Politische Zäsur in Kolumbien

Politische Zäsur in Kolumbien

Kolumbien ‐ Der rechtskonservative Ex-Präsident Alvaro Uribe will sich wegen eines neuen Ermittlungsverfahrens gegen ihn aus dem Parlament zurückziehen. Damit beginnt in Kolumbien eine neue politische Ära.

Erstellt: 25.07.2018
Aktualisiert: 25.07.2018
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Der rechtskonservative Ex-Präsident Alvaro Uribe will sich wegen eines neuen Ermittlungsverfahrens gegen ihn aus dem Parlament zurückziehen. Damit beginnt in Kolumbien eine neue politische Ära.

Für seine überraschende Ankündigung nutzte das politische Schwergewicht den Kurznachrichtendienst Twitter: „Der Oberste Gerichtshof hat Ermittlungen gegen mich eingeleitet. Ich bin vorher nicht angehört worden“, schrieb der ehemalige kolumbianische Präsident Alvaro Uribe (2002-2010) am Dienstag. „Aus moralischen Gründen ist es mir unmöglich, Senator zu bleiben. Ich werde meinen Rücktritt einreichen, damit meine Verteidigung nicht mit meinen Aufgaben im Senat kollidiert.“ Offiziell ermittelt die Justiz wegen Zeugenmanipulation und Betrugs.

Sollte Uribe seine Ankündigung wahr machen, wäre seine aktive politische Laufbahn beendet. Kein anderer Politiker erhielt bei den Parlamentswahlen so viele Stimmen wie er, kein anderer Politiker ist so populär, kein anderer so umstritten wie der inzwischen 66 Jahre alte Großvater. Sein Rückzug wird sowohl den weiteren Verlauf des Friedensprozesses als auch die Arbeit der neuen Regierung von Präsident Ivan Duque maßgeblich beeinflussen, der sein Amt in rund zwei Wochen antritt. Uribes Abgang ist eine Zäsur für die kolumbianische Innenpolitik.

Die linksgerichtete Opposition um den ehemaligen Guerillero Gustavo Petro hatte im Wahlkampf noch prognostiziert, Uribe werde als kommender Senatspräsident der eigentlich starke Mann der Ära Duque sein. Doch Uribe verzichtet nicht nur auf den Senatsvorsitz, er will sich sogar komplett aus dem Parlament zurückziehen.

Die Opposition wirft ihm vor, Hauptverantwortlicher im Skandal um die „falsos positivos“ zu sein. Damit sind Fälle gemeint, in denen getötete unschuldige Zivilisten im Nachhinein als Guerilleros bezeichnet wurden. Erst kürzlich hatte sich mit dem ehemaligen Armeechef General Mario Montoya der bislang ranghöchste Vertreter des Militärs einer sogenannten Sonderjustiz zur Aufarbeitung des jahrzehntelangen Konflikts mit der linksgerichteten FARC-Guerilla gestellt.

Montoya unterzeichnete ein Dokument, dass ihn zur umfassenden Zusammenarbeit mit der Sonderjustiz und auch einer Akzeptanz eventueller Strafverfolgung verpflichtet. Der General gilt als eine der Schlüsselfiguren in der Mordserie, der viele Unschuldige zum Opfer fielen. Für die Tötung von Rebellen gab es Sonderprämien vom Militär. Die kolumbianische Staatsanwaltschaft veröffentlichte jüngst einen Bericht über bislang 2.284 identifizierte „falsos positivos“ zwischen 1988 und 2014.

Mit Uribes politischem Aus fehlt der linken Oppositionsbewegung in der parlamentarischen Auseinandersetzung künftig ein ideologisches Feindbild. Das könnte die Mobilisierung des eigenen Lagers etwas schwieriger machen. Im Gegenzug wird der Druck auf die Vertreter der Linken wachsen, selbst ihren Teil zum Beitrag der Aufarbeitung zu leisten. Die FARC-Spitze bezog zuletzt Stellung zur Entführungspraxis während ihrer aktiven Zeit, als sie unschuldige Zivilisten und Armeeangehörige oft jahrelang verschleppte.

Durch Uribes Ausscheiden aus dem Parlament schwindet - zumindest rein optisch – sein Einfluss auf die neue Regierung. In einer Zeit, in der vor allem mit Bildern in den Sozialen Netzwerken Politik gemacht wird, ist das nicht zu unterschätzen. Dem jungen Präsidenten Duque wird das helfen, sein von der Opposition verpasstes Image als Uribe-Marionette schrittweise abzustreifen und sich zu emanzipieren.

Duque wird sich nun bei den anstehenden Friedensverhandlungen mit der zweitgrößten Rebellengruppe, der ELN, leichter tun, ebenso bei der Umsetzung des stockenden Friedensprozesses mit der inzwischen zur Partei umgewandelten FARC. Wenn er Anfang August sein Amt antreten wird, bleibt ihm der riesige Schatten Uribes im Parlament erspart. Duque könnte daher der größte Profiteur der neuen Lage in der kolumbianischen Innenpolitik werden.

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