
Frieden schaffen in unübersichtlichen Zeiten
Frieden ‐ Forscher sehen viele Gründe für die wachsenden Flüchtlingsströme. Dazu gehört auch das Versagen der Industrieländer. Zu diesem Schluss kommt das Friedensgutachten 2016, das deutsche Friedensinstitute am Dienstag vorgestellt haben. Sie mahnen: Die Früchte der Globalisierung seien „höchst ungleich verteilt“.
Aktualisiert: 07.06.2016
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Die Weltpolitik ist komplex geworden, auch für die Friedensforschung. Das spiegelt sich im diesjährigen Friedensgutachten von fünf deutschen Friedensinstituten wider. Bei der Betrachtung deutscher Außen- und Flüchtlingspolitik kommen sie nicht immer zu einer einheitlichen Bewertung. Ihr Plädoyer gilt vor allem einem umfassenden Ansatz beim Kampf gegen die Fluchtursachen.
Dazu zählt für sie das Welthandelssystem. Die ungerechte Verteilung der Güter zerstöre die Akzeptanz politischer Institutionen, ja sie unterminiere ganze Staaten. So führen die Friedensforscher den Bürgerkrieg in Syrien auch auf die internationale Öffnung der Wirtschaft des Landes zurück, die bei einer Elite zu Millionengewinnen führte, während die Landbevölkerung verarmte. Und sie prangern „die Kumpanei der Industrieländer mit den raffgierigen Eliten autokratischer Länder“ an.
Konflikte infolge von Staatsversagen gelten als wesentliche Ursache für Flüchtlingskrisen. Die Friedensforscher verweisen darauf, dass militärische Interventionen diese zusätzlich verschärfen können. „Die Regimewechselkriege in Afghanistan, Irak und Libyen und verfehlte Befriedungsstrategien sollten eine Lehre sein“, mahnt das Gutachten. Corinna Hauswedell von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft vermisst vor allem eine „systematische Evaluierung der Einsätze“, um besser zu verstehen, welche Mittel bei welcher Krise anzuwenden sind.
Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung sieht vor allem eine Notwendigkeit: Vor dem Eingreifen muss eine langfristige politische Lösung in Sicht sein. „Intervention ohne Plan danach führt ins Desaster“, so Schoch. Dem Sturz der Potentaten folgte gesellschaftliche Fragmentierung und der Zusammenbruch staatlicher Strukturen, stellt das Gutachten nüchtern fest.
Friedensforscher prangern Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien an
Hart ins Gericht gehen die Friedensforscher auch mit der deutschen Rüstungsexportpolitik besonders nach Saudi-Arabien. Das Land sei eben kein Stabilitätsanker, sondern es „interveniert im eigenen Machtinteresse in die Bürgerkriege in Syrien und im Jemen und erschwert damit politische Lösungen“. Und von den reaktionären Autokratien Saudi-Arabien und Katar beziehe der Islamische Staat „fundamentalistische Ideen, Geld und Kämpfer“, so Margret Johannsen vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. So unterstützen die Friedensforscher die Forderung des EU-Parlaments nach einem Waffenembargo gegen die Saudis. Kritisch sehen sie auch die Bewaffnung nicht-staatlicher Gruppen wie der kurdischen Peschmerga. Hier sei die Ausnahme zur Regel geworden und verschärfe Machtkämpfe im Irak.
Die Wissenschaftler setzen bei Interventionen vor allein auf ein „robustes Peacekeeping“ der Vereinten Nationen, um Massenverbrechen zu verhindern. Gerade Deutschland sollte dazu „finanziell, technologisch und personell einen bedeutend größeren Beitrag leisten“. Gleichzeitig müsse man die Reform der Vereinten Nationen vorantreiben, so Jochen Hippler vom Essener Institut für Entwicklung und Frieden.
Experten würdigen Friedensbemühungen in Syrien und der Ukraine
Bei der Außen- und Flüchtlingspolitik der Großen Koalition sehen die Wissenschaftler aber neben Schatten- auch Lichtseiten. Positiv würdigen sie etwa die Friedensbemühungen in Syrien und der Ukraine und sie ermutigen das Auswärtige Amt, den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ voranzutreiben. Auch die Flüchtlingspolitik Angela Merkels (CDU) findet im Grundsatz Unterstützung.
Beim „Deal“ mit der Türkei gehen die Meinungen aber auseinander. Die Mehrheit teilt die humanitären und rechtlichen Bedenken des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und sieht eine Verschiebung der Verantwortung als „Begünstigung eines staatlich organisierten Menschenhandels“. Die Minderheit bewertet ihn hingegen positiv. „Das Recht, Einwanderung zu steuern, gehört zum Kern demokratischer Selbstbestimmung. Es zu ignorieren, gefährdet die Demokratie und den europäischen Konsens.“
Damit reflektiert das 30. Friedensgutachten die Abwägungen zwischen den Idealen einer humanitären Friedenspolitik und den Zwängen einer ebenfalls dem Frieden verpflichteten Realpolitik in einer zunehmend komplexen Welt.
Von Christoph Scholz (KNA)
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