Mit gemischten Gefühlen zurück
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Mit gemischten Gefühlen zurück

Freiwilligendienst ‐ Sie hatte Land und Leute gerade ins Herz geschlossen. Doch die Gewalt bei den Massenprotesten gegen die Regierung von Daniel Ortega in Nicaragua zwangen die deutsche Freiwillige Stella Westenhoff zum frühzeitigen Abbruch ihres Einsatzes.

Erstellt: 18.06.2018
Aktualisiert: 26.10.2022
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Sie hatte Land und Leute gerade ins Herz geschlossen. Doch die Gewalt bei den Massenprotesten gegen die Regierung von Daniel Ortega in Nicaragua zwangen die deutsche Freiwillige Stella Westenhoff zum frühzeitigen Abbruch ihres Einsatzes. Die 18-Jährige aus dem Erzbistum Freiburg hatte über den Bundesfreiwilligendienst „weltwärts“ seit August 2017 in einem Jugendzentrum nahe der nicaraguanischen Hauptstadt Managua gearbeitet.

Frage: Stella, aufgrund der heiklen Sicherheitslage in Nicaragua hat der Bundesfreiwilligendienst „weltwärts“ beschlossen, alle Freiwilligen zurück zu holen. Warst du da enttäuscht oder auch ein bisschen erleichtert?

Stella: Da sind die Gefühle gespalten. Auf der einen Seite war ich natürlich froh, dass ich nicht mehr in diesem Unruheherd drin stecke und in Sicherheit bin. Ich wollte nicht mehr mit dieser Ungewissheit konfrontiert sein, ob ich jetzt wirklich zurückgehe, noch bleibe, ob ich heute zur Arbeit gehen kann oder nicht. Auf der anderen Seite ist es ein ganz komisches Gefühl, wenn man viele Menschen zurücklässt, die man lieb gewonnen hat, die einem ganz viel bedeuten und die dort noch in den Problemen drinstecken. Und man selbst hat das Privileg, wieder nach Deutschland zurückzukehren, wo alles gut funktioniert und die Probleme in Nicaragua weit weg sind.

Frage: Was genau hast du von den Unruhen mitbekommen?

Stella: Da ich in der Nähe von Managua gelebt habe, war ich ziemlich nah dran. Ich hatte Freunde, die sich bei den Protesten beteiligt haben. Ihnen ist bis jetzt zum Glück noch nichts passiert. Aber über Ecken kannte man auch Leute, die umgekommen sind oder verletzt wurden. Ich bin einmal versehentlich in eine Demonstration hineingelaufen. Meine Stadt ist sehr sandinistisch geprägt, also pro Regierung. Dann haben die Regierungsanhänger und die Polizisten, die meistens auch bei den Demonstrationen mitliefen, ihre Parolen propagiert. Da wird es einem schon ganz anders, wenn man so mittendrin ist. 

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Frage: Wie lange hat diese Phase der Unsicherheit vor deiner Abreise angedauert?

Stella: Das geschah von einem Tag auf den anderen. Es war der 18. April, ein Mittwoch. Da war noch alles in Ordnung und plötzlich, am Donnerstag, kam die Nachricht, dass die Demonstrationen total eskaliert sind. Wenige Tage später kamen auch schon die ersten Nachrichten von Toten. Das ging ziemlich schnell. Ich war dann insgesamt noch vier Wochen dort, bis ich abreisen konnte.

Frage: Wie hast du diese vier Wochen erlebt?

Stella: Die letzten Wochen waren sehr angespannt. Dadurch, dass sich das so rapide entwickelt hat, hatte man auch das Gefühl, dass keiner so wirklich drauf vorbereitet war. Weder das Volk noch die Regierung. Deswegen gab es dabei viele Emotionen. Auf der einen Seite gab es viel Hoffnung auf einen Umschwung. Denn es lag schon länger ziemlich viel Unzufriedenheit in der Luft. Man hat sich schon gefragt, warum die Menschen nichts dagegen tun. Aber die Menschen waren wohl noch paralysiert von der Revolution in den 1980er Jahren, bei der es auch schon viele Tote gegeben hatte. Deswegen haben die Menschen einerseits viel Hoffnung, dass sich wirklich mal etwas ändert, andererseits aber auch viel Angst und Trauer um die Toten. Ich hatte sehr viele intensive Gespräche mit den Nicaraguanern.

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Frage: Du warst seit August letzten Jahres da. Wie hast du die vergangenen Monate als Freiwillige dort erlebt?

Stella: Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar, dass ich das überhaupt machen konnte und dass ich Nicaragua auch von einer anderen Seite kennenlernen konnte. Ich habe es als ein ganz tolles Land empfunden mit ganz tollen Menschen, die total gastfreundlich und einfach liebenswert waren. Und sie haben eigentlich auch eine sehr fröhliche Kultur. Sie haben sehr gerne Feste gefeiert und einen mit einbezogen. Es war schon krass, zu erleben, wie die Stimmung so schnell umgeschlagen ist.

Frage: Was genau waren deine Aufgaben und wird die Arbeit dort in irgendeiner Weise fortgesetzt?

Stella: Eigentlich ist schon geplant, das Projekt so lange wie möglich weiterzuführen und die Jugendlichen dort von den Unruhen ein Stück weit abzulenken. Seit einigen Wochen gibt es ja auch keine Schule und Uni mehr. Wir Freiwilligen haben dort Aufklärungsarbeit geleistet zu den Themen Geschlechtergerechtigkeit, Umwelt und Menschenrechte. Zusätzlich haben wir eine Hausaufgabenbetreuung angeboten für Kinder im Grundschulalter, wo wir auch Konzentrationsspiele gemacht haben. Außerdem haben wir Englisch-Unterricht gegeben. Viele der Kinder, die in dem Programm arbeiten, machen dort später selbst Angebote wie Tanz, Theater oder Zeichenkurse. Wie es mit dem Projekt weitergeht, vermag ich nicht zu sagen. Die Bevölkerung hat gegen die Polizei Straßensperren errichtet, die Menschen kommen schwer zur Arbeit.

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Frage: Was wünschst du dir für diese Kinder?

Stella: Auf der einen Seite wünsche ich mir für sie, dass die Lage nicht weiter eskaliert. Und dass sich die Gewalt beruhigt und die Ausschreitungen enden. Auf der anderen Seite wünsche ich mir auch einen Umschwung für die Menschen in Nicaragua. Dass in Zukunft eine bessere Regierung an der Macht ist, die das Volk nicht mehr unterdrückt. Ich wünsche ihnen eine bessere Zukunft.

Frage: Macht es dir Mut, dass die Kirche in dem Konflikt eine zentrale Rolle spielt? Einerseits hat sie sich ja selbst an den Protesten beteiligt, ist jetzt aber auch Vermittlerin zwischen den Konfliktparteien.

Stella: Ich finde das ziemlich gut, weil die Kirche da als neutraler Mediator agiert. Fast alle Menschen in Nicaragua haben zur Kirche und dem Glauben einen Bezug. Sie ist für viele Menschen eine große Kraftquelle. Auf den Straßen ist da ein enormer Enthusiasmus. Ich glaube, dass die Kirche den Menschen auch Halt gibt. Sie hat sich ja nicht auf eine Seite geschlagen, sondern sich generell für Gewaltfreiheit und Frieden ausgesprochen. Und das ist auch das, was die Mehrheit der Menschen im Moment will. Dass es keine Toten mehr gibt, sondern Waffenstillstand.

Frage: Wie geht es jetzt für dich weiter?

Stella: Ich werde wahrscheinlich ab dem Wintersemester Jura studieren. Während der Überbrückungszeit werde ich versuchen, mich auch weiter sozial zu engagieren. Ich möchte gerne auf die Situation in Nicaragua aufmerksam machen. Es ist nämlich schon ein komisches Gefühl, dass hier so eine heile Welt ist und keiner etwas über die Situation in Nicaragua weiß, weil das Thema in den letzten Wochen in den Medien wenig präsent war. Ich würde das Thema gerne mehr publik machen, Vorträge halten oder Benefizaktionen starten.

Das Interview führte Claudia Zeisel

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