Misereor kritisiert „Klima der Angst“ auf Philippinen
Philippinen ‐ Auf den Philippinen wird im Mai ein neues Parlament gewählt; Präsident Rodrigo Duterte strebt einen weiteren Machtausbau an. Unterdessen gilt die Menschenrechtslage vor dem Hintergrund seiner Anti-Drogen-Kampagne als schwierig. Probleme bereitet dem Land zudem der Klimawandel.
Aktualisiert: 12.04.2019
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Auf den Philippinen wird im Mai ein neues Parlament gewählt; Präsident Rodrigo Duterte strebt einen weiteren Machtausbau an. Unterdessen gilt die Menschenrechtslage vor dem Hintergrund seiner Anti-Drogen-Kampagne als schwierig. Probleme bereitet dem Land zudem der Klimawandel. Das katholische Hilfswerk Misereor engagiert sich seit Jahren auf den Philippinen. Derzeit hält sich Misereor-Chef Pirmin Spiegel in Manila auf. Im Interview spricht er über die herrschende Gewalt - und die Gründe für die Beliebtheit des Präsidenten.
Frage: Monsignore Spiegel, die Anti-Drogen-Kampagne des philippinischen Präsidenten sorgt international immer wieder für Schlagzeilen. Aktivisten beklagen massive Menschenrechtsverletzungen und rund 25.000 Todesopfer. Was ist davon auf der Straße zu spüren?
Spiegel: Wir haben in Manila gemeinsam mit unseren Projektpartnern das Stadtviertel besucht, in dem die meisten Opfer der Anti-Drogen-Kampagne zu verzeichnen sind. Wir haben mit Witwen und ihren Kindern gesprochen, von denen einige mitansehen mussten, wie ihr Mann oder Vater getötet würde. Da herrschen ein Klima der Verzweiflung, Angst und Sorge um das tägliche Überleben. Es geht ja, wenn von 25.000 Ermordeten die Rede ist, auch um die Familien, denen plötzlich der Ernährer oder die Ernährerin fehlt. Insgesamt sind mehr als 100.000 Menschen betroffen. Ihnen zu helfen, ihre Traumata zu bewältigen und für ihre Rechte und Würde zu kämpfen, ist Ziel vieler von Misereor und der katholischen Kirche unterstützter Projekte auf den Philippinen.
Frage: Unter welchen Bedingungen arbeiten die Menschen, die sich für die Betroffenen einsetzen?
Spiegel: Die Bedingungen sind schwierig. Wir haben von unseren Partnern gehört, dass sie konkret bedroht werden – etwa in E-Mails oder über Soziale Medien. Menschenrechtsverteidiger und Aktivisten sind zunehmend Einschüchterungen ausgesetzt und müssen Gewalt fürchten. Trotzdem setzen sie ihre Arbeit fort, weil sie angesichts des Leids der Menschen nicht schweigen wollen.
Frage: Im Mai wählen die Philippiner ein neues Parlament – trotz vieler Probleme und zunehmender Gewalt liegen die Zustimmungsraten für Duterte Umfragen zufolge bei mehr als 70 Prozent. Wie erklären Sie sich das?
Spiegel: Das ist eine sehr komplexe Situation. Einerseits herrscht auf den Straßen ein Klima der Angst, trotzdem gibt es viel Unterstützung für Duterte. Eine Mehrheit der Bevölkerung ist der Meinung, dass der Präsident auf dem richtigen Weg ist, sich um die Armen kümmert, Zukunft gibt, seine Versprechen hält.
Einen Grund dafür sehen unsere Partner vor Ort darin, dass die demokratische Idee, das demokratische Verständnis von Gewaltenteilung und Menschenrechten, sich bis heute nicht vollständig etabliert hat, sondern dass nach der Kolonialzeit, nach Krieg und Diktatur das Patronatssystem weiter tief verwurzelt ist. Der, der hat, gibt – der, der selbst arm ist, kann den Armen nicht helfen. Ich erhalte Geld und Nahrung, dafür gebe ich meine Stimme ab. Die erste Sorge derjenigen, die hungern und nicht wissen, wie sie überleben sollen, ist es, versorgt zu werden.
Frage: Ein weiteres Thema Ihres Besuchs sind die Auswirkungen des Klimawandels auf den Philippinen – worum geht es konkret?
Spiegel: Auf den Philippinen ist der Klimawandel Realität. Die Auswirkungen sind schon heute spürbar und diese Entwicklung setzt sich fort. Von weltweit 173 Ländern haben die Philippinen nach dem Weltrisikoindex 2018 aktuell das drittgrößte Gefährdungspotenzial. Die Philippinen sind ein Land mit mehr als 7.000 Inseln, 800 davon sind bewohnt, viele Menschen leben in den Küstenregionen. Es kommt immer häufiger zu Überflutungen, die Taifune werden stärker, das sind existenzielle Bedrohungen.
Frage: Was wird getan, um die Menschen bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen?
Spiegel: Ein konkretes Beispiel: Neben dem Küstenschutz ist die Frage der Ernährungssicherheit ein wichtiges Thema. Wir haben die nationale Bauernorganisation MASIPAG besucht, die organische und an die Klimaveränderung angepasste Landwirtschaft fördert. Da geht es etwa um die Vielfalt von Saatgut. Mehr als hundert traditionelle Reissorten wurden gesammelt, Hunderte Sorten wurden neu gezüchtet, etwa solche, die salzresistent sind, die mehrtägig überflutet bleiben können, ohne dass die Wurzel fault. Das hilft den Bauernfamilien ganz konkret, sie können ihre Ernteerträge verbessern, haben weniger Ausgaben als zuvor und inzwischen gibt es auch einen lokalen und regionalen Markt für diesen nachhaltigen Reis.
Frage: Trotz dieser Hilfen und Anpassungsmaßnahmen wird der Klimawandel auch künftig eine große Bedrohung für die Philippinen darstellen.
Spiegel: Ja. Es ist ganz klar, was die großen Fragen des Klimawandels betrifft, muss die internationale Gemeinschaft ihre Hausaufgaben machen. Weltweit hinken die Länder hinter den Vorgaben der jüngsten Klimaabkommen her. Wir wissen, dass wir hinsichtlich der CO2-Reduktion, der Mobilität und der Landwirtschaft etwas tun müssen. Wir brauchen internationale Solidarität, um diese großen Fragen anzugehen. Denn hier erleben wir vor Ort, dass die ersten Betroffenen die sind, die selbst am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben.