Eine Schwester kämpft gegen Menschenhandel in Nigeria
Nigeria ‐ Von Benin City aus bringen Schleuserbanden junge Frauen in Richtung Europa. Schwester Bibiana Emenaha kämpft gegen Zwangsprostitution und moderne Sklaverei. Sie fordert mehr Wirtschaftsförderung für Nigeria.
Aktualisiert: 27.07.2022
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Von Benin City aus bringen Schleuserbanden junge Frauen in Richtung Europa. Schwester Bibiana Emenaha kämpft gegen Zwangsprostitution und moderne Sklaverei. Sie fordert mehr Wirtschaftsförderung für Nigeria.
Vor Bibiana Emenaha sitzen knapp 100 Schülerinnen und Schüler und hören gebannt zu. Die Schwester vom Orden der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul besucht heute die Ogwa Grammar School im Bundesstaat Edo im Süden Nigerias. Zusammen mit ihren Mitschwestern Doris Ogbeifun und Anthonia Iyade spricht sie in der Aula über Schlepperbanden, die jungen Mädchen einen Job in Europa und das große Geld versprechen. „Und was passiert dann? Ihr werdet in der Prostitution enden. Sie werden euch auf die Straßen schicken. Sie werden sagen: Ihr schuldet ihnen 8.000 Euro, vielleicht sogar 80.000. Sie werden eure Namen ändern, damit euch niemand finden und niemand helfen kann.“ Keiner der Teenager sagt ein Wort oder schaut aus dem Fenster. Während des Vortrags, der über eine Stunde dauert, sind alle hochkonzentriert – und schockiert.
Dabei ist in Edo mit der Hauptstadt Benin City Menschenhandel ein seit Jahrzehnten bekanntes Phänomen. Auch in Europa weiß man längst, dass junge Nigerianerinnen in Italien, Deutschland oder Frankreich meist in Bordellen oder auf dem Straßenstrich landen. Trotzdem ist die 16-jährige Akher Iyere froh, dass die Mitarbeiterinnen von CUSODOW, dem Komitee zur Unterstützung der Würde von Frauen, die knapp dreistündige Fahrt angetreten haben. „Wir hören davon. Es ist aber etwas anderes, wenn jemand darüber spricht, der wirklich Ahnung hat.“ Weder sie selbst noch eine ihrer Freundinnen hat bisher allerdings ein solches Angebot erhalten. Mittlerweile sind aber oft Schülerinnen, die gerade die weiterführende Schule abgeschlossen haben, beliebte Opfer, so Schwester Bibiana. Manchmal besucht sie gleich mehrere Schulen in einer Woche.
Ein Grund dafür sind die mangelnden Perspektiven. Akher Iyere hat noch zwei Jahre bis zu ihrem Abschluss. „Danach würde ich gerne Buchhalterin werden.“ Doch die Aussichten sind schlecht. Die Suche erfordert viel Eigeninitiative, Energie und Kontakte. Dazu kommt, dass Nigerias Bevölkerung jedes Jahr um die Größe von Irland oder Dänemark wächst, die Infrastruktur jedoch nicht. Neben Wohnungen, Strom-, Wasser- und Gesundheitsversorgung wächst vor allem der Arbeitsmarkt nicht mit. Die Migration nach Nordafrika und Europa hat in Edo eine lange Tradition. Geldüberweisungen aus dem Ausland sind für viele Familien elementar: Nach Angaben der Weltbank haben Nigerianer vergangenes Jahr 22 Milliarden US-Dollar an Angehörige geschickt.
Dafür nehmen sie die Zwangsprostitution in Kauf. „Es ist fast ausgeschlossen, dass sie heute darüber nicht Bescheid wissen“, so Schwester Bibiana. Sie erlebt auch, dass Prostitution als normale Arbeit angesehen wird und die jungen Frauen denken, damit in Europa ein gutes Auskommen zu erwirtschaften. „Sie wissen nicht, dass sie zu Sklaven werden und das Geld nicht ihnen gehört.“
CUSODOW bietet Mädchen und jungen Frauen, die aus Europa abgeschoben wurden oder aus Libyen zurückgekehrt sind, Unterkunft und Beratung. Die Zahl steigt stetig. Seit April 2017 hat die Internationale Organisation für Migration (IOM) die Rückkehr von 9.159 Migranten unterstützt – wie viele von ihnen die Menschenhändler Richtung Norden lockten, ist nicht bekannt. Jeder zweite stammt aus Edo. Weiterhin warten Zehntausende in Libyen. Gesunken ist hingegen die Zahl der Nigerianer, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Nach aktueller Statistik des UN-Flüchtlingshilfswerks gehört Nigeria nicht einmal mehr zu den zehn Ländern mit der höchsten Migrantenzahl.
Um die Situation für potenzielle Migranten und Opfer von Menschenhändlern zu verbessern, gebe es eine Menge zu tun, sagt Schwester Bibiana. In der Verantwortung seien auch Europa und die EU, deren Vertreter bereits im Februar zu Gesprächen gekommen waren. „Was wir wirklich brauchen, das ist Wirtschaftsförderung“, sagt sie. „Aber gibt man das Geld einem Staat, der es dann veruntreut?“ Sie spielt auf die Korruption in Nigeria an. Im aktuellen Ranking von Transparency International liegt das Land auf Platz 148 von 180. In der Verantwortung seien aber auch Familien. „Ich sage niemandem, wie viele Kinder er haben soll. Man muss sich aber auch darum kümmern können.“ Damit wäre schon einiges erreicht. Eines ist Schwester Bibiana aber besonders wichtig: „Wir sagen nicht, dass Menschen nicht auswandern sollen. Wenn sie es aber tun, dann mit Würde und dem Reisepass in den Händen.“
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