und unser Lebensstil im globalen Norden haben erheblich dazu beigetragen, dass Treibhausgase die Atmosphäre immer weiter belasten. Wir sind überzeugt, dass nur mit der gemeinsamen Anstrengung aller Menschen die globale Erwärmung begrenzt, eine gerechte Welt gestaltet und so die Schöpfung bewahrt werden kann. Der Ökumenische Pilgerweg für Klimagerechtigkeit stellte nicht nur Forderungen. Es ging auch darum, den politisch Verantwortlichen Mut zu machen, ihnen zu zeigen ‚Wir stehen hinter Ihnen, wenn Sie bereit sind für unsere Lebensgrundlage einzustehen‘. Es muss deutlich werden, dass wir nur gemeinsam den Klimawandel eindämmen können.
Ein Ziel haben
In der Tradition hat das Pilgern als fünftes Merkmal ein konkret religiöses Ziel: einen Wallfahrtsort, eine Gnadenkapelle, einen Ort, an dem Anbetung möglich ist. Dies ist bei einem Pilgerweg aus Anlass einer UN-Klimakonferenz nicht gegeben. Gleichwohl wurde deutlich, dass das Ziel „Klimagerechtigkeit“ ein zutiefst religiöses, wenn auch nicht konkret fassbares Ziel ist.
Auf dem Weg nach Paris wurden immer wieder Zwischenstationen gemacht an Kirchen, Klöstern oder Wegekreuzen. Der Auftrag Gottes zur Bewahrung der Schöpfung wurde an diesen Orten ins Gebet gebracht und mit der Frage nach den Konsequenzen für unser Leben verbunden. Es hat sich gezeigt, dass der Ökumenische Pilgerweg unter dem Oberziel „Klimagerechtigkeit“ viele weitere Ziele verfolgt hat. Natürlich war die Forderung an die politisch Verantwortlichen nach der Verabschiedung eines ambitionierten und gerechten Klimaabkommens das öffentlich wichtigste Ziel. Auch in der vielschichtigen Medienresonanz wurde das immer wieder deutlich. Darüber hinaus sollten Menschen zusammen finden, Ermutigung erfahren in ihrem Einsatz für die Schöpfung und ihr Anliegen weitertragen, zum Beispiel an die Menschen, die ganz konkret am Wegesrand des Pilgerweges standen.
Schneeballeffekt
Als große ökumenische Gemeinschaft sind wir als Pilgerinnen und Pilger aufgebrochen aus unserem Alltag. In unserem Engagement für Klimagerechtigkeit sind wir immer wieder in der Fremde, doch suchen wir Gemeinschaft, suchen wir Mitstreiter für unser Ziel. Mit hunderten ehrenamtlichen Helfern und Unterstützerinnen wurde der Ökumenische Pilgerweg zu einem Projekt mit „Schneeballeffekt“.
Auch oder gerade nach der UN-Klimakonferenz in Paris sind alle Klimaengagierten und Pilgerbegeisterten in ihrem Engagement für die Bewahrung der Schöpfung weiterhin gefragt. Wir sind Pilger auf dem Weg durch unsere Zeit. Uns schmerzt die Ungerechtigkeit; der Klimawandel macht uns Sorgen. Und so bleibt unsere Hoffnung auf eine gerechte Welt in unserem Gepäck, wenn wir weiterpilgern in unsere Zukunft.
Von Martina Köß,
Referentin im Generalsekretariat des ZdK und Mitglied im Trägerkreis der Aktion „Geht doch! Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit“
Aus: Salzkörner 21. Jg. Nr. 6. Mit freundlichem Dank für die Genehmigung.
© Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)