„Die Situation ist wirklich dramatisch“

„Die Situation ist wirklich dramatisch“

Südsudan ‐ Vor einer Woche musste Entwicklungshelfer Sebastian Kämpf den Südsudan verlassen. Zu unsicher schien die Lage für Ausländer in dem afrikanischen Land, das seit rund drei Jahren von immer neuen Kämpfen erschüttert wird. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage in dem krisengebeutelten Land und erklärt, warum er trotzdem zurück möchte.

Erstellt: 25.07.2016
Aktualisiert: 30.11.2022
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Sebastian Kämpf (44) arbeitet als Entwicklungsberater und Caritas-Koordinator in der Diözese Wau im Südsudan. Nach den wieder aufgeflammten Kämpfen in dem ostafrikanischen Land wurde er vor einer Woche aus Wau ausgeflogen und ist mittlerweile wohlbehalten in Deutschland angekommen. Der Projektpartner des Kindermissionswerks „Die Sternsinger“ und von Misereor berichtet im Interview über die aktuelle Lage im Südsudan. Und erklärt, warum er möglichst bald zurück in den Südsudan will.

Frage: Herr Kämpf, wie haben Sie die letzten Tage im Südsudan erlebt? Unter welchen Bedingungen leben die Menschen, die vor den Kämpfen fliehen mussten?

Kämpf: Die Situation ist sehr unübersichtlich, weil es an verschiedenen Stellen im Land Kämpfe gegeben hat, auch schwere Kämpfe. Keiner weiß genau, wie es weiter geht, es gibt immer noch sehr viel Gerangel sowohl auf Seiten der Regierung als auch auf Seiten der Opposition. Es gibt zum Beispiel Gerüchte, dass der Oppositionsführer abgelöst wird. Man kann also kaum vorhersagen, was in nächster Zeit passiert, und die Leute haben Angst, das spürt man. Die ziehen sich zum Teil in ihre Stammesgebiete zurück, um nicht Angriffen anderer Stämme ausgeliefert zu sein. Es gibt sehr viel Misstrauen, Hass und vor allem sehr große Probleme mit der Nahrungsmittelversorgung.

Bild: © Dietmann/Kindermissionswerk Die Sternsinger

Frage: Als Fachkraft der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) sind Sie schon seit sieben Jahren im Südsudan. Was sind die Gründe für die jüngsten Kämpfe in dem Land?

Kämpf: Die Ursachen liegen zum Teil in ethnischen Spannungen, die sich über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte aufgebaut haben. Im Südsudan gibt es mehr als 60 verschiedene Stämme. Und die haben unterschiedliche Lebensweisen. Es ist ein verbreitetes Problem in Afrika, aber auch in anderen Teilen der Welt, dass Viehhirten mit Farmern in Konflikt geraten, wenn diese sich in der Trockenzeit auf der Suche nach Futter für ihre Tiere auf Feldern niederlassen. Der andere Grund, warum es jetzt eskaliert, ist im individuellen Machtstreben einzelner Leute zu sehen, die bestimmte ethnische Gruppen anführen, und die rücksichtslos versuchen, ihre eigenen Ziele durchzusetzen.

Frage: Wie kann den Menschen im Südsudan jetzt am schnellsten geholfen werden? Wo wird die Hilfe am dringendsten benötigt?

Kämpf: Das Wichtigste im Moment ist einfach Essen oder zumindest bezahlbares Essen. Es wird im  Südsudan so gut wie nichts für den Markt produziert. Die meisten Nahrungsmittel müssen importiert werden. Die einheimische Währung hat in den vergangenen anderthalb Jahren ungefähr 90 Prozent ihres Wertes verloren und die Händler versuchen diesen Verlust weitestgehend auf den Marktpreis aufzuschlagen, so dass sie sich schadlos halten. Die meisten Leute verdienen aber keine harte ausländische Währung. Das alles hat katastrophale Auswirkungen für Leute, die sich ihr Essen auf dem Markt kaufen müssen. Darüber hinaus bringt der aktuelle Konflikt das Problem mit sich, dass viele Gegenden unsicher geworden sind und deswegen viele Leute nicht mehr auf die Felder gehen und selber Nahrungsmittel produzieren können. Das heißt: Sie sind mehr denn je auf den Markt mit seinen astronomischen Preisen angewiesen. Die Situation ist wirklich dramatisch.

Frage: Das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ und Misereor haben mit ersten Nothilfen in Höhe von jeweils 100.000 Euro Projektpartner in Wau und auch in Juba unterstützt. Wer koordiniert die Hilfsmaßnahmen in der Diözese Wau, jetzt wo Sie und andere Helfer das Land verlassen haben?

Kämpf: Ich bin froh, dass wir einen sehr guten Nothilfekoordinator haben, Father Moses Peter in der Diözese Wau. Der wächst im Moment über sich hinaus. In den Tagen, nachdem es bei uns in Wau zu Kämpfen gekommen war, haben wir überwiegend Hilfe von kirchlichen Einrichtungen bekommen, darunter auch vom Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ und von Misereor. Wir konnten deswegen sehr schnell auf die Notlage der Leute reagieren. Aber man muss auch über den Tag hinaus denken, und da sehe ich große Probleme für die nächsten Monate, wahrscheinlich sogar bis Mitte nächsten Jahres. Weil dann erst wieder geerntet werden kann, wenn der Frieden eintritt und wenn die Leute wieder auf die Felder gehen können, ohne ihr Leben zu riskieren.

Frage: Wie könnte eine Lösung des blutigen Konflikts im Südsudan aussehen? Was kann die internationale Gemeinschaft zur Herstellung eines dauerhaften Friedens beitragen?

Bild: © Kaempf/Kindermissionswerk Die Sternsinger

Kämpf: Es war ja längst ein Friedensprozess in Gang gekommen, der jedoch durch die Kämpfe in Juba unterbrochen wurde. Es wäre wichtig, dass die internationale Gemeinschaft den Druck auf die Konfliktparteien, sich ernsthaft um Frieden zu bemühen, aufrechterhält. Diesen Druck kann man vor allem in finanzieller Hinsicht ausüben. Der Südsudan hängt wirtschaftlich stark von Ölverkäufen ab. Weil der Preis hierfür im Keller ist, fehlen dem Land und der Regierung hohe Einnahmen. Das heißt: Die Regierung in Juba hängt sehr stark davon ab, was das Ausland zu geben bereit ist. Die internationale Gemeinschaft hat sich in den letzten Monaten relativ konsequent verhalten. Das Ausland hat dem Südsudan neue Kredite verwehrt, verknüpft mit der Ankündigung, dass es erst wieder Geld geben wird, wenn Fortschritte im Friedensprozess sichtbar und spürbar sind. Ich denke, dass das der einzige erfolgversprechende Weg ist, inklusive der Hilfslieferungen an verlässliche lokale Partner, wie zum Beispiel die Kirchen oder kirchliche Hilfswerke.

Frage: Wie sehen Ihre näheren Zukunftspläne aus? Gehen Sie zurück in den Südsudan?

Kämpf: Ja, ich möchte am liebsten so schnell wie möglich zurück. Ich bin auf der einen Seite der AGEH als meiner Entsendeorganisation dankbar, dass sie so fürsorglich ist und einige Kollegen und mich selber evakuiert hat. Das war gerechtfertigt, weil die Situation im Moment wirklich nicht vorhersehbar ist. Ich hoffe, dass sich die Lage wieder etwas stabilisiert, so dass ich möglichst schnell wieder zurückgehen kann. Man fühlt sich den Leuten dort vor Ort verbunden nach so langer Zeit.

Frage: Haben Sie keine Angst um ihr eigenes Leben?

Kämpf:  Bisher war es immer noch so, das uns unsere weiße Hautfarbe schützt und die Tatsache, dass man Kirchenmitarbeiter ist, denn in unserer Region sind 80 bis 85 Prozent der Menschen Katholiken. Das heißt, alle Konfliktparteien haben die Neutralität der Kirche anerkannt und respektiert. Ich hoffe, dass das so bleibt. Von daher bin ich in einer privilegierten Situation und freue mich, wenn ich hoffentlich bald wieder zurückreisen kann.

„Es gibt kein Volk auf der Welt, das mehr Leid erlebt hat als die Südsudanesen.“

—  Zitat: Sebastian Kämpf

Frage: Was ist Ihnen noch besonders wichtig?

Kämpf: Ich bin ja schon länger in der Entwicklungszusammenarbeit tätig und weiß, dass Menschen die Neigung haben, eher für Opfer von Naturkatastrophen zu spenden als für Opfer von Bürgerkriegen oder bewaffneten innerstaatlichen Konflikten. Und ich möchte ganz klar herausstellen, dass 99 Prozent der Südsudanesen Frieden wollen. Sie wollen nicht diese Kämpfe, sie wollen eine Chance haben, sich zu entwickeln. Sie erwarten auch nicht viel vom Staat oder von der Kirche, aber sie möchten einfach in Frieden und Stabilität leben und die Chance haben, genug zu essen für sich und ihre Familien anzubauen. Sie sind jetzt Opfer geworden, zum wiederholten Male, ich glaube, es gibt kein Volk auf der Welt, das mehr Leid erlebt hat als die Südsudanesen, wo es Kriege seit 1955 gibt. Ich finde, diese Menschen haben es wirklich verdient, dass man ihnen hilft und dass man ihnen eine Chance gibt, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen.

© Kindermissionswerk „Die Sternsinger“