Misereor zu Missbrauch bei Oxfam
Hilfsorganisationen ‐ Der Schock über die Missbrauchsfälle bei Mitarbeitern von Hilfsorganisationen wie Oxfam oder Ärzte ohne Grenzen war auch bei den kirchlichen Hilfswerken groß. Wir haben Misereor um eine Einordnung gebeten.
Aktualisiert: 06.03.2018
Lesedauer:
Der Schock über die Missbrauchsfälle bei Mitarbeitern von Hilfsorganisationen wie Oxfam oder Ärzte ohne Grenzen war auch bei den kirchlichen Hilfswerken groß. „Als das bekannt geworden ist, haben viele Mitarbeiter betroffen reagiert und wir haben natürlich darüber diskutiert“, sagt Barbara Wiegard, Pressesprecherin von Misereor. „Missbrauch gegenüber Schutzbefohlenen ist besonders schlimm, weil es den Betroffenen unermessliches Leid zufügt und das Vertrauensverhältnis zerstört.“
Oxfam-Mitarbeiter sollen Frauen in Hilfseinsätzen zu sexuellen Handlungen als Gegenleistung für Hilfe gezwungen haben. Es gab Berichte über Sexpartys von Mitarbeitern der Organisation mit Prostituierten in Haiti und im Tschad. Auch andere Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen gerieten in den Fokus: Im Jahr 2017 habe es 146 Hinweise auf mögliches Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter gegeben. 21 Vorfälle davon wurden als sexuelle Belästigung und drei Fälle als sexueller Missbrauch eingestuft.
Oxfam-Mitarbeiter sollen Frauen in Hilfseinsätzen zu sexuellen Handlungen als Gegenleistung für Hilfe gezwungen haben. Es gab Berichte über Sexpartys von Mitarbeitern der Organisation mit Prostituierten in Haiti und im Tschad. Auch andere Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen gerieten in den Fokus: Im Jahr 2017 habe es 146 Hinweise auf mögliches Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter gegeben. 21 Vorfälle davon wurden als sexuelle Belästigung und drei Fälle als sexueller Missbrauch eingestuft.
„Gerade, weil wir als Werke der Entwicklungszusammenarbeit hohe ethische und moralische Ansprüche haben, sind solche Fälle besonders verwerflich,“ so Barbara Wiegard. Auch die kirchlichen Hilfsorganisationen befassen sich bereits seit einigen Jahren mit dem Thema Missbrauch. „Wir machen uns schon lange darüber Gedanken, weil wir viele Projekte unterstützen, wo Kinder und Jugendliche Zielgruppen der Projektarbeit sind. Wir müssen darauf achten, dass sie besonders geschützt werden. Deswegen ist es immer ein Thema, wie wir diesen Schutz gewährleisten und verbessern können.“
Maßnahmen gegen Missbrauch auch bei den katholischen Hilfswerken
Auch die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, die 2010 breit publik wurden, hätten zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema geführt, erklärt Wiegard. Gemeinsam mit den anderen katholischen Hilfswerken in Deutschland hat Misereor ein Positionspapier verfasst, das Verhaltensweisen in Missbrauchsfällen festlegt. Ferner gibt es bei Misereor eine Ombudsstelle, wo Verdachtsfälle anonymisiert gemeldet werden können. Auch den Verhaltenskodizes des Verbands Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe (Venro), in dem Misereor Mitglied ist, hat sich die Organisation angeschlossen.
In Anbetracht der Vorwürfe gegen Organisationen wie Oxfam, Save the Children, Ärzte ohne Grenzen und weiteren hofft Misereor aber, dass es nicht zu einem kompletten Vertrauensverlust in Hilfsorganisationen kommt: „Ich hoffe, dass unsere Unterstützer unterscheiden können zwischen Einzelfällen, die jetzt bekannt werden und der guten und wichtigen Arbeit der Organisationen, die vielen Menschen auch hilft, eben nicht Opfer von sexueller Gewalt zu werden“, sagt Barbara Wiegard. Die Fälle dürften nicht dazu führen, dass gerade die Ärmsten und Hilfsbedürftigen, denen die Arbeit der Hilfsorganisationen zugutekommt, den Preis für das Fehlverhalten Einzelner bezahlten.
„Wir sind nach wie vor überzeugt, dass Oxfam gute Arbeit leistet, aber Mechanismen schaffen muss, dass solche Fälle nicht wieder vorkommen.“
Die Missbrauchsfälle in Haiti wurden bereits 2011 nach dem verheerenden Erdbeben 2010 registriert. Auch einzelne Mitarbeiter von Misereor waren damals vor Ort, um den Hilfsbedarf zu ermitteln und die Partner zu beraten – allerdings nur partiell und zeitlich begrenzt. „Unsere Mitarbeiter hatten damals keinen Kontakt zu oder eine Zusammenarbeit mit Oxfam“, so die Misereor-Sprecherin. „Mit Oxfam arbeiten wir aber in Deutschland auf politischer Ebene in Netzwerken zusammen, veröffentlichen etwa gemeinsam Studien. Wir sind nach wie vor überzeugt, dass Oxfam gute Arbeit leistet, aber Mechanismen schaffen muss, dass solche Fälle nicht wieder vorkommen“. Im Zuge des Skandals hat Oxfam denn auch einen Aktionsplan gegen Missbrauch erstellt und eine Untersuchungskommission berufen, die Fehlverhalten in der Organisation aufdecken soll.
Misereor entsendet in der Regel keine Mitarbeiter ins Ausland
Dass es in Haiti zu keiner Zusammenarbeit mit Oxfam kam, liegt auch an den Strukturen von Misereor. Das Hilfswerk entsendet in der Regel keine Mitarbeiter ins Ausland, sondern fördert Projekte, auch in Katastrophensituationen, ausschließlich über örtliche Partnerorganisationen. „Wir erachten es für wichtig, dass Misereor weltweit nur einheimische Organisationen unterstützt, die die Lage vor Ort am besten kennen und durch ihre fortwährende Präsenz wissen, welche Unterstützung am nötigsten ist“, so Wiegard.
Misereor legt nach eigener Aussage wie die anderen kirchlichen Hilfswerke Wert auf eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. „Uns geht es um eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, und nicht um kurzfristige Hilfe von außen“, betont Barbara Wiegard. Gleichzeitig gibt sie zu bedenken: „Doch wenn Katastrophen geschehen, wird es immer wieder Länder geben, die Hilfe von außen benötigen und wo diese Hilfe dann Leben rettet.“
Sexueller Missbrauch bei Partnern
Doch das Problem der sexuellen Ausbeutung in Krisenregionen lässt sich nicht allein auf die Entsendung von Helfern aus dem Westen reduzieren, auch Partner vor Ort können Fehlverhalten aufzeigen, wie jüngste Meldungen aus Syrien zeigen. Nach einem Bericht des United Nations Populations Fund (UNDP) sollen Helfer aus der Region, die zur Unterstützung der Vereinten Nationen und anderer karitativer Organisationen in den gefährlichen Gebieten eingesetzt wurden, sexuelle Dienste von Frauen als Gegenleistung für Hilfsgüter verlangt haben. Der UNDP hatte geschlechtsspezifische Gewalt durch Hilfspersonal in mehreren syrischen Regionen dokumentiert.
Die Mitarbeiter sollen mit hilfsbedürftigen Frauen Kurzehen eingegangen sein, um „sexuelle Dienste“ als Gegenleistung für Mahlzeiten in Anspruch zu nehmen. Besonders betroffen von der sexuellen Belästigung und Ausbeutung seien junge und alleinstehende sowie verwitwete Frauen, so der Bericht. Die Belästigungen an den Verteilstationen seien so stark, dass manche Frauen diese nicht mehr ohne männliche Begleitung aufsuchten. Andere trauten sich gar nicht mehr dorthin, weil sie Angst hätten, in Verruf zu geraten, da mittlerweile in der Bevölkerung bekannt sei, dass sexuelle Handlungen als Gegenleistung für Hilfe von Frauen verlangt würden.
„Das ist unser Finanzkrise-Moment wie 2008.“
„Wenn wir jetzt so tun, als hätten wir keine Krise in unserem Sektor, dann machen wir uns etwas vor“, sagte vor wenigen Tagen der Chef von Safe the Children im Vereinigten Königreich, Kevin Watkins. „Das ist unser Finanzkrise-Moment wie 2008. Die Finanzkrise ist ausgebrochen, weil Institutionen zu groß, zu selbstsicher, zu überschwänglich wurden und zu stark an ihre eigene Macht glaubten und nicht willens waren, ihre eigene Organisationskultur zu hinterfragen.“
Sexueller Missbrauch zeigt strukturelle Probleme an
Genau diese Kultur hinterfragt die niederländische Journalistin Linda Polman seit vielen Jahren. Sie hat jahrzehntelang aus Krisengebieten berichtet und kritisiert die Arbeit der Hilfsorganisationen in ihren Büchern teils scharf. Für sie steht der aktuelle Missbrauchsskandal symptomatisch für ein strukturelles Problem bei den Hilfsorganisationen: Es gibt in ihren Augen ein zu hohes Machtgefälle zwischen Hilfsorganisationen und den Hilfsbedürftigen – und zwar in erster Linie durch das Geld. Besonders größeren Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam, die jährlich mehrere Millionen Euro von ihren Geberländern erhalten, spricht sie einen zu großen Machtspielraum zu: „Die NGOs und ihre Geberländer entscheiden, wo und wie sie ihr Geld ausgeben und damit auch über die Zukunft armer Länder. Das gibt den NGOs eine riesige Macht. Eine Konsequenz dieser Macht ist auch der sexuelle Missbrauch. Dahinter steckt eine Arroganz, ein Machtmissbrauch, eine Missachtung der Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung,“ so Polman.
In den Reihen der Helfer tauche eben immer wieder auch jene Sorte Mitarbeiter auf, die für diesen Machtmissbrauch besonders anfällig sei. Dieser geschieht nicht zuletzt auch in den eigenen Reihen der Organisationen, wie zuletzt Berichte über sexuelle Belästigung unter Mitarbeitern bei Safe the Children oder während des UN-Klimagipfels in Bonn zeigten.
Linda Polman kritisiert, dass sich große Hilfsorganisationen wie die der Vereinten Nationen in Einsatzländern oft in einer Art Blase bewegten, ohne ausreichend mit staatlichen und lokalen Organisationen zu kommunizieren. Es dürfe nicht zu einer Kultur der Straflosigkeit kommen, in der sich Mitarbeiter über das Gesetz des Einsatzlandes hinwegsetzen. Sie fordert, dass die Geberländer und Mitgliedstaaten, also die einzelnen Regierungen, mehr in die Pflicht genommen werden. Problematisch sei auch eine oft hohe Dichte an Hilfsorganisationen wie in Haiti, wo man mittlerweile von einer „NGO-Republik“ spricht. Das habe auch zur Konsequenz, dass lokale Institutionen untergraben würden: „Die großen Hilfsorganisationen locken die Professoren aus den Universitäten, Lehrer aus Schulen, Ärzte aus Krankenhäusern. Einfach, weil sie das bessere Gehalt zahlen,“ so Polman.
Hilfe muss gemeinsam mit den Menschen vor Ort geschehen
Deshalb ist es nach Barbara Wiegard für Misereor so wichtig, lokalen Organisationen durch finanzielle Unterstützung die Möglichkeit zu geben, Projektarbeit eigenständig mit lokalen Kräften zu leisten. „Kein ausländischer Experte kennt die Situation so gut wie die Menschen vor Ort.“ Trotzdem wird es immer Situationen geben, wo ausländische Fachexpertise benötigt wird. Vor jenen, die im Ausland helfen, und dies oftmals trotz Gefahr für das eigene Leben, habe sie großen Respekt: „Die Hilfe für die Mitmenschen steht für diese Menschen im Vordergrund, sie führen ein Leben, zu dem so mancher hier in Deutschland sicher nicht bereit wäre.“
Von Claudia Zeisel
© weltkirche.katholisch.de