„Das waren für mich fast Heilige der heutigen Tage“

„Das waren für mich fast Heilige der heutigen Tage“

Kenia ‐ Er lenkte über Jahrzehnte die Geschicke der größten deutschen Unternehmen: ein Gespräch mit dem Volkswirt Dr. Gerhard Cromme über harte Entscheidungen, Entwicklung in Afrika und die Eindrücke seiner jüngsten Reise mit Missio in ein kenianisches Flüchtlingslager.

Erstellt: 12.04.2018
Aktualisiert: 13.04.2018
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Er lenkte über Jahrzehnte die Geschicke der größten deutschen Unternehmen: ein Gespräch mit dem Volkswirt Dr. Gerhard Cromme über harte Entscheidungen, Entwicklung in Afrika und die Eindrücke seiner jüngsten Reise mit Missio in ein kenianisches Flüchtlingslager.

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Frage: Herr Dr. Cromme, Sie sind im Februar mit Missio München nach Kenia gereist. Dort haben Sie Flüchtlinge in der Hauptstadt Nairobi und das Flüchtlingslager Kakuma im Norden des Landes besucht. Mit welchen Eindrücken sind Sie nach Hause gekommen?

Cromme: Während der ganzen Reise gab es zwei Eindrücke, die immer wieder kamen: das persönliche Leid der Flüchtlinge, das ja nur teilweise darin bestand, dass sie die Heimat verloren hatten. In vielen Fällen hatten diese Menschen Familienmitglieder auf der Flucht verloren. Frauen berichteten von Vergewaltigungen und anderen schrecklichen Dingen. Auf der anderen Seite haben wir eine überragende Hilfsbereitschaft erlebt. Dabei sind uns herausragende Persönlichkeiten begegnet, die ihr eigenes Interesse völlig hintan gestellt haben, um anderen zu helfen. Für mich waren das fast Heilige der heutigen Tage, die unter Verzicht auf alles, was einem normalerweise für das persönliche Leben wichtig ist, sich von morgens bis abends einsetzen, um hier den Ärmsten der Armen zu helfen. Dieser rote Faden zog sich sowohl durch unseren Besuch im Flüchtlingslager Kakuma als auch durch die Begegnungen in Nairobi.

Frage: Der Name Kakuma ist das Suaheli-Wort für „nirgendwo“. Wie haben Sie diesen Ort erlebt?

Cromme: Das ist ein Eindruck, der nachwirkt: das ausgedehnte Flüchtlingslager mit seinen 220.000 Bewohnern, der Staub und der Dreck. Auf der anderen Seite aber auch der Versuch der Leute, aus Nichts etwas zu machen und den Kopf über Wasser zu halten – ob das die kleinen Geschäfte waren oder der Wille der Eltern, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Das ist dieser Lebenswille und diese Energie, sich aus den schwierigsten Lagen herauszuarbeiten.

„Ich habe Menschen getroffen, die fünf- oder sechsmal ihre Heimat verlassen mussten.“

—  Zitat: Dr. Gerhard Cromme, Jurist und Volkswirt .

Frage: Sie unterstützen die Arbeit von Missio München. Warum haben Sie sich für ein kirchliches Hilfswerk entschieden?

Cromme: Zunächst einmal: Ich bin Katholik und insofern kenne ich die großen kirchlichen Institutionen, zu denen auch Missio zählt, natürlich seit vielen Jahren. Meine Familie wollte helfen, und so haben wir uns gesagt: Bevor wir jetzt anfangen, selbständig etwas zu eruieren, hängen wir uns an Fachleute dran, die sich da auskennen. Da war für mich völlig klar, dass Missio sich anbot, weil ich immer schon zu Missio Kontakte hatte. Das hat sich ja als sehr richtig herausgestellt.

Frage: Sie sind überzeugter Katholik und haben als Chef von Thyssen-Krupp, als Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens und bei Unternehmen wie VW, Allianz und Lufthansa Positionen bekleidet, die immense Verantwortung bedeutet haben. Dabei waren auch Entscheidungen zu treffen, die für viele den Verlust des Arbeitsplatzes durch Werkschließungen oder Umstrukturierungen bedeutet haben. Wie kommen Sie diesbezüglich mit sich ins Reine?

Cromme: Man muss natürlich das tun, was in der jeweiligen Situation richtig ist. Wenn sich herausstellt, dass ein Werk nicht am Leben gehalten werden kann, weil die Aufträge wegbrechen, weil es technologische Veränderungen gibt, dann kann man es nicht weiterführen, wenn es ständig Verluste macht. Denn dann würde man am Ende damit das Ganze gefährden. Insofern hatte ich intellektuell kein Problem damit zu sagen: Das, was keine Zukunft hat, das kann man nicht einfach mit durchschleppen, wenn man weiß, dass es keine Chance gibt, dass es wieder besser wird. Das ist die rationale Entscheidung. Es gibt darüber hinaus natürlich eine ganz andere Dimension, nämlich die menschliche. Natürlich sind mir die Betroffenen nicht gleichgültig. Deshalb haben wir immer wieder so genannte sozial verträgliche Lösungen gesucht, die helfen sollten, den Betroffenen einen vernünftigen sozialen Status zu ermöglichen.

Frage: Ein vernünftiger sozialer Status ist der Wunsch der meisten Menschen. Warum lässt es sich auf dem reichen Kontinent Afrika nach wie für viele nicht gut leben?

Cromme: Das Problem Afrikas ist ein doppeltes: Auf der einen Seite sehen wir die internen Auseinandersetzungen in den einzelnen Staaten, die zu Bürgerkriegen, zu Vertreibung und zu Misshandlungen führen. Das hat dann zur Konsequenz, dass die Leute ihre Heimat verlassen. Das ist das eine Problem: Wir brauchen interne Stabilität in Afrika, die in vielen Regionen leider fehlt. Zum zweiten ist die Korruption ein Grundübel. Da muss man mit vereinten Kräften herangehen. Erst wenn die Korruption eingedämmt ist und Frieden herrscht, wird es auch wirtschaftlichen Wohlstand geben. Kakuma ist ja nur 50 Kilometer vom Südsudan entfernt: Dort wurde erst zwischen dem Norden und dem Süden um die Selbständigkeit des Südens gekämpft. Dann hat der Süden sie bekommen, und nun gibt es wiederum innere Kämpfe. In Kakuma habe ich Menschen aus dem Südsudan kennengelernt, die fünf- oder sechsmal wegen der unterschiedlichen Konflikte ihre Heimat verlassen mussten.

Bild: © Missio München

„Wir verspielen in Afrika zur Zeit eine große Chance.“

—  Zitat: Dr. Gerhard Cromme, Jurist und Volkswirt.

Frage: Sehen Sie dann überhaupt eine Chance für Afrika? Und verträgt unser Planet einen globalen Wirtschaftsboom wie wir ihn kennen?

Cromme: Ja, natürlich. Ich bin von Natur aus Optimist. Und wenn ich sehe, welche Ressourcen Afrika hat – sowohl die Ressourcen, die im Boden liegen, als auch die Ressourcen menschlicher Art – bin ich mittel- und längerfristig überzeugt, dass sich Afrika absolut positiv entwickeln wird. Da sind die Initiativen goldrichtig, die dafür sorgen sollen, inselmäßig einigen Ländern bei der Entwicklung intensiv zu helfen, damit sie als Beispielland für andere Regionen gelten können. Ich denke, dass sie Schule machen werden. Ich habe das auch daran gesehen, wie der Präsidentschaftswechel in Südafrika und wie er in Simbabwe stattgefunden hat: Ein Flüchtling aus Simbabwe hat mir den Unterschied zwischen den beiden Ländern einmal folgendermaßen geschildert: Wenn Sie einen völlig defekten Bus haben und da den Fahrer auswechseln, dann passiert nicht viel. Aber wenn Sie in einer eigentlich intakten Volkswirtschaft wie Südafrika dafür sorgen, dass die politischen Umstände wieder stabiler werden, dann hat das eine ganz andere Wirkung.

Frage: Wo auch immer in Afrika gebaut und gehandelt wird, sind Chinesen mit von der Partie. Sind wir Europäer für Afrika überhaupt noch Wirtschaftspartner?

Cromme: Die Chinesen sind äußerst aktiv in Afrika – und das nicht immer zugunsten der Interessen Afrikas. Sie wollen oft nur an die Bodenschätze. Die Bevölkerung profitiert gerade bei den großen Infrastrukturprojekten wenig. Europa wird zur Zeit abgehängt, was an der fehlenden Entscheidungskraft des Kontinents liegt. Dabei hätte Europa schon aus historischen Gründen alle Chancen, eine treibende Kraft in Afrika zu sein. Wir verspielen in Afrika zur Zeit eine große Chance.

Frage: Was raten Sie Europa?

Cromme: Vor Ort zu sein und aktiv zu sein – und zwar in den Ländern, in denen stabile und nicht korrupte Regierungen an der Macht sind. Diesen Ländern können wir helfen, zu Leuchttürmen für Afrika zu werden.

Das Interview führte Barbara Brustlein.

Das Interview erschien ursprünglich im missio magazin (3/18).

© Missio München

Zur Person

Der Jurist und Volkswirt Dr. Gerhard Cromme hat so wichtige Positionen in der deutschen Wirtschaft bekleidet wie wenige andere: Bis Anfang 2018 war er Vorsitzender des Aufsichtsrats von Siemens. Zuvor war Cromme Thyssen-Krupp-Chef und im Aufsichtsrat von Firmen wie Eon, Axel Springer, Hochtief, Allianz und Lufthansa. Derzeit ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats der Gebrauchtwagenplattform Auto 1. Im Februar reiste Cromme mit seiner Ehefrau in Begleitung des Missio-Präsidenten Monsignore Wolfgang Huber für fünf Tage nach Kenia. Das Ehepaar unterstützt über Missio München Flüchtlinge in Nairobi und im Flüchtlingslager Kakuma.