
Caritas international: Humanitäre Hilfe gefragt wie nie
Katastrophenhilfe ‐ In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Klimakatastrophen verdoppelt; weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht wie nie. Das fordert humanitäre Hilfsorganisationen wie die weltweiten Caritasverbände heraus. Ihre Arbeit noch sichtbarer zu machen und stärker mit staatlichen Hilfsprogrammen zu vernetzen, das wünscht sich Dr. Oliver Müller, Leiter von Caritas international, vom neuen Präsidenten bzw. Generalsekretär, die dieser Tage bei der im Vierjahresturnus stattfindenden Generalversammlung von Caritas Internationalis in Rom gewählt werden.
Aktualisiert: 23.05.2019
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In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Klimakatastrophen verdoppelt; weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht wie nie. Das fordert humanitäre Hilfsorganisationen wie die weltweiten Caritasverbände heraus. Ihre Arbeit noch sichtbarer zu machen und stärker mit staatlichen Hilfsprogrammen zu vernetzen, das wünscht sich Dr. Oliver Müller, Leiter von Caritas international, vom neuen Präsidenten bzw. Generalsekretär, die dieser Tage bei der im Vierjahresturnus stattfindenden Generalversammlung von Caritas Internationalis in Rom gewählt werden.
Frage: Herr Dr. Müller, bei der Generalversammlung von Caritas Internationalis kommen nationale Caritasverbände aus rund 150 Ländern zusammen. Was sind hier die zentralen Themen?
Dr. Oliver Müller: Von den 164 Caritasverbänden weltweit sind 150 zur Generalversammlung in Rom angemeldet – so viele wie noch nie. Das zeigt zum einen, dass das Netzwerk wächst und mittlerweile eines der, wenn nicht das größte nichtstaatliche Netzwerk an Hilfsorganisationen weltweit ist, die sich in ihren Ländern für soziale Gerechtigkeit und Wohlfahrt einsetzen. Verbindendes Element ist für uns alle die humanitäre Hilfe – und eben hier steigt der Bedarf weltweit. In den letzten 20 Jahren hat sich allein die Zahl der klimatisch bedingten Naturkatastrophen mit Fluten und Wirbelstürmen verdoppelt. Wir wollen deshalb in den nächsten Tagen der Frage nachgehen, wie wir im Bereich der Not- und Katastrophenhilfe noch besser zusammenarbeiten können. Jüngstes Beispiel ist der Wirbelsturm Idai in Mosambik, wo Caritasverbände aus Deutschland, Asien und anderen Ländern mit der Caritas Mosambik zusammengearbeitet haben.
Frage: Wenn der Bedarf an humanitärer Hilfe steigt – wie stemmen die Caritasverbände das finanziell?
Müller: Es gibt innerhalb des Caritas-Netzwerks einen bedeutenden Mitteltransfer. Deutschland hat als größter Caritasverband weltweit rund 80 Millionen Euro Jahresbudget. Wir finanzieren unsere Hilfsmaßnahmen durch Spenden, aber auch durch Unterstützung des Auswärtigen Amts und EU-Mittel. Wir haben hier einen bunten Finanzierungsmix. Eine der größten Herausforderungen ist es, jene Caritasverbände aus Ländern, in denen Notlagen herrschen, in die Lage zu versetzen, im Land selbst Mittel zu aquirieren. Da gilt es zu schauen, was im Land getan werden kann, welche Stiftungen und Einrichtungen es gibt, etwa die Vereinten Nationen. Sie sollten nicht zu hundert Prozent von internationaler Hilfe abhängen. Die Caritas Mosambik etwa hatte in den aktuellen Nothilfe- und Wiederaufbaubemühungen praktisch keine eigenen Mittel. Die kommen zu 90 Prozent aus dem weltweiten Caritas-Netzwerk, den USA oder Deutschland – wir allein haben rund sieben Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt.

„Die Caritas hat international noch nicht den Stellenwert, der ihr zusteht.“
Frage: Was erwarten Sie sich für Caritas international in Deutschland von der Generalversammlung in Rom?
Müller: Obwohl ich ja viel auf Reisen bin, ist die Generalversammlung in Rom einer der inspirierendsten Termine, weil der Austausch mit Vertretern aus so vielen Ländern etwas ganz Besonderes ist. Er ermöglicht mir eine neue Sicht auf die Dinge. Wo ich mir zusätzliche Erkenntnisse und Erfahrungsaustausch erhoffe, ist beim Thema Klimawandel, der in vielen Ländern des Südens viel spürbarer ist. Für Caritasverbände auf den Inseln Fidschi und Tonga in der Pazifikregion ist der Klimawandel Herausforderung Nummer eins. Sie befürchten, dass die Menschen umgesiedelt werden müssen, wenn das Wasser zu sehr steigt. Hier würde ich gerne erfahren, was man vor Ort für die Menschen machen kann.
Frage: Welche Maßnahmen im Bereich Klimagerechtigkeit haben die Caritasverbände in den letzten Jahren getroffen?
Müller: Wir versuchen zwei Dinge: Zunächst stehen wir den Opfern des Klimawandels bei. Etwa jenen, die ihre Heimat verlassen mussten. Zweitens haben wir viele Projekte zur Anpassung an den Klimawandel – nicht, dass wir uns mit dem Klimawandel abfinden würden – aber wir erleben auch, dass wir keine Wahl haben und die Betroffenen nicht alleinlassen können. Im Tiefland des Amazonas in Peru etwa können die Bauern nur bleiben, wenn sie ihre Anbaumethoden ändern mit anderem Saatgut und anderen Pflanzen. Hierbei unterstützen wir sie. Mit unserer Katastrophenprävention schützen wir die Menschen davor, Opfer des Klimawandels zu werden. Von der Generalversammlung erhoffe ich mir zum einen Impulse, was die für die Kirche noch anstehenden Aufgaben angeht, aber auch eine Stärkung der Position der einzelnen Caritasvertreter innerhalb ihrer nationalen Gesellschaften bis in die Politik hinein.
Frage: Ein geflügeltes Wort in der Politik ist auch die „Bekämpfung von Fluchtursachen“. Haben Sie in ihrer Arbeit mit Geflüchteten feststellen können, dass es hier konkrete Fortschritte gibt?
Müller: Die Hauptursache für die historisch hohen Zahlen von Geflüchteten und Vertriebenen sind bewaffnete Konflikte. 70 Prozent der weltweit 68,5 Millionen Flüchtlinge kommen aus nur fünf Ländern: Syrien, Afghanistan, Somalia, Südsudan und Myanmar. 28,5 Millionen Menschen sind vom UNHCR anerkannte Flüchtlinge, die restlichen 40 Millionen, also der Großteil, sind Binnenvertriebene. Sie leben noch in den Konfliktländern und ihr Versorgungszustand ist in der Regel noch viel schlechter als der der anerkannten Flüchtlinge. Im Südsudan etwa gibt es keine staatliche Autorität, an die sich Binnenvertriebene wenden können, wenn ihnen ihr Besitz weggenommen wurde oder Vergewaltigungen passiert sind. Diese Menschen sind besonders schutzbedürftig und das wird auf der Versammlung sicher eine große Rolle spielen.
Aufgabe der Caritas ist es, sich für die Rechte von Flüchtlingen und Vertriebenen einzutreten. Es wäre aber anmaßend, zu behaupten, dass wir das alleine schaffen. Die internationale Gemeinschaft ist aufgefordert, diese Konflikte zu beenden und Frieden in den Ländern zu schaffen. Diese Menschen müssen als Flüchtlinge und Migranten anerkannt und geschützt werden. Aber auch der Einsatz gegen den Klimawandel als weiterer starker Fluchtgrund ist entscheidend.
Frage: Caritas Internationalis wählt bei der Versammlung auch eine/n Präsidenten/in und eine/n Generalsekretär/in. Vor welchen zentralen Herausforderungen stehen diese Ihrer Meinung nach in den kommenden Jahren?
Müller: Eine Herausforderung ist die Digitalisierung, die auch in der internationalen humanitären Hilfe Einzug hält. Heutzutage wird humanitäre Hilfe ja nicht mehr nur durch Hilfsgüter geleistet, sondern durch sogenannte Cash-Transfer-Programme, also Bargeldverteilung. Das heißt nicht, dass man den Menschen Geldscheine in die Hand drückt, sondern das läuft über Geld- und Kreditkarten. Auch bei der Prüfung der Lebensbedingungen und Bedürfnisse vor Ort, dem sogenannten Assessment, kann heute mehr Technik als früher eingesetzt werden. Da ist in den betroffenen Ländern des Südens noch großer Nachholbedarf.
Des Weiteren hat die Caritas mit ihren Hunderttausenden Helfern weltweit noch nicht den Stellenwert in der internationalen Hilfe, der ihr eigentlich zusteht. Ihre Hilfe in Mosambik etwa war bei der internationalen Gemeinschaft nicht ausreichend repräsentiert. Oder beispielsweise die Konfliktregionen des Ostkongo: Dort ist die Caritas einer der zentralen Partner der Vereinten Nationen zur Erreichung von Zehntausenden Vertriebenen und Hunderttausenden von Konfliktopfern. Die Vereinten Nationen haben gesehen, dass wir zwar konfessionell sind, aber allen Menschen Hilfe anbieten. Wir haben den Vorteil, tief in der Gesellschaft verankert zu sein über Hunderttausende von lokalen Mitarbeitern zu verfügen, die die Verhältnisse vor Ort gut kennen. Es muss noch stärker nach Außen transportiert werden, wie stark die Kirche mit ihrer Caritas eigentlich ist. Das betrifft nicht nur die Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch den direkten Kontakt zu staatlichen Hilfsorganisationen und -missionen.
Das Interview führte Claudia Zeisel.
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