
Menschenrechtsverletzungen in Kolumbiens Bergbausektor
Menschenrechte ‐ Im Nordosten Kolumbiens befindet sich der größte Steinkohletagebau Lateinamerikas. Für den Staat ist Cerrejón ein Wirtschaftsmotor; für die Menschen in der Region ist der expansive Kohlebergbau eine Katastrophe, wie der Fall des kleinen Jungen Moises zeigt.
Aktualisiert: 03.11.2016
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Im Nordosten Kolumbiens befindet sich der größte Steinkohletagebau Lateinamerikas. Für den Staat ist Cerrejón ein Wirtschaftsmotor; für die Menschen in der Region ist der expansive Kohlebergbau eine Katastrophe. Immer wieder kommt es zu schweren Menschenrechtsverletzungen. In dem kolumbianischen Anwaltskollektiv Jose Alevar Restrepo (CCAJAR) setzt sich Annelen Micus für die Opfer von Konflikten im Bergbausektor ein. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche mahnt die Juristin, die im Programm Ziviler Friedensdienst der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) arbeitet: Auch deutsche Unternehmen tragen eine Verantwortung.
Frage: Frau Micus, seit dem Jahr 2000 setzt die kolumbianische Regierung verstärkt auf den Bergbau als Wirtschaftsmotor. Welche Folgen hat das für die Menschen in den Abbauregionen?
Micus: Unser Anwaltskollektiv vertritt verschiedene Gemeinden in der Region La Guajira, im Nordosten Kolumbiens. Dort befindet sich die größte offene Tagebaumine ganz Lateinamerikas, Cerrejón. Der Kohleabbau in der Region führt zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Viele der indigenen und afroamerikanischen Gemeinden wurden von ihren Ländereien vertrieben. Außerdem beobachten wir schwerwiegende Umwelt- und Gesundheitsschäden. Aufgrund des Feinstaubs, der beim Steinkohleabbau freigesetzt wird, leiden vor allem Kinder und ältere Menschen an Atemwegsbeschwerden, Hautausschlägen und anderen Krankheiten.
Frage: Hilfswerke wie Misereor beklagen, dass sich Hunger und Wasserknappheit durch den Tagebau in La Guajira verschärfen …
Micus: Das ist richtig. Beim Kohleabbau wird sehr viel Wasser verbraucht, gleichzeitig sinkt der Grundwasserspiegel – und das in einer Region, die ohnehin schon sehr trocken ist. Die Folgen des Klimawandels haben den Wassermangel in den letzten Jahren zusätzlich verschärft. Die indigenen Gemeinden betreiben traditionell Landwirtschaft, um sich und ihre Familien zu ernähren. Dafür fehlt nun das Wasser. Die Situation hat sich zu einer humanitären Krise entwickelt. Erhebungen in den indigenen Gemeinden zeigen, dass im letzten Jahrzehnt rund 5.000 Kinder verhungert sind. Die Lage ist dramatisch.
Frage: Ihr Anwaltskollektiv hat kürzlich den Fall eines Jungen vertreten, der aufgrund des Steinkohleabbaus an chronischen Atemwegserkrankungen leidet. Die Verfassungsklage hatte vor den Gerichten Erfolg. Ein Meilenstein im Kampf für die Opfer von Konflikten im Bergbausektor?

Micus: Sie sprechen den Fall von Moisés an, einem dreijährigen Junge vom Volk der Wayuu, der größten indigenen Gruppe Kolumbiens. Seine Mutter, Luz Ángela Uriana, hat mit unserer Unterstützung eine Verfassungsklage eingereicht. Die Richter haben in zwei Instanzen festgestellt, dass die Grund- und Menschenrechte von Moisés in Gefahr sind, und einen Aktionsplan angeordnet, der die Emissionen des Kohlebergbaus reduzieren soll. Das war auch eine unserer Forderungen. Darüber hinaus halten wir es für notwendig, dass unabhängige Studien über die Auswirkungen des Tagesbaus auf die Gemeinden in La Guajira durchgeführt werden. Zudem haben wir uns vor Gericht dafür eingesetzt, dass ein Abbaugebiet von Cerrejón, das nur zwei Kilometer von Luz Ángela Urianas Haus entfernt liegt, geschlossen wird. Diesen Wünschen sind die Richter leider nicht nachgekommen.
Frage: Fühlen Sie sich hier als Anwaltskollektiv von den Gerichten im Stich gelassen? Sie sind schließlich dafür da, die Rechte der eigenen Bevölkerung zu verteidigen und zu schützen.
Micus: Die beiden Urteile zugunsten von Moisés haben uns sehr positiv überrascht – auch wenn uns die Konsequenzen daraus nicht weit genug gingen. Das große Problem in Kolumbien sind nicht die Gerichte, sondern die nachlässige Umsetzung der Urteile. Das ist auch unsere große Sorge im Fall „Moisés“. Wir werden ganz genau verfolgen, ob der Aktionsplan zur Reduzierung der Emissionen auch durchgeführt wird.
Ein großes Problem dabei ist die Vormachtstellung des Bergbauunternehmens Cerrejón in La Guajira. Es ist der einzige große Arbeitgeber in der Region. Darum trauen sich viele Leute nicht, die Wahrheit auszusprechen – entweder aus Angst, ihren Job zu verlieren, oder weil sie immer noch die Hoffnung haben, einen Arbeitsplatz bei Cerrejón zu bekommen. Aus den indigenen und afroamerikanischen Gemeinden arbeiten leider nur sehr wenig Menschen für den Bergbau-Riesen. Obwohl das Unternehmen seit 30 Jahren in La Guajira große Gewinne einfährt, zählt die Region immer noch zu den ärmsten Kolumbiens.
Frage: Deutschland ist neben Großbritannien der wichtigste Importeur kolumbianischer Kohle. Inwiefern stehen deutsche Unternehmen in der Pflicht, dass beim Kohleabbau in Kolumbien Menschenrechts-Standards eingehalten werden?

Micus: Die Energieversorger in Deutschland und Europa müssen Druck auf Cerrejón ausüben, dass es nicht mehr zu Zwangsvertreibungen von Gemeinden kommt und dass Umweltstandards eingehalten werden. Außerdem sollten sie dafür Sorge tragen, dass richterliche Urteile wie diejenigen im Fall „Moisés“ auch umgesetzt werden. Aber nicht nur die Unternehmen stehen in der Pflicht, sondern auch die europäischen Regierungen. Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, den die Bundesregierung derzeit aushandelt, bietet eine Chance, dass endlich verbindliche Regeln für deutsche Firmen und ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht im Ausland festgeschrieben werden.
Frage: Bisher können sich die Unternehmen in Deutschland freiwillig dazu verpflichten, in ihren Lieferketten auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten. Verstöße werden allerdings nicht sanktioniert.
Micus: Die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Unternehmen haben leider nicht zu grundlegenden Änderungen geführt. Dafür muss man sich nur die Situation in Kolumbien anschauen. Wir brauchen nun unbedingt klare Regelungen, die Unternehmen gesetzlich dazu verpflichten, die Menschenrechte im Ausland zu achten. Leider gehen die Verhandlungen zum Nationalen Aktionsplan derzeit eher in die andere Richtung. Der Plan droht zu verwässern. Das beobachten wir in Kolumbien mit großer Sorge. Dabei wäre ein starkes Statement von Deutschland als Wirtschaftsmacht und großer Kohleimporteur sehr wichtig.
Frage: Welche Verantwortung tragen die Konsumenten? Wie kann jeder Einzelne sichergehen, dass sein Strom aus „ethisch sauberen“ Energiequellen kommt?
Micus: Der einzelne Konsument kann bei den Energieerzeugern in Deutschland nachfragen, wo ihre Kohle herkommt und was sie dafür tun, dass die Menschenrechte in den Herkunftsländern eingehalten werden. Auf diese Weise kann die Zivilgesellschaft Druck ausüben. Das tun wir auch in Großbritannien. Die drei Mutterkonzerne von Cerrejón – Anglo American, BHP Billiton und Glencore – sind an der Londoner Börse registriert. Wir waren vor kurzem bei der Aktionärsversammlung von BHP Biliton in London mit dabei. Luz Ángela Uriana berichtete den Aktionären von ihrem erkrankten Sohn, um sie auf die Menschenrechtsverletzungen in La Guajira aufmerksam zu machen. Auch die Aktionäre müssen dafür Sorge tragen, dass die Tochterkonzerne ihres Unternehmens die Menschenrechte einhalten.
Das Interview führte Lena Kretschmann.
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