Weltbürger gefragt
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Weltbürger gefragt

Entwicklungspolitik ‐ Weltbürger gefragt - unter diesem Motto ruft die Landesregierung Baden-Württembergs zur Diskussion über die Entwicklungspolitik des Landes auf. Auch in diesem Jahr fand der Bürgerdialog am Rande der „Fair Handeln“-Messe in Stuttgart statt. Der Theologe Willi Knecht hat für die Diözese Rottenburg-Stuttgart mitdiskutiert. Ein Erfahrungsbericht.

Erstellt: 07.04.2016
Aktualisiert: 07.04.2016
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Weltbürger gefragt - unter diesem Motto ruft die Landesregierung Baden-Württembergs zur Diskussion über die Entwicklungspolitik des Landes auf. Auch in diesem Jahr fand der Bürgerdialog am Rande der „Fair Handeln“-Messe in Stuttgart statt. Der Theologe Willi Knecht hat für die Diözese Rottenburg-Stuttgart mitdiskutiert. Ein Erfahrungsbericht.

Im Rahmen der Messe „Fair Handeln“ fand in Stuttgart am 2. April die 5. Entwicklungspolitische Landeskonferenz Baden-Württembergs statt. Die Schwerpunkte der Veranstaltung seit 2012 sind der Dialog mit den Bürgern sowie die Zusammenarbeit und Koordination mit  entwicklungspolitischen Gruppen und Organisationen im Bundesland.

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In Verbände- und Bürgerkonferenzen von Mannheim bis Ulm wurden seit 2012 die entwicklungspolitischen Akteure der jeweiligen Region eingeladen und befragt. Themen waren dabei u. a.: nachhaltige Wirtschaft, faire Beschaffung, Fluchtursachen,  globales Lernen etc. Dabei stand stets folgende Frage im Fokus: Wie können Eine-Welt-Themen in der Zivilgesellschaft besser verankert werden? Dies führte zu einem neuen Politikansatz: Statt eigener Projekte unterstützt das Land nun vorrangig bereits vorhandene und bewährte Entwicklungsprojekte im globalen Süden. Denn in den engagierten Eine-Welt-Gruppen, besonders auch der Kirchen, gibt es viel Know-how, das nun besser „abgeschöpft“ werden kann.

Im Mittelpunkt der Landeskonferenz 2016 standen die globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Und konkret die Frage: Wie können diese Ziele in Baden-Württemberg in Zusammenarbeit von Landesregierung, Zivilgesellschaft und Kirchen umgesetzt werden?

Welche Schritte Baden-Württemberg auf dem Weg zu den Nachhaltigkeitszielen bereits gegangen ist, fasste Landesminister Peter Friedrich auf der Konferenz zusammen:

  • Es wurde der Rat für Entwicklungszusammenarbeit (REZ) etabliert. Hierbei handelt es sich um ein unabhängiges Expertengremium, das die Landesregierung in entwicklungspolitischen Fragen berät. In dem Rat ist auch die Diözese Rottenburg-Stuttgart vertreten.
  • Ein Promotorenprogramm wurde ins Leben gerufen: acht Regional- und 12 Fachpromotoren dienen landesweit als Anlaufstelle für entwicklungspolitisch engagierte Gruppen.
  • Die Themen Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit konnten in die Bildungspläne des Landes integriert werden.
  • Eine neue Beschaffungsverordnung des Landes schreibt vor, dass bei der Vergabe von Aufträgen soziale und ökologische Kriterien mit berücksichtigt werden müssen.

Insgesamt zog Friedrich die Bilanz: Die Entwicklungszusammenarbeit wurde aus der „Mauerblümchen-Ecke“ herausgeholt und als Querschnittsaufgabe über alle Bereiche hinweg erkannt. Wesentlich zu diesem Erfolg beigetragen haben dabei die evangelische und katholische Kirche im Land und deren neue verstärkte Zusammenarbeit mit Blick auf die Entwicklungspolitik in Baden-Württemberg.

Wie bewerten die Kirchen den Bürgerdialog?

Kirchlicherseits konnten wir feststellen, dass diese Zusammenarbeit – bundesweit die erste dieser Art – den Kirchen (die Diözesen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart sowie die evangelischen Landeskirchen Baden und Württemberg) viele neue Möglichkeiten eröffnet hat. Beispielsweise wurde die Bildung eines Rates der Kirchen angestoßen. Delegierte der beiden evangelischen Landeskirchen und der zwei katholischen Diözesen treffen sich regelmäßig, um gemeinsame Aktionen in Bezug auf die wesentlichen Zukunfts- und Überlebensfragen der Menschheit besser zu koordinieren und anzustoßen. So fuhr z. B. eine Delegation der vier Kirchen im November zur Weltklimakonferenz nach Paris. Durch die enge Zusammenarbeit der Kirchen ist es möglich, explizit kirchliche Standpunkte und Haltungen gegenüber der Politik stärker einzubringen, so z. B. die Option für die Armen.

Auch das Konkurrenzdenken sowohl der Kirchen untereinander als auch zwischen Kirchen, Politik und zivilgesellschaftlichem Engagement konnte auf der entwicklungspolitischen Landeskonferenz zumindest kritisch hinterfragt und als Hindernis auf dem Weg zu den gemeinsamen Aufgaben, wie z. B. der Agenda 2030, erkannt werden. In gleicher Weise gilt es, das bisherige „Säulendenken“ zu überwinden. Das bedeutet zu erkennen, dass die Bereiche Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung aufs Engste miteinander verknüpft sind. Hunger, Vertreibung, Gewalt, Zerstörung der Lebensgrundlagen – alles hängt zusammen und geschieht – so die christliche Deutung – wenn der Mensch sich und seine Bedürfnisse zum absoluten Maßstab macht.

Workshops und Mitgestaltung

In sechs Workshops mit verschiedenen Schwerpunkten konnten die genannten Themen diskutiert und vertieft werden. Eine Auswertung steht noch bevor. Folgende Fragen standen dabei im Mittelpunkt:

  • Ein gutes Leben für alle innerhalb der planetarischen Grenzen? Unsere Lebensweise sprengt alle Ressourcen.
  • Anders wirtschaften und Postwachstumspolitik? Wir brauchen nicht nur eine Transformation der Wirtschaft, sondern auch von Einstellungen und Haltungen.
  • Ist Politik und Demokratie überhaupt (noch) möglich, wenn die Rahmenbedingungen als unveränderbar verkündet oder auch nur als solche hingenommen werden? Betreiben wir bei allem guten Willen letztlich nur Kosmetik oder kleine Reparaturen?

Gerade an diesen Fragen zeigt sich, dass das Evangelium nicht nur aktueller ist als je zuvor, sondern dass es ohne neue Einstellungen und Haltungen, wie das Evangelium sie verkündet, keine „neue Erde und neuen Himmel“ geben wird.

Von Willi Knecht

© weltkirche.katholisch.de

Zur Person

Dr. Willi Knecht studierte Pädagogik und Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M. Von 1976-80 war er als Pastoralreferent in Peru und danach als Religionslehrer und in der Erwachsenenbildung der Diözese Rottenburg-Stuttgart tätig. 2004 promovierte er an der Universität Würzburg über das Thema Kirche und Globalisierung. Seit 2010 in Pension, engagiert er sich verstärkt in diversen bundesweiten Initiativen, darunter die „Konziliare Versammlung“ 2012 und die Ökumenische Versammlung 2014.